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Geburtstag im Straflager

Er ist zum Aushängeschild der russischen Opposition geworden: Michail Chodorkowskij, der einstige Oligarch und Intimfeind Wladimir Putins. Seit fast zehn Jahren sitzt er im Gefängnis. Heute feiert er seinen 50. Geburtstag - in einem Straflager in Karelien.

Von Gesine Dornblüth | 26.06.2013
    Sein Lächeln prägt sich ein. Zum Beispiel bei dem Fernseh-Interview im Jahr 2003. Es ist eines der letzten, das Michail Chodorkowskij in der Freiheit gab. Sein Lächeln hatte etwas Jungenhaftes.

    "Ich habe mit 14 Jahren angefangen zu arbeiten. Ich wollte mir einen Plattenspieler kaufen. Ich habe als Packer im Laden gejobbt, 2 Monate, dann hatte ich die 80 Rubel zusammen.
    Sie müssen sich ein Ziel setzen und an sich selbst glauben. Nicht zurückschauen. 12 Stunden täglich arbeiten. Dann erreichen Sie, was Sie wollen."

    Chodorkowskij baute eine Bank auf, verschaffte sich Zugang zu höchsten Politikerkreisen, half Boris Jelzin im Wahlkampf, übernahm den Ölkonzern Yukos. Und brachte es zum reichsten Mann Russlands.

    "Zuletzt habe ich mir vor sieben Jahren die Aufgabe gestellt, aus Yukos den besten Ölkonzern Russlands zu machen. Das habe ich geschafft. Das nächste Ziel lautet, aus Jukos ein internationales Unternehmen zu machen."

    Dazu kam es nicht mehr. Im Herbst 2003 wurde Chodorkowskij verhaftet. Es folgten die Anklage und das erste Urteil gegen ihn und seinen Partner Platon Lebedew wegen Betrugs und Steuerhinterziehung: Zehn Jahre Haft. 2009 dann ein zweiter Prozess und erneut eine Verurteilung, wegen Veruntreuung. Im Westen gelten die Prozesse als politisch motiviert.

    Insbesondere, weil die Geschäftsmethoden, die Chodorkowskij und Lebedew vorgeworfen werden, in den 90er Jahren üblich waren. Es war die Zeit des Raubtierkapitalismus. Die Justiz knöpfte sich später aber nur solche Oligarchen vor, die sich dem Kreml in den Weg stellten. Und das tat Chodorkowskij.

    Er finanzierte mal die liberale Jabloko-Partei, mal die oppositionellen Kommunisten. Und er arbeitete an einem russlandweiten Netzwerk mündiger Bürger. Seine Stiftung "Offenes Russland" finanzierte unabhängige Journalisten in den Regionen ebenso wie Dorfbibliotheken. Irina Jasina leitete die Stiftung.

    "Damals war Chodorkowskij ein ziemlich mechanischer Mensch. Sehr genau. Sehr energisch. Unglaublich logisch. Superklug. Aber eine Maschine. Er wusste immer den effektivsten Weg, um ein Ziel zu erreichen.

    Jetzt hat er sich sehr verändert. Da ist eine menschliche Wärme, da sind Gefühle. Das ist seinen Briefen zu entnehmen. Und er ist ein Mensch mit sehr hohen moralischen Ansprüchen."

    Das zeigte sich auch bei Chodorkowskijs Auftritten vor Gericht, zum Beispiel bei seinem Schlusswort im zweiten Prozess im Herbst 2010.

    "Euer Ehren, ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass Millionen Augen im ganzen Land, in der ganzen Welt den Ausgang dieses Prozesses verfolgen. Sie tun das in der Hoffnung, dass Russland ein Land wird, in dem Freiheit und Gesetze herrschen.

    In dem die Unterstützung oppositioneller Parteien kein Grund mehr für Repressionen ist. In dem Menschenrechte nicht mehr von der Stimmung des Zaren abhängen. Ich glaube daran.
    Ich bin kein idealer Mensch, aber ich bin ein Mensch mit Idealen. Wie jedem Menschen, fällt es mir schwer, im Gefängnis zu leben, und ich will hier nicht sterben. Aber wenn es nötig ist, werde ich nicht zögern."

    Und Sie, sehr geehrte Herren Gegner? Woran glauben Sie? Daran, dass die Vorgesetzten recht haben? An Geld? An die Unantastbarkeit des Systems? Das müssen Sie entscheiden.
    Da war es wieder, das Lächeln, aber dies mal nicht mehr jungenhaft, sondern ironisch, spöttisch gar. In der Öffentlichkeit gewinnt Chodorkowskij an Sympathie, je länger er in Haft ist. In einer Umfrage Ende 2012 war jeder dritte Befragte dafür, den Ex-Unternehmer vorzeitig aus der Haft zu entlassen.

    Nach jetzigem Stand kommt er im Herbst 2014 frei. Zuvor allerdings, noch in diesem Sommer, entscheidet das Verfassungsgericht als letzte Instanz über Chodorkowskijs und Lebedevs Einspruch gegen das Urteil im zweiten Prozess. Gleichzeitig kursieren in Moskau Gerüchte über ein mögliches drittes Verfahren.

    Ein neutrales Gutachten zum Chodorkowskij-Prozess sei in Wirklichkeit heimlich von ihm bezahlt worden, schreiben russische Medien. Angeblich wurden bereits Zeugen vernommen. Bestätigt ist das nicht.

    An seinem 50. Geburtstag will Chodorkowskij heute seine Mithäftlinge zu Tee und Konfekt einladen. Abends wollen in Moskau seine Unterstützer für ihn demonstrieren.


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