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Gegen den Eingriff in den Emissionshandel

Das eigentliche Ziel des Emissionshandels, eine 20-prozentige Minderung des CO2-Ausstoßes, werde erreicht, sagt der FDP-Europapolitiker Holger Krahmer. Er habe kein gutes Argument gefunden, warum die EU-Kommission in den Emissionshandel eingreifen sollte. Für ihn wäre eine Marktintervention "das falsche Signal".

Holger Krahmer im Gespräch mit Christoph Heinemann | 17.04.2013
    Christoph Heinemann: Guter Rat ist teuer nach dem Nein des Europaparlaments zu einer Reform des so bezeichneten Emissionshandels. Im Grundsatz gilt: Wer CO2 ausstößt, soll zahlen, bis zu 30 Euro je Tonne Kohlendioxid. An der Börse in London, wo die Emissionsscheine gehandelt werden, kostet der Ablass aber gerade ein Zehntel, weil zu viele Zertifikate im Umlauf sind. Die EU-Kommission wollte deshalb das Angebot verknappen. Daraus wird aber erst einmal nichts.

    Vor dieser Sendung haben wir den FDP-Europapolitiker Holger Krahmer erreicht. Er ist Mitglied des Umweltausschusses des Europäischen Parlaments, was man nicht unbedingt merkt, wenn man ihm zuhört. Ich habe ihn zunächst gefragt, wie er gestern abgestimmt hat.

    Holger Krahmer: Ich habe mich für die Zurückweisung des sogenannten Backloadings entschieden, und das war auch keine spontane Entscheidung, sondern das ist eine Diskussion, die wir ja sehr lange geführt haben, und ich habe einfach auch kein richtig gutes Argument gefunden, warum die EU-Kommission jetzt in den Emissionshandel eingreifen sollte.

    Heinemann: Wieso nicht?

    Krahmer: Ich glaube, dass wir ein völlig falsches und fatales Signal senden, im Grunde genommen jetzt auch sehr aktionistisch in den Handel einzugreifen, weil der Sinn des Emissionshandels ja eigentlich darin besteht, den Akteuren am Markt, die zur Emissionsminderung verpflichtet sind, freie Hand zu lassen, mit welchen Mitteln und welchen Instrumenten sie das tun, und der Emissionshandel ist ja eigentlich gerade nicht dazu gedacht, dass die Politik den Preis bewertet, der dort erzielt wird, sondern der soll ja im freien Handel aus Angebot und Nachfrage entstehen. Und ich glaube, wir würden jetzt das fatale Signal setzen, dass immer dann, wenn uns die Preise nicht passen, die EU-Kommission in diesen Handel eingreift, und ich glaube, dass das nicht wirklich eine Werbemaßnahme für die Durchsetzung dieses Instruments ist.

    Heinemann: Sind Sie sicher, dass Sie den Sinn richtig verstanden haben? Ursprünglich ging es darum, das Klima zu retten oder zu schonen.

    Krahmer: Ich bin mir nicht so ganz sicher, ob wir mit der Maßnahme tatsächlich das Klima retten. Das eigentliche Ziel des Emissionshandels war ja eine 20-prozentige Minderung der CO2-Emissionen, und jetzt müssen wir fragen: Wird diese 20-prozentige Minderung erreicht, ja oder nein. Und die Antwort ist klar: Sie wird erreicht. Offensichtlich ist der Weg der Zielerreichung jetzt plötzlich doch Bestandteil der Diskussion, und das war ja eigentlich ursprünglich mal abgemacht, dass das genau nicht sein sollte. Deswegen glaube ich, dass der Markteingriff an der Stelle das falsche Signal sendet.

    Heinemann: Die ursprüngliche Idee war ja, Unternehmen sollten über marktwirtschaftliche Mechanismen bewegt werden, in umweltfreundliche Technik zu investieren. Ist dieses Prinzip nicht gescheitert, wenn die Tonne CO2 zum Schleuderpreis rausgepustet werden kann?

    Krahmer: Ich glaube, der Charakter des Emissionshandels ist zwar theoretisch ein marktwirtschaftliches Instrument. Praktisch erleben wir jetzt, dass es ein politisch kreierter Markt ist, und möglicherweise scheitert das Modell auch daran, das kann schon sein. Ich glaube aber, dass wir, gerade wenn wir jetzt mal die deutsche Industrie anschauen, da schon feststellen können, die haben nicht unbedingt Nachsitzstunden oder Hausaufgaben zu erledigen, wenn es um die Frage geht, energieeffizient zu wirtschaften und die neueste Technik zu verwenden. Insofern ist da tatsächlich die Frage, braucht man da eigentlich an der Stelle 50 Euro pro Tonne CO2 oder 30 Euro pro Tonne CO2, um die zum besseren Wirtschaften zu zwingen.

    Das zweite Argument, was wir in Brüssel immer ein wenig ausblenden, ist, dass Europas Vorstellung, Frontrunner und Schrittmacher für den weltweiten Klimaschutz zu sein, nicht so richtig funktioniert hat. Wir wissen spätestens seit Kopenhagen, aber mindestens auch seit Doha, dass wir uns mit unseren Ideen da nicht durchsetzen, weil wir weder die politische, noch die wirtschaftliche Gestaltungs- oder Verhandlungsmacht an der Stelle haben.

    Heinemann: Vielleicht noch nicht!

    Krahmer: Ich glaube, die politischen und ökonomischen Gewichte dieser Welt verschieben sich nach Asien und es ist möglicherweise auch nötig, sich über ganz neue Strategien in der Klimapolitik mal Gedanken zu machen, denn dass es ein verbindliches Abkommen auf globaler Ebene mit verbindlichen Minderungszielen gibt, ist aus meiner Sicht sehr unwahrscheinlich geworden, einfach weil sich gerade asiatische Volkswirtschaften ihr Wachstum nicht beschränken lassen wollen. Möglicherweise ist es sinnvoller, die volkswirtschaftlichen Ressourcen, die wir derzeit in so Instrumenten wie Emissionshandel verwenden, mal in andere Instrumente zu stecken.

    Heinemann: Nämlich?

    Krahmer: Ich nenne da zum Beispiel Forschungsförderungen für neue Energieträger. Möglicherweise kriegen wir da sogar ein internationales Abkommen zustande, weil es da vielleicht gleichlaufende Interessen gibt. Ich denke auch, dass man über notwendige Anpassungen an unvermeidliche Klimaänderungen mal nachdenken müsste.

    Heinemann: So irgendwann mal?

    Krahmer: Nein, jetzt. Damit kann man gleich beginnen! Da gibt es auch gar keinen Grund, das aufzuschieben. Aber wir müssen eben auch zur Kenntnis nehmen: Wir machen seit 20 Jahren internationale Klimaschutzpolitik und das Ergebnis ist, dass wir viele Milliarden an volkswirtschaftlichen Ressourcen investieren und trotzdem steigen die globalen Emissionen rasant. Und ich denke, dass man da schon auch mal ein bisschen grundsätzlicher fragen kann, folgen wir da den richtigen Strategien, oder ist es nicht an der Zeit, mal über was Neues nachzudenken, anstatt nur über so eine relativ aktionistische Maßnahme, in den Handel einzugreifen, der möglicherweise gar keine Wirkung entfaltet.

    Heinemann: Herr Krahmer, die grundsätzliche Frage an Sie lautet: Geht es Ihnen eigentlich um die Etikette "Marktwirtschaft" oder um den Inhalt "Klimaschutz"?

    Krahmer: Ich will marktwirtschaftliche Lösungen für Klimaschutz und ich bin immer noch überzeugt davon, dass Marktwirtschaft der größte Effizienztreiber an sich ist.

    Heinemann: Man kann den Umweltschutz der Börse überlassen, würden Sie sagen?

    Krahmer: Das versuchen wir ja mit dem Emissionshandel.

    Heinemann: Und das klappt nicht!

    Krahmer: Da gibt es sicherlich die berechtigte Kritik, dass die Preissignale aus dem Handel nicht kommen. Trotzdem finden Emissionsminderungen statt. Die sind teilweise zurückzuführen auf eine Wirtschaftskrise. Ich glaube, sie sind aber auch darauf zurückzuführen, dass unsere Industrie, insbesondere in Deutschland, in anderen Teilen Europas vielleicht noch nicht so, die effizienteste Technik benutzt, die zur Verfügung steht.

    Heinemann: Wenn die Preissignale nicht vom Markt kommen, muss der Staat dann nicht nachhelfen? Muss der Staat nicht dafür sorgen, dass das Rauspusten von CO2 teuer ist?

    Krahmer: Ja noch mal: Wir erreichen die Ziele, die wir uns mit dem Emissionshandel gesetzt haben.

    Heinemann: Aber möglicherweise aus zufälligen Gründen, wie zum Beispiel der Wirtschaftskrise.

    Krahmer: Ja. Wenn wir aber über die Frage diskutieren, dass uns die Preise nicht passen, die im Handel entstehen, dann sollten wir als Politiker auch konsequenter sein und sagen, dann müssen wir eben ein Preissteuerungsmodell zum Klimaschutz implementieren - das ist in dem Fall dann eine Steuer – und nicht in ein Mengenmodell, bei dem uns die Preise nicht passen, ständig eingreifen. Das diskreditiert das Modell.

    Heinemann: Wieso das?

    Krahmer: Der Emissionshandel ist ein Mengensteuermodell, kein Preissteuerungsmodell. Es ist der Sinn dieses Emissionshandels, dass die Preise am Markt, an diesem Handelsmarkt erzielt werden.

    Heinemann: Deshalb sagt die Kommission, durch eine Preissteuerung kann man die Menge auch steuern.

    Krahmer: Na ja. Abgesehen davon, dass wir natürlich die Klimaziele durch die Hintertür verschärfen, wenn wir einfach Zertifikate aus dem Markt rausnehmen, was politisch nirgendwo vereinbart war, bleibt natürlich schon die Frage – und für meine Begriffe wäre dieses Backloading auch nicht über den Tellerrand gedacht -, was passiert denn eigentlich, wenn trotz des Backloadings die Preise in dem Handel nicht steigen. Es gibt eine Menge Analysten und auch Akteure, die sagen, das wird vergebliche Liebesmühe sein, weil viele große Akteure, gerade energieintensive Industrien, ihre Kontingente, die sie die nächsten Jahre brauchen, ohnehin schon haben, sie haben sie längst gekauft. Das heißt, es könnte jetzt passieren, dass wir mit dem Ziel der Preissteigerung in den Markt eingreifen, ohne dass das wirkt, und dann steht natürlich die Frage, was dann. Unternehmen wir dann die nächste Marktintervention und die übernächste? – Ich glaube, dass wir an der Stelle möglicherweise dann mal über eine generelle Reform des Emissionshandels beziehungsweise, wie ich es vorhin gerade schon angedeutet habe, vielleicht über eine neue Strategie in der Klimapolitik nachdenken müssen, die tatsächlich auch zu einem Ergebnis führt.

    Heinemann: Herr Krahmer, im Abwägen zwischen Ökonomie und Ökologie hat bei Ihnen offenbar die Wirtschaft Vorfahrt. Sind Sie eigentlich sicher, dass Sie in Brüssel im richtigen Ausschuss sitzen?

    Krahmer: Da bin ich mir ganz sicher, weil marktwirtschaftliche Akzente auch in der Umwelt- und gerade in der Klimapolitik dringend gebraucht werden. Wir sehen ja, dass wir mit Dirigismus und Verboten und mit erhobenen Zeigefingern offensichtlich nicht so richtig vorankommen.

    Heinemann: Der FDP-Europapolitiker Holger Krahmer, er ist Mitglied des Umweltausschusses des Europäischen Parlaments.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.