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Gekommen, um zu bleiben

Das Schmallenberg-Virus ist nach dem Virus der Blauzungenkrankheit der zweite Krankheitserreger einer Tierseuche, der von winzigen blutsaugenden Mücken, den Gnitzen, übertragen wird. Doch während die Blauzungenkrankheit nach Impfungen im Rückgang ist, dürfte das Schmallenberg-Virus die Tierhalter länger beschäftigen.

Von Joachim Budde | 12.06.2013
    Die Muster sind fast identisch: Nach dem Ausbruch der Blauzungenkrankheit und dem Auftauchen des Schmallenberg-Virus haben sich die Krankheiten ganz ähnlich ausgebreitet. Sie infizieren Schafe, Rinder und Ziegen. Offenbar ist der Wind hauptsächlich dafür verantwortlich, die winzigen blutsaugenden Mücken und mit ihnen die Viren zu verbreiten. Nicht umsonst bezeichnen Wissenschaftler die gerade einmal drei bis fünf Millimeter winzigen Gnitzen als "Plankton der Lüfte".

    Ausbreitung und Überträger sind gleich, doch offenbar ist das Schmallenberg-Virus wesentlich effektiver als der Erreger der Blauzungenkrankheit. Das haben Dr. Eva Veronesi und ihre Kollegen am britischen Pirbright Institute jetzt herausgefunden. Im Labor war das Schmallenberg-Virus in der Lage, weitaus mehr Mücken anzustecken, sagt die Wissenschaftlerin.

    "Etwa 19 Prozent der infizierten Gnitzen sind ihrerseits in der Lage das Schmallenberg-Virus zu übertragen. Beim Blauzungenvirus liegt der Anteil zwischen zwölf und 15 Prozent. Aber Vorsicht, die einzige Gnitzenart, die wir bisher getestet haben, ist die amerikanische Art Culicoides honorensis, die wir im Labor züchten können. Bei den europäischen Arten kennen wir die Daten noch nicht, doch die Ergebnisse sind ein guter Anfang."

    Das Problem mit Gnitzen ist: Sie sind sehr schwer zu halten, weil sie schnell austrocknen und sich im Labor nicht zum Paaren bewegen lassen. Die amerikanische Art Culicoides honorensis ist da bis jetzt die einzige Ausnahme. Und außer Eva Veronesi und ihren Kollegen ist nur noch ein Labor in den USA mit der Zucht erfolgreich.

    Auch wenn Honorensis-Gnitzen in Europa nicht vorkommen, liefert die Arbeit mit ihnen wertvolle Erkenntnisse.

    "Es genügt nicht, europäische Gnitzen im Feld zu sammeln und mit den Erregern anzustecken. Zuerst mussten wir Methoden entwickeln, mit denen die Infektionsversuche sicher funktionieren. Dafür benutzen wir die Honorensis-Gnitzen als Modell. Jetzt können wir die gleiche Prozedur auf europäische Gnitzen anwenden."

    Die Effizienz des Erregers zeigt sich auf der Landkarte: Die Verbreitung verläuft wie im Zeitraffer. Und das Virus ist gekommen, um zu bleiben, sagt Dr. Martin Beer vom Institut für Virusdiagnostik am Friedrich-Loeffler-Institut für Tiergesundheit auf der Insel Riems:

    "Die Blauzungenkrankheit ist in den Regionen, wo sie aufgetreten war, nicht wieder aufgetreten, und zusammen mit der Impfung sind wir diese Erkrankung ja losgeworden. Beim Schmallenbergvirus müssen wir im Moment konstatieren, dass wir auch Fälle sehen, wenn auch deutlich weniger, in Regionen, wo das Virus schon war, und es gibt Hinweise, dass es vielleicht auch für längere Zeit in solchen Regionen verbleiben kann."

    Zwar werden die Tiere gegen beide Krankheiten nach der Infektion immun. Das Schmallenberg-Virus findet aber offensichtlich trotzdem genügend Rückzugsmöglichkeiten. Martin Beer:

    "Es gibt im Moment durchaus Indizien, dass wir sie nicht mehr loswerden. Wenn wir uns verwandte Viren ansehen wie das Akabane-Virus, dann tritt das in den Regionen immer wieder auf, je nachdem wie viel empfängliche Tiere noch da sind. Man kann das - auch am Beispiel Akabane - durch Impfung beeinflussen, und ich denke, es wird irgendwann Impfstoffe gegen Schmallenberg-Virus geben, Prototypen gibt es mittlerweile, und die funktionieren sehr gut."

    Das Schmallenberg-Virus hat hierzulande ein ideales Einfallstor gefunden: Es ist über einen der zahlreichen Häfen oder Flughäfen im Einzugsgebiet von Nordrhein-Westfalen in eine Region gelangt, in der sehr viele Waren umgeschlagen werden, gleichzeitig aber auch intensive Viehzucht betrieben wird, sagt Martin Beer:

    "Wenn wir uns die Ausbreitung ansehen, dann muss man einfach sagen, dass wir in der glücklichen Situation sind, dass das Virus keine Menschen infizieren kann und nicht zu Erkrankungen führt, sodass diesmal die Tiere betroffen sind und man weiter hoffen muss, dass nur Erkrankungen diese Eintrittspforte nutzen, die das Tier infizieren, und dass keine Zoonose sich einmal entscheidet, diesen Weg zu gehen."