Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Gernot Erler
"Ich bin geschockt"

Der Russland-Beauftragte der Bundesregierung, Gernot Erler (SPD), zeigt sich im DLF entsetzt über das militärische Vorgehen Russlands in der Ukraine. Dennoch hält er eine politische Lösung weiterhin für möglich - und Sanktionen derzeit für das falsche Mittel.

Gernot Erler im Gespräch mit Christiane Kaess | 05.03.2014
    Der Russland-Beauftragte der Bundesregierung, Gernot Erler (SPD).
    Der Russland-Beauftragte der Bundesregierung, Gernot Erler (SPD). (dpa / Franziska Kraufmann)
    Christiane Kaess: Die Ereignisse in der Ukraine überschlagen sich seit Tagen. Zuerst der Umsturz in Kiew und kurz darauf übernimmt Russland faktisch die Kontrolle über die Halbinsel Krim. Die Lage ist verworren. Russlands Präsident Wladimir Putin bestreitet einerseits, dass Russland plane, die Krim zu annektieren. Auf der anderen Seite behält er sich alle Mittel zum Schutz der Russen in der Ukraine vor. Auf der Krim leben viele von ihnen, aber längst nicht alle wollen, dass die Krim an Russland geht. Und in Kiew versucht die neue Regierung, mit den bescheidenen Mitteln, die sie hat, gegen die russische Übermacht sich zu widersetzen.
    Mitgehört am Telefon hat Gernot Erler von der SPD. Er ist Russland-Koordinator der Bundesregierung. Guten Morgen, Herr Erler.
    Gernot Erler: Guten Morgen, Frau Kaess.
    Kaess: Herr Erler, haben Sie noch Hoffnung auf eine schnelle Lösung dieses Konfliktes?
    Erler: Auf eine schnelle Lösung nicht, aber ich habe immer noch die Hoffnung, dass man die Möglichkeiten für eine politische Vermittlung nutzt, und am Ende müsste dann eine politische Lösung des Konfliktes stehen. Die Hoffnung begründet sich darauf, dass doch ein Gesprächskontakt jetzt hergestellt ist, vor allen Dingen zwischen EU und Russland. Am Montag hat sich Frank-Walter Steinmeier, der deutsche Außenminister, mit Sergei Lawrow getroffen und gestern hat Wladimir Putin gesagt, er halte eine solche Kontaktgruppe - das ist das wichtigste Ziel in diesem Zusammenhang - für möglich, und hat gesagt, darüber sollen Lawrow und Steinmeier weiter reden, und die beiden treffen sich heute bei einem Außenministertreffen in Paris erneut. Insofern geht es da ein Stück voran. Es ist noch kein Durchbruch erreicht worden, aber so eine Kontaktgruppe wäre unerhört wichtig, weil das die Möglichkeit wäre, einen kontinuierlichen Gesprächskontakt vor allen Dingen zwischen den wichtigsten Partnern hier, nämlich zwischen Russland und der Ukraine herzustellen, natürlich auch unter Begleitung von der Vertretung anderer Länder.
    "Chancen einer politischen Lösung"
    Kaess: Und, Herr Erler, was macht Sie denn optimistisch, dass Putin ernsthaft kooperativ im Rahmen dieser Kontaktgruppe sein will? Er hat ja gestern in seiner Pressekonferenz - wir haben es auch gerade von unserer Korrespondentin noch mal gehört - durchaus auch ganz harte Töne angeschlagen.
    Erler: Ja, das ist eine Tatsache, und ich kann das alles, was eben wir auch gehört haben aus der Haltung in der Ukraine von Sabine Adler, vollkommen nachvollziehen, dass man da nach wie vor höchst beunruhigt ist. Nur ich meine: Was soll die Diplomatie machen? Wir können eigentlich nur hoffen, dass zumindest hier eine Parallelaktion stattfindet, dass also weiterhin eine völlig harte Haltung in Bezug auf die Militärpräsenz in der Ukraine und auf der Krim bei der russischen Führung besteht, dass aber andererseits die Möglichkeit eines politischen Dialogs und damit auch die Chancen einer politischen Lösung des Konflikts nicht zugemauert sind, sondern dass dort doch vom Präsidenten selbst auch mit diesem Hinweis auf die beiden Außenminister die Chance besteht, dass man da vorankommt. Was anderes kann Diplomatie in dieser Situation nicht machen.
    Kaess: Sie standen ja bisher immer für einen russlandfreundlichen Kurs. Haben Sie mittlerweile Sorge, dass Sie mit Ihren Einschätzungen zu Moskau daneben lagen?
    Erler: Es ist immer so gewesen, dass ein Kurs, der sagt, man setzt im Grunde genommen auf Dialog und man setzt auf eine Bereitschaft, auch zusammenzuarbeiten, und testet das aus, Kritik und auch Enttäuschung nicht ausgeschlossen hat, und ich meine, …
    Kaess: Hatten Sie denn damit gerechnet, dass es so eine harte Reaktion aus Moskau geben könnte?
    Erler: Es hat sich für mich schon deutlich ergeben, dass diese Vorgänge um den Maidan in Kiew in Moskau als außerordentlich bedrohlich angesehen worden sind. Das hängt zusammen mit den russischen Plänen für eine Eurasische Union. Das hängt aber auch zusammen mit den Ängsten, die schon seit 2003 in Russland vor den sogenannten farbigen Revolutionen entwickelt worden sind, und insofern war klar, dass das, was da passiert, nicht ohne russische Reaktion bleiben würde. Aber ich muss auch sagen, ich bin geschockt durch die Art und Weise, wie diese Reaktionen jetzt praktisch vor Ort mit diesen militärischen Mitteln durchgeführt worden sind.
    Kaess: Und in der Konsequenz, Herr Erler, wenn man ehrlich ist, muss man sagen, dass die Krim für die Ukraine verloren ist?
    Erler: Nein, das würde ich auf keinen Fall in irgendeiner Weise konzedieren, denn es ist durchaus noch möglich, hier zu einer politischen Lösung anderer Art zu kommen. Man muss Russland daran erinnern, dass es etwa mit dem Budapest-Memorandum von 1994, mit dem bilateralen Vertrag über Freundschaft, Kooperation und Partnerschaft von 1997 mehrfach die Unversehrtheit, die Integrität der Ukraine garantiert hat, und das ist völkerrechtlich verbindlich. Insofern wäre es völlig falsch, im Augenblick schon irgendwelche negativen Prognosen über das Ende dieses Konflikts zu machen. Ich halte es für richtig, jetzt diese Gesprächskontakte aufrecht zu erhalten und sich ganz darauf zu konzentrieren, zum Beispiel ein solches Gremium wie die Kontaktgruppe einzurichten. Das muss das wichtigste Ziel der internationalen Diplomatie sein. Dazu ist auch diese OSZE-Mission außerordentlich hilfreich und es kann auch andere Vermittlungsversuche noch geben.
    "Halte Sanktionen im Augenblick für nicht hilfreich"
    Kaess: Und, Herr Erler, zu dieser Einsicht, von der Sie jetzt gesprochen haben, zu dieser Einsicht Moskaus, wenn wir das mal so nennen wollen, soll Moskau durch Sanktionen gebracht werden?
    Erler: Ich weiß nicht, ob es vernünftig ist, in dem Moment, wo man hofft, dass die andere Seite bestimmte Gesprächspartner aus der Ukraine akzeptiert und bereit ist, sich an den Tisch zu setzen, parallel Sanktionen zu vollziehen. Es ist völlig klar und das muss der russischen Seite auch klar sein, dass wenn sie weiter bei der jetzigen Art und Weise des Vorgehens bleibt, dass das internationale Konsequenzen hat. Aber für mich ist es vor allen Dingen dann ein Widerspruch, wenn Sanktionen dazu führen, dass Gesprächskontakte versperrt werden, dass man zum Beispiel, sage ich mal, auf dieses Gremium G8 verzichtet und hier diese Möglichkeit, doch sehr eindeutig mit Russland die Diskussion zu führen, aufgibt. Wenn das eine Konsequenz aus Sanktionen ist, halte ich diese Sanktionen im Augenblick für nicht hilfreich.
    Kaess: Aber was anderes sollte denn Moskau zum Umdenken bringen, wenn Wladimir Putin sich sogar angesichts dieser Sanktionsdrohungen zumindest gestern auf seiner Pressekonferenz relativ unbeeindruckt gegeben hat?
    Erler: Na ja, das müssen wir einfach zur Kenntnis nehmen, dass einfach die Mittel von Sanktionen wahrscheinlich nicht zu einem Erfolg führen. Ich könnte hier Beispiele anführen aus der Vergangenheit, dass Russland dann eben auch - und diese Möglichkeiten hat Russland - mit eigenen Sanktionsantworten reagiert, und das kann ganz schnell zu einer Eskalation führen, und die führt dann im Augenblick weg von dem, was wir brauchen, nämlich eine verlässliche Grundlage für politische Gespräche, für einen Dialog und für eine Arbeit an einer politischen Lösung.
    "Wechselseitige Abhängigkeit"
    Kaess: Herr Erler, ist denn das Dilemma des Westens und vor allem von Deutschland, dass man sich mit Sanktionen letztendlich auch ins eigene Fleisch schneiden würde?
    Erler: Ja. Ich meine, wenn Sie so direkt fragen, kann man ja nicht umhin, zuzugeben, dass wir seit langer Zeit eine wechselseitige Abhängigkeit etwa im Energiesektor haben. Russland exportiert über 70 Prozent der eigenen Energie-Ressourcen, die in den Handel gehen, in die Europäische Union und die Europäische Union, einschließlich Deutschland, ist zu fast 40 Prozent, was Gas angeht, und über 30 Prozent, was Öl angeht, von russischen Lieferungen abhängig. Die lassen sich zwar vorübergehend ersetzen, aber langfristig nicht, und es hat ja bisher auch hier - das muss man einräumen - eine große Verlässlichkeit auf beiden Seiten gegeben. Insofern ist natürlich klar, wenn man über Sanktionen redet und dann überlegt, wie die andere Seite reagieren könnte, dann stößt man irgendwann auf diese wechselseitige Abhängigkeit und damit auch eigentlich auf einen Zwang, letzten Endes politische Lösungen anzustreben und nicht zu versuchen, den anderen mit Sanktionen so unter Druck zu setzen, dass dadurch zwangsweise irgendetwas passiert, was man sich wünscht.
    Kaess: Die Einschätzung von Gernot Erler von der SPD. Er ist Russland-Koordinator der Bundesregierung. Herr Erler, danke für dieses Interview heute Morgen.
    Erler: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.