Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Gesellschaftswandel
Wie ein Vulkanausbruch Neuengland veränderte

Die indonesische Insel Sumbawa am Abend des 10. Aprils 1815: Donnerschläge zerrissen die Luft, der Ausbruch des Vulkans Tambora begann. Als Folge kam es in den Jahren danach zu dramatischen Veränderungen des Klimas weltweit. Auch die Küstenökosysteme waren betroffen, wie nun eine Studie exemplarisch zeigt.

Von Dagmar Röhrlich | 07.02.2017
    Ein Heringsschwarm mit Makrelen.
    Makrelen wurden nach dem Ausbruch des Tambora in Neuengland zur wichtigen Nahrung. (picture alliance / Hinrich Bäsemann)
    Am 10. April 1815 explodierte der Tambora mit der Sprengkraft von 170.000 Hiroshima-Bomben. 100 Kubikkilometer Asche schossen hoch hinauf in die Stratosphäre und senkten monatelang die globale Durchschnittstemperatur um ein bis anderthalb Grad.
    "Durch die extreme Kälte war in Neuengland ebenso wie in weiten Teilen Europas oder Chinas Landwirtschaft unmöglich. Außerdem gab es abrupte Temperaturwechsel: An einem Tag lagen die Temperaturen unter dem Gefrierpunkt, am nächsten waren es 40 Grad Celsius. Dieses Auf und Ab überfordert Organismen. Wir haben uns gefragt, ob das auch Folgen für die Küstenökosysteme und damit die Fischerei gab. Ein Hinweis war, dass 1816 in den Neuenglandstaaten auch als das "Jahr der Makrele" bezeichnet wird."
    Maifische standen nicht mehr zur Verfügung
    Die zeitliche Rekonstruktion der Ereignisse damals ergab dann ein aufschlussreiches Bild, erklärt Karen Alexander von der University of Massachusetts Amherst. Zunächst waren die Maifische ausgeblieben. Das sind Heringsverwandte, die normalerweise im Frühjahr zum Laichen an die Oberläufe der Flüsse zurückkehren:
    "Die Maifische hatten sonst nach den harten Wintermonaten für die ersten guten Fänge gesorgt. Sie lieferten Protein in einer Zeit, in der es noch nicht viel gab. Doch 1816 führten die Flüsse immer noch Eis, sodass die Tiere nicht zu ihren Laichgründen gelangen konnten."
    Anders als den Maifischen machte den Makrelen die Kälte nichts aus: Sie leben in Küstengewässern und ziehen sich einfach in tiefere Bereiche zurück. Als die Flüsse nichts hergaben, mussten die Fischer reagieren. Und sie verlegten sich auf den Makrelenfang.
    "Die Makrelenpopulation war groß und in den Neuenglandstaaten nie intensiv befischt worden. Nun aßen die Menschen Makrelen und verfütterten sie an ihr Vieh."
    Auch der Makrelentransport entwickelte sich zu einem lohnenden Geschäft: Die Fische wurden bis nach Vermont geschafft. Rückblickend zeige sich, dass die Eruption des Tambora in Neuengland einen tief greifenden Gesellschaftswandel beschleunigte, urteilt Karen Alexander:
    "Damals wurden vermehrt Dämme durch die Flüsse Neuenglands gebaut, um die Textilindustrie mit Energie zu versorgen. 1850 waren alle größeren Flüsse mit Staustufen versehen und die Wanderwege der Maifische unterbrochen. Die Industrialisierung war sicherlich unvermeidlich. Doch unserer Meinung nach hat der Tambora-Ausbruch den Prozess beschleunigt, weil die Maifische in den Jahren und Jahrzehnten danach an Bedeutung verloren hatten."
    Soziales System hatte sich schon geändert
    Zwar erholte sich der Maifischbestand wieder. Doch da war die Makrelenfischerei schon zum zentralen Wirtschaftsfaktor geworden, die Transportwege waren etabliert - und niemand kehrte zur alten Lebensweise zurück:
    "Der Tambora-Ausbruch war ein Kipp-Punkt, weil er die Systeme durcheinanderbrachte und die Menschen sehr schnell reagieren mussten. Die Gesellschaft veränderte ihre Prioritäten, passte sich an. Und ob Staustufen, Dämme oder Makrelenfang: Die Anpassungen blieben, denn das neue System bot auch Vorteile. Als sich die biologischen Systeme erholt hatten, war das soziale schon ein vollkommen anderes."
    In der Rückschau sei es oft leichter, gesellschaftliche Veränderungen als Reaktion auf extreme Klimaereignis zu erkennen, beschreibt Karen Alexander. Die Vergangenheit könne da so etwas wie ein Labor sein. Es zu nutzen, wäre in Zeiten des anthropogenen Klimawandels von Vorteil, schließt die historische Ökologin. Schließlich wird auch der extreme Ereignisse bringen. Und so ließen sich die gesellschaftlichen Konsequenzen der Anpassungsstrategien besser abschätzen und bedenken.