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Gesetzentwurf zur Kinderehe
"Der jetzige Kompromiss ist deutlich besser als die geltende Rechtslage"

Der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Stephan Harbarth, hat das geplante Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen verteidigt. Ein Verbot sei richtig, auch wenn unbegleitete minderjährige Flüchtlinge nach der Annullierung der Ehe in ein Heim kämen, sagte der CDU-Politiker im Deutschlandfunk.

Stephan Harbarth im Gespräch mit Jasper Barenberg | 27.04.2017
    Der CDU-Bundestagsabgeordnete Stephan Harbarth.
    "Kinder in Deutschland gehören nicht in die Ehe, sondern in die Schule", sagte Stephan Harbarth, stellvertretender Vorsitzende der Union im Bundestag, im DLF. (dpa / Soeren Stache)
    Die Ehe böte den Mädchen keine Perspektive auf ein selbstbestimmtes Leben. Viele Mädchen verschwänden in Folge einer Verheiratung aus den Schulen, da die Ehemänner die Ausbildung verhinderten. Kritisch fügte Harbarth hinzu, er hätte sich eine gerichtliche Aufhebungslösung auch für Mädchen unter 16 gewünscht. Eine Entscheidung von Richtern habe mehr Durchschlagskraft.
    Der Kompromiss zwischen Union und SPD sieht vor, dass Ehen unter 16 ohne richterliche Entscheidung für nichtig erklärt werden, zwischen 16 und 18 sollen sie gerichtlich aufgelöst werden. Das Gesetz wird morgen im Bundestag erstmals beraten.

    Das Interview in voller Länge:
    Jasper Barenberg: Das Thema Kinderehen spielte hierzulande lange keine Rolle. Das hat sich mit der Zuwanderung ein Stück weit geändert. Inzwischen zählen die Behörden rund 1.500 verheiratete Minderjährige in Deutschland. Mehr als die Hälfte stammt aus Syrien, aus Afghanistan und auch aus dem Irak.
    Das Gesetz der Koalition sieht jetzt vor, dass in Zukunft nur Volljährige heiraten dürfen. Besteht schon eine Ehe, soll sie von Familiengerichten aufgehoben werden. Ist ein Partner jünger als 16, soll sie ohne weitere Prüfung für nichtig erklärt werden, so als habe sie nie bestanden.
    Am Telefon ist Stephan Harbarth, der stellvertretende Vorsitzende der Union im Bundestag. Schönen guten Morgen, Herr Harbarth.
    Stephan Harbarth: Guten Morgen, Herr Barenberg.
    "Kinder in Deutschland gehören nicht in die Ehe, sondern in die Schule"
    Barenberg: Die Koalition hat ja länger diskutiert über das Gesetz, das jetzt auf den Weg gebracht wird und im Bundestag heute abschließend beraten werden soll*. Können Sie denn dem Kompromiss ohne Abstriche zustimmen?
    Harbarth: Wir haben einen Kompromiss innerhalb der Regierungskoalition erzielt mit dem klaren Ziel, Kinderehen in Deutschland zu verbieten. Diesem Kompromiss werden wir zustimmen nach Abschluss des parlamentarischen Verfahrens, das wir in dieser Woche nun einleiten. Für uns ist wichtig, dass klar wird, dass Kinder in Deutschland nicht in die Ehe gehören, sondern sie gehören in die Schule, und dafür stellen wir nun die Weichen.
    Barenberg: Der Schutz der Minderjährigen steht auch für Sie im Mittelpunkt. Können Sie damit leben, dass es Fälle geben wird, in denen nicht mehr Schutz, sondern weniger die Folge der neuen Regeln sein würde?
    Harbarth: Nach unserer Überzeugung werden wir durch die neuen Regeln mehr Schutz bekommen. Wir sind dafür, dass Mädchen in schwierigen Lagen Hilfestellungen gewährt werden. Aber diese Hilfestellungen bestehen nicht im Abschluss einer Ehe. Das wäre eine Scheinhilfe, denn die Biografien der Mädchen, die mit 12 Jahren, mit 14 Jahren verheiratet werden, zeigen ganz typischerweise, dass diese Mädchen nicht die Lebensperspektive erhalten, die wir ihnen wünschen.
    Sie bekommen typischerweise nicht die schulische Ausbildung. Wir haben Fälle in Deutschland, in denen Mädchen dann einfach in Folge mutmaßlicher Verheiratungen aus den Schulen verschwinden. Sie haben letztlich auch keine Perspektive auf ein selbstbestimmtes Leben. Wir wollen, dass sie diese Perspektive haben, und deshalb lehnen wir diese Eheschließungen ab, die nur eine Scheinhilfe wären.
    "Es ist ein großes Problem, wenn die jungen Mädchen bei ihren Ehemännern bleiben"
    Barenberg: Vorgesehen ist ja auch, dass Jugendämter beispielsweise solche Eheleute in Deutschland auf der Stelle, also unmittelbar trennen. Dann wird es so sein, dass, sagen wir, ein 15-jähriges Mädchen aus Syrien ungefragt in ein Heim für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge verbracht wird, kaum dass sie in Deutschland sind. Das finden Sie in Ordnung?
    Harbarth: Wir halten das für richtig. Es ist unsere Überzeugung, dass den Mädchen nicht geholfen ist mit dem Gegenmodell, das Sie eben so ein bisschen haben anklingen lassen, nämlich sie bei den Männern zu belassen. Wir wissen aus der Praxis der Sozialarbeiter, dass die Realität nämlich ganz anders aussieht.
    In der Praxis der Sozialarbeiter ist es ein großes Problem, wenn die jungen Mädchen bei ihren Ehemännern bleiben, weil die Sozialarbeiter häufig keinen Zugang zu den Mädchen bekommen. Jeder Kontakt läuft über die Männer und in der Wirklichkeit ist es dann leider auch so, dass die Männer häufig verhindern, dass die Frauen Schulen besuchen oder Ähnliches.
    "Die Entscheidung eines Richters hat eine größere Durchschlagskraft"
    Barenberg: Wenn das Mädchen jünger als 16 Jahre ist, dann gilt ja eine besondere Regel. Diese Regel besagt, dass die Ehe eben nicht wie in anderen Fällen durch ein Familiengericht geprüft und aufgehoben wird, sondern für nichtig erklärt wird, ohne Verfahren, ohne Anhörung auch der Betroffenen selber. Ist das aus Ihrer Sicht mit dem Kindeswohl vereinbar? Da gibt es ja auch kritische Stimmen.
    Harbarth: Ich persönlich habe mich in den Vorberatungen immer sehr für die sogenannte Aufhebungslösung eingesetzt, die eine gerichtliche Entscheidung erfordert. Wir haben uns jetzt im Wege eines Kompromisses darauf verständigt, diese gerichtliche Aufhebung gibt es in der Altersgruppe 16 bis 18 Jahren. Unterhalb von 16 Jahren gibt es diese Nichtigkeitslösung. Das ist das Ergebnis eines politischen Kompromisses, den wir nun so umsetzen werden.
    Ich habe mir die Entscheidung durch einen Richter auch deshalb gewünscht, weil ich glaube, dass die Entscheidung eines Richters eine größere Durchschlagskraft hat, dass sie auf eine stärkere Akzeptanz auch der Betroffenen stößt, wenn ein Richter mit der vollen Autorität eines Rechtsstaats eine solche Entscheidung ausspricht.
    "Die Aufhebungslösung ist gegenüber diesen Nichtigkeitsfällen vorzugswürdig"
    Barenberg: Sie sind an der Seite, sagen wir, des Instituts für Menschenrechte oder auch des Deutschen Kinderhilfswerks, die gerade für diese sehr jungen Betroffenen finden, dass die Regelung mit der Nichtigkeitserklärung zu rigide ist.
    Harbarth: Ich habe Ihnen gesagt, dass meine persönliche Einschätzung die ist, dass die Aufhebungslösung gegenüber diesen Nichtigkeitsfällen vorzugswürdig ist. Darüber gibt es in beiden Regierungsfraktionen unterschiedliche Meinungen. Und jetzt haben wir uns im Wege eines Kompromisses darauf verständigt. Für mich ist aber jedenfalls klar, auch in der Altersgruppe unterhalb von 16 Jahren ist es richtig, dass wir Ehen durchgängig beenden, weil diese Ehen nur vordergründig im Interesse der betroffenen Mädchen liegen würden.
    Barenberg: Aber nun ist es ja mit der jetzigen Regelung so, dass beispielsweise die Betroffenen möglicherweise Unterhaltsansprüche verlieren und dass auch gar nicht klar ist, was mit den Kindern, sollte es Kinder geben, geschieht, denn Kinder gelten nach einer Nichtigkeitserklärung ja als unehelich.
    Harbarth: Über diese Fragen entscheiden dann die Gerichte.
    "Nichteheliche Kinder haben heute einen gleichen Rechtsstatus wie eheliche Kinder"
    Barenberg: Aber eben nicht, wenn die Ehe für nichtig erklärt wird.
    Harbarth: Über die Frage, wie mit Kindern aus solchen Ehen umzugehen ist, entscheiden in Deutschland dann zwingend die Gerichte. Wir sollten im Übrigen auch nicht wieder das herbeiführen, was wir in den vergangenen Jahren überwunden haben, nämlich eine überstarke Differenzierung zwischen ehelichen und nichtehelichen Kindern.
    Das sollte, glaube ich, in unserer Gesellschaft der Vergangenheit angehören. Nichteheliche Kinder haben heute einen gleichen Rechtsstatus wie eheliche Kinder und sie haben auch das gleiche Maß an gesellschaftlicher Akzeptanz. Das sind keine verschiedenen Klassen von Kindern.
    Barenberg: Aber Sie müssen schon einräumen heute Morgen hier im Deutschlandfunk, aus Ihrer persönlichen Sicht jedenfalls, dass es schon Nachteile in dem jetzt gefundenen Kompromiss gibt, die durchaus den Betroffenen schaden können.
    Harbarth: Der jetzige Kompromiss ist deutlich besser als die geltende Rechtslage, auch in der Altersgruppe bis 16 Jahren. Das ist besser als in der geltenden Rechtslage, weil bisher viele Fälle bestehen können, in denen solche Mädchen in den entsprechenden Ehen bleiben müssen. Das werden wir beenden, um ihnen eine Perspektive auf ein selbstbestimmtes Leben zu geben.
    Und dann geht es um die Frage, wenn man den bisherigen Rechtszustand beenden möchte, welches der beiden Modelle wendet man an. Beide Modelle sind besser als der gegenwärtige Rechtszustand. Das eine Modell ist nach meiner Überzeugung noch besser als das andere. Aber das, was wir jetzt dann beschließen werden, wird zu einer Verbesserung für die Situation der Mädchen führen, die nicht länger in solchen Ehen gefangen gehalten werden.
    "Ich bin nicht der Auffassung, dass eine Einzelfallprüfung richtig wäre"
    Barenberg: Warum haben Sie denn Ihre Fraktionskollegen und auch die Kollegen bei der SPD nicht überzeugen können von Ihren Argumenten, dass eine Einzelfallprüfung vielleicht noch besser wäre als das, was Sie jetzt beschlossen haben?
    Harbarth: Ich bin nicht der Auffassung, dass eine Einzelfallprüfung richtig wäre. Das ist nicht die Frage bei dem Thema Nichtigkeits- oder Aufhebungslösung. Wir wissen aus der Praxis der Familienrichter, wie schwierig es ist, die tatsächliche Motivation in solchen Fällen zu erkennen. Wir hatten bisher in Deutschland die Rechtslage, dass mit Genehmigung des Familiengerichts geheiratet werden darf ab Vollendung des 16. Lebensjahres.
    Da wissen wir aus den Berichten der Familienrichter, dass sie sagen, es ist unglaublich schwer herauszufinden, ob es wirklich dem Interesse des 16-jährigen Mädchens entspricht zu heiraten, oder ob dieses Mädchen nicht einfach unter Druck gesetzt worden ist von der Familie. Das ist für einen Familienrichter häufig nicht herauszufinden und deshalb lehne ich eine solche Einzelfallbetrachtung ab.
    Barenberg: Aber wenn es schwierig ist, kann es dann bedeuten, dass man darüber hinwegsehen kann?
    Harbarth: Wir haben an vielen anderen Stellen der Rechtsordnung eine starre Altersgrenze. Über die Frage, ab welchem Alter in Deutschland jemand wählen darf, entscheidet nicht seine politische Reife, entscheidet nicht sein Interesse an Politik, sondern es entscheidet darüber schlicht die Frage, ist er 18 Jahre oder ist er vielleicht nur 17 Jahre und 11 Monate. Mit solchen Altersgrenzen arbeiten wir in vielen anderen Fällen auch und es ist für uns nicht einzusehen, warum wir sagen, bei vielleicht relativ unbedeutenden Vorgängen muss ein Mädchen zwingend 18 Jahre alt sein, aber bei der wichtigen Frage der Eheschließung machen wir eine Einzelfallbetrachtung.
    Barenberg: … sagt Stephan Harbarth, der stellvertretende Vorsitzende der Union im Bundestag. Heute wird im Bundestag abgestimmt über das geplante Verbot der Kinderehen*. Haben Sie Dank für Ihre Zeit heute Morgen.
    Harbarth: Sehr gerne! Einen schönen Tag.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    *Anm. d. Red.: Die Angaben sind an dieser Stelle nicht korrekt: Der von CDU/CSU und SPD eingebrachte Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen wird erst am 28.04.2017 im Bundestag erstmals beraten.