Dienstag, 19. März 2024

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Gewalt gegen Frauen
"Sexualstrafrecht ist schon immer ein Gebiet großer Auseinandersetzungen"

Nach den Übergriffen auf Frauen in Köln in der Silvesternacht wird in Deutschland über die Täter und ein verschärftes Sexualstrafrecht diskutiert. Stefanie Lohaus, Mitherausgeberin des "Missy Magazine", sagte im Deutschlandfunk, dass die Opfer hingegen in den Hintergrund gerieten. Sie geht zudem nicht davon aus, dass viele der Täter zur Rechenschaft gezogen würden.

Stefanie Lohaus im Gespräch mit Thielko Grieß | 11.01.2016
    Demonstration in Köln nach den Übergriffen der Silvesternacht
    Demonstration in Köln nach den Übergriffen der Silvesternacht (dpa / picture-alliance / Oliver Berg)
    Thielko Grieß: Nach der Gewalt gegen Frauen in der Silvesternacht in Köln und in anderen Städten sind mehr als 500 Anzeigen bei der Kölner Polizei eingegangen. Das ist der Stand von gestern Nachmittag. 40 Prozent bezögen sich auf Sexualangriffe. Politiker der Großen Koalition sprechen jetzt von neuen Gesetzen, schärferen Gesetzen. Dabei geht es einerseits um Abschiebung, aber auch um das Sexualstrafrecht. Das enthält Lücken.
    Bestimmte Angriffe und bestimmte Übergriffe stehen nicht unter Strafe in Deutschland. Aber nun nach monatelanger Wartezeit soll ein neues Gesetz kommen und die Politik verspricht Abhilfe für diese Lücken. Köln dient als Beschleuniger.
    In Deutschland erscheint das "Missy Magazine", ein Magazin für Feminismus. Themen darin zum Beispiel aus der Popkultur, aus der Politik, aus der Mode, aus dem Sexualleben, kurz sehr viel Leben in vielen Fassetten. Und eine der Herausgeberinnen heißt Stefanie Lohaus, ist jetzt am Telefon zugeschaltet. Guten Morgen.
    Stefanie Lohaus: Guten Morgen.
    Grieß: Wir haben es gehört: Sexualstrafrecht soll schärfer werden. Ist die juristische Schraube in diesem Fall dann mal fest genug angezogen?
    Lohaus: Ich bin jetzt keine Juristin und ich kenne die genauen Spezifika dieser Gesetzesvorlage, die jetzt durch den Bundesrat geistert, nicht so hundertprozentig. Aber so wie ich es verstanden habe, fehlen da doch schon einige Vorschläge, die von Expertinnen, die sich in dem Bereich sexuelle Selbstbestimmung, sexuelle Gewalt beschäftigen, Juristinnen, aber auch Praktikerinnen, nicht aus, einen vollständigen Schutz der sexuellen Selbstbestimmung zu gewährleisten.
    Grieß: Okay. Es bleiben Lücken erhalten. Die Politik ist nicht fähig, das so zu sehen wie Sie, oder welche Ursachen sehen Sie dafür?
    Lohaus: Na ja. Ich meine, das war schon immer. Wir haben ja eine Große Koalition und das Sexualstrafrecht ist schon immer ein Gebiet großer Auseinandersetzungen. Zum Beispiel auch der Straftatbestand der Vergewaltigung in der Ehe wurde gegen Widerstände durchgesetzt 1997, vor allem aus einem konservativen Spektrum. Wir haben eine Große Koalition und da gibt es Menschen, die möchten nicht, dass das verschärft wird.
    Grieß: Wenn wir uns an den Hashtag Aufschrei erinnern, Frau Lohaus - das ist, glaube ich, ziemlich genau zwei Jahre her -, da ging es um die Einlassungen des FDP-Politikers Rainer Brüderle. Jetzt haben wir diese Diskussion nach Köln. Sie fällt ganz anders aus. Worin sehen Sie die Unterschiede?
    Lohaus: Man muss jetzt einmal noch mal klarstellen, dass Aufschrei nicht von Rainer Brüderle handelte, sondern dass das ein Zufall war.
    Grieß: Bin ich so verstanden worden? Das wollte ich nicht sagen, sondern es war eine Folge.
    Lohaus: Nein, es war auch keine Folge. Das war sogar ein bisschen davor. Es war nicht wirklich eine Folge. Aber egal.
    Was ist der Unterschied jetzt zu Köln? - Na ja, der Unterschied, ich verstehe schon die Frage nicht so richtig. Was meinen Sie mit, was ist der Unterschied zu Köln? Das war ja eine spezifische, quasi sehr spontane Reaktion von vielen Frauen, die sich geäußert haben und ein tabuisiertes Feld angesprochen haben. Vor zwei Jahren war das so.
    Und jetzt ist natürlich der Unterschied: Das ist passiert an Silvester und das erste Mal, dass ich davon mitbekommen habe, war quasi ein Angriff auf mich, dass ich mich noch nicht gemeldet hätte, das "Missy Magazine", durch Birgit Kelle. Eigentlich das Erste, dass ich von Köln überhaupt gehört habe, war, dass mir eine Rechtspopulistin, die ein Buch geschrieben hat, "Dann mach doch die Bluse zu", Frauen sind selber schuld, wenn sie belästigt werden - das deutet das sehr stark an oder sagt dieses Buch aus -, mir erzählt, wir würden uns nicht genügend für diese Frauen einsetzen, und ich hatte davon überhaupt noch gar nichts mitbekommen.
    Grieß: Aber man könnte ja tatsächlich als Defizit feststellen, dass sich für die Opfer von Köln und aus der Silvesternacht in der Diskussion niemand interessiert.
    Lohaus: Richtig, aber Frau Kelle ja auch nicht. Ich finde es fürchterlich, wie momentan das so gedreht wird, dass wir von den Tätern reden, dass ausschließlich das auf den Islam oder die arabische ausländische Herkunft dieser Täter zurückgeschlossen wird - es sind wenige Medien, finde ich, die wirklich gut differenziert reden -, und es überhaupt nicht in den Fokus gerät, was ist denn mit diesen Betroffenen. Und ich meine, die Tatsache, dass das passiert ist in Deutschland, es wird komplett auf etwas Fremdes bezogen, aber in Wirklichkeit ist Köln ja passiert in Köln, in Deutschland.
    Die Polizisten, die Polizistinnen waren nicht in der Lage, die Frauen zu schützen, zum Teil auch sich selber. Es wurden ja auch Polizistinnen angegriffen. Und was die Opfer jetzt erwartet, dass höchst wahrscheinlich - das weiß man ja noch nicht so genau; man muss ja abwarten, was passiert - die Sexualstraftaten keine Straftaten sind, die da verübt wurden, sondern dass dies nach dem geltenden Gesetz nicht unter das fällt, was wir in dem Vorspann gehört haben.
    Das finde ich den eigentlichen Skandal und das interessiert aber auch Erika Steinbach und Birgit Kelle und die ganzen Menschen, die sich da jetzt vermeintlich vor die Opfer stellen, überhaupt nicht.
    "Durch persönlichen Kontakt wird Angst eher abgebaut"
    Grieß: Viel ist die Rede von Angsträumen in Deutschland in diesen Tagen, Frau Lohaus. Und das ist eine persönliche Frage: Erleben Sie diese Angsträume auch?
    Lohaus: Na ja, was ich erlebe - ich finde das ganz interessant. Ich wohne ja hier in Berlin-Neukölln und das ist ja auch ein Ort mit vielen verschiedenen Menschen verschiedener Herkunft, Probleme mit Drogenhandel im Görlitzer Park und so weiter.
    Ich persönlich habe keine Angst irgendwie, hatte ich aber auch noch nie. Ich mache ja auch ganz gegenteilige Erfahrungen. Die arabisch aussehenden Männer sind sehr höflich und helfen mir sehr, den Kinderwagen runterzutragen und so weiter. Ich glaube, durch persönlichen Kontakt wird angst ja eher abgebaut. Ängste sind ja etwas Irrationales, was dadurch entsteht, dass ich eine Situation nicht einschätzen kann. Gleichzeitig will ich natürlich ganz, ganz klar, dass die Politik und der gesamte Apparat, Polizei, Exekutive, Legislative, Judikative, dass alles getan wird, um diese Art von Straftaten in Zukunft zu vermeiden.
    Natürlich! Das ist ja auch genau das Problem, das wir gerade haben mit Rechtspopulisten. Es wird ja ausgesprochen so was wie, wir müssen unsere Frauen beschützen, weiße Männer müssen weiße Frauen beschützen. Das ist unglaublich schlimm und problematisch, weil zum einen heißt das ja, dass andere Frauen oder andere Menschen nicht beschützt werden, und zum anderen ist das ja Selbstjustiz.
    Eine Bekannte von mir hat auf Facebook einen ganz guten Post dazu gebracht. Sie meinte, es ist mal passiert, dass sie in der U-Bahn von jemandem, der nicht weiß ist, belästigt wurde, und dann kamen zwei weiße Männer und haben den rausgezogen und verprügelt. Und sie meinte, das geht halt nicht so. Das ist ein schwieriges Umfeld, was da gerade passiert.
    Grieß: Eindrücke von Stefanie Lohaus und nicht nur Eindrücke, sondern auch Analysen im ersten Teil unseres Gespräches. Ich sage danke schön, Stefanie Lohaus, Mitherausgeberin des "Missy Magazine". Danke schön nach Berlin.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.