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Griechenland
"Dinge sind noch einigermaßen unter Kontrolle"

"Das Referendum ist sicherlich entscheidend", sagte Guntram Wolff von der wirtschaftswissenschaftlichen Denkfabrik Bruegel Institut in Brüssel. Auch wenn sich die Griechen für einen Verbleib im Euro aussprächen, wäre es schwierig, mit der Regierung Tsipras zu einer Einigung zu kommen. "Die Eurogruppe insgesamt hat keine Lust mehr, mit dieser Syriza-Regierung zu verhandeln", so Wolff.

Guntram Wolff im Gespräch mit Jonas Reese |
    Griechenlands Premier Alexis Tsipras am 27.6. 2015 im griechischen Parlament
    Alexis Tsipras lässt die Griechen in einem Referendum über die Gläubigervorschläge der EU abstimmen. (dpa / picture-alliance / Alexandros Vlachos)
    Jonas Reese: Während heute auf politischer Ebene gewissermaßen kaum Veränderungen wahrzunehmen waren, haben die griechischen Bürger sehr wohl die Auswirkungen der gescheiterten Verhandlungen zu spüren bekommen. Ihre Banken blieben geschlossen. Sie waren in Ferien, wie man es dort netterweise gesagt hat. Am Abend gingen allein in Athen mehr als 10.000 Menschen auf die Straßen, um für eine Ablehnung der Reformvorschläge beim geplanten Referendum zu demonstrieren - ein Referendum, über das Ministerpräsident Tsipras gerade noch mal gesagt hat, je stärker die Ablehnung, desto stärker ist die griechische Verhandlungsposition.
    Man muss es sich noch mal ins Gedächtnis rufen: der vergangene Samstag, die letzte Verhandlungsrunde. Die Geldgeber legen einen neuen Kompromissvorschlag vor, mit, wie jetzt nachzulesen ist, großen Zugeständnissen. Doch statt weiter zu verhandeln, bricht Athen die Gespräche einseitig ab und kündigt ein Referendum an. Und das offenbar nicht, weil keine Einigung mehr möglich gewesen wäre. Dicke Luft also in Brüssel und sie ist bislang nur wenig abgezogen.
    Das Vertrauensverhältnis ist zerrüttet. Dennoch bleibt die Tür offen, so der Tenor in Brüssel, und so hat es auch in Berlin heute geklungen, als Kanzlerin Angela Merkel die Partei- und Fraktionsspitzen über die aktuelle Situation informierte.
    Am Telefon ist jetzt Guntram Wolff, Direktor des unabhängigen Thinktanks Bruegel in Brüssel. Guten Abend, Herr Wolff.
    Guntram Wolff: Guten Abend.
    Reese: Herr Wolff, heute ist ja viel von der Schuldfrage die Rede. Die EU-Kommission hat nun den letzten Kompromissvorschlag von Samstag veröffentlicht und entgegen den Behauptungen der griechischen Seite wurden da weder die Renten, noch Gehaltskürzungen verlangt. Er zeigt eigentlich ein starkes Entgegenkommen der Geldgeber. Ist das nun der Beweis, die Regierung Tsipras spielt ein falsches Spiel und ist eigentlich an gar keiner Lösung interessiert?
    Wolff: Nun ja, ich wäre da ein bisschen vorsichtiger. Die Schuldfrage wird natürlich jetzt noch sehr kontrovers in den nächsten Wochen und Monaten diskutiert werden. Ich denke, wenn man sich diesen Text der Gläubiger ansieht, gibt es sicherlich ein paar positive Elemente, aber es gibt sicherlich auch weiterhin Elemente, die es sehr schwer machen für die Tsipras-Regierung, einfach so zuzustimmen. Insbesondere bei den Primärüberschüssen gibt es natürlich weiterhin das Gefühl in Griechenland, auch wenn sie am Ende schon fast zugestimmt haben, dass das zu viel verlangt ist, über 15, 20 Jahre lang dreieinhalb Prozent Primärüberschuss zu haben. Insofern: Ich glaube, das war aus ökonomischer Sicht sicherlich einer der schwierigsten Punkte für die Griechen. Aber es stimmt schon, dass politisch am Ende die Debatte natürlich sehr stark letztendlich um die Renten ging, und wenn man sich das genau ansieht, dann war letztendlich der Unterschied, ob man nun das Rentenalter auf 67 erhöht 2019 oder 2020 oder 2022. Es fällt schwer zu glauben, dass daran alles liegt.
    "Kein Vertrauen mehr in die Regierung Tsipras"
    Reese: Und es wirft ja einen Blick auf die Art und Weise auch, wie die Regierung Tsipras nun in letzter Sekunde damit umgegangen ist. Im eigenen Parlament hat man das Papier komplett verschwiegen und das ist doch gerade auch der Punkt, den jetzt viele Politiker in Brüssel und in Berlin heute erhoben haben, nämlich dass auf Tsipras kein Verlass ist.
    Wolff: Ja. Ich glaube auf jeden Fall, was richtig ist, ist, dass das Vertrauen in diese Regierung nicht mehr da ist und dass es sehr schwer sein wird, selbst wenn es in dem Referendum ein Ja gibt, dann schnell am Verhandlungstisch mit dieser Regierung zu einer guten Einigung zu kommen. Da wird sicherlich der Druck sehr hoch sein, dass man zumindest teilweise eine andere Regierungskonstellation in Griechenland sieht, bevor man überhaupt wieder zurück an den Verhandlungstisch kehrt, und das ist natürlich ein Problem, weil in der ganzen Zeit werden die Banken geschlossen bleiben.
    Reese: Das wäre für Sie auch Grundvoraussetzung, um überhaupt zu einer Einigung zu kommen, dass es quasi neue Personen in Griechenland geben muss? Habe ich Sie da richtig verstanden?
    Wolff: Ja, ich weiß nicht. Das ist nicht meine persönliche Präferenz. Ich persönlich habe da gar keine Meinung zu. Ich glaube, es ist einfach eine Darstellung der politischen Realität. Herr Dijsselbloem hat das sehr deutlich gesagt und ich glaube, die Eurogruppe insgesamt und auch natürlich der Europäische Rat, die Staatschefs, die haben einfach keine Lust mehr, mit dieser Syriza-Regierung zu verhandeln. So würde ich derzeit die Lage einschätzen.
    Reese: Kommt dem Referendum am Wochenende in Griechenland dann vielleicht doch noch eine entscheidende Bedeutung zu?
    Wolff: Ja. Ich denke, das Referendum ist sicherlich entscheidend. Wenn das ein Nein ist, dann ist doch sehr klar, dass Griechenland letztendlich nicht im Euro drin bleiben kann. Das kann man natürlich debattieren, aber ich kann mir eigentlich nur sehr schwer vorstellen, dass Griechenland bei einem Nein im Euro bleibt. Bei einem Ja ist es aber durchaus möglich, dass Griechenland im Euro bleibt. Allerdings bedarf es dann noch mal einiges an gutem Willen auf allen Seiten.
    Reese: Schauen wir noch mal auf die kommenden Tage, Herr Wolff. In gut 24 Stunden läuft ja das Hilfsprogramm der Europartner für Griechenland aus. Bis dahin muss die Athener Regierung rund 1,6 Milliarden Euro an den Internationalen Währungsfonds zurückzahlen. Das wird sie jetzt nicht machen, wie es heute vermeldet wurde. Heißt das, Griechenland ist damit Pleite?
    Wolff: Ja was ist schon eine Pleite oder eine de facto Pleite? In dem Moment, in dem es einen Zahlungsrückstand gibt und man eine harte Zahlungs-Deadline nicht erfüllt, ist man ja schon im Rückstand und das ist insofern schon in gewisser Weise Pleite. Ich denke, realistisch gesehen wird das jetzt alles für eine Woche lang auf Eis gelegt. Intern durch die Kapitalverkehrskontrollen und den Bankenurlaub wird es praktisch keine nennenswerten ökonomischen Aktivitäten geben, die Bankgeschäfte involvieren, und extern wird auch erst mal jeder abwarten, was mit dem Referendum passiert, weil man da auch einfach nicht viel machen kann derzeit.
    "Wir werden Verluste machen"
    Reese: Dann werden aber auch langsam die Forderungen zum Beispiel des EFSF-Rettungsschirms fällig. Die Forderungen werden sich dann in kürzester Zeit auftürmen. Wie wird es dann technisch ablaufen? Wie kann man sich das vorstellen, wenn ein Land Pleite ist?
    Wolff: Ich glaube, technisch ist dann die nächste Deadline die Europäische Zentralbank. Wenn es bis dahin keine Einigung mit den europäischen Geldgebern gibt, dann wird Griechenland nicht fähig sein, die Schulden gegenüber der Europäischen Zentralbank zu bedienen, und in dem Moment haben wir wirklich in der Tat einen klaren Zahlungsausfall gegenüber einer europäischen Institution. Und ich denke, wenn Griechenland dann mit Nein gestimmt hat und es kein neues Hilfsprogramm gibt, dann wird es in der Tat einen harten Zahlungsausfall geben und Griechenland wird graduell aus dem Euro austreten und auch einen Großteil seiner Verpflichtungen gegenüber den internationalen Geldgebern nicht bedienen können. Das heißt, wir werden in der Tat Verluste machen.
    Reese: Wenn wir jetzt heute auf die Reaktion der Märkte schauen: Der DAX ist zunächst um knapp fünf Prozent eingebrochen, hat sich dann aber wieder erholt. Wie interpretieren Sie die Reaktion der Märkte heute?
    Wolff: Ich denke, die Märkte haben heute sehr moderat reagiert alles in allem. Wir sehen zunächst einmal nur relativ geringe Ausschläge bei den Zinsen der Staatsanleihen in anderen Ländern, insbesondere in der südlichen Peripherie. Insofern ist jetzt einigermaßen Ruhe. Ob das so bleibt, das werden wir, glaube ich, erst in den nächsten Tagen sehen. Märkte brauchen da manchmal auch ein bisschen Zeit, um noch stärker zu reagieren. Aber zunächst einmal sind die Indizien in der Tat so, dass die Märkte relativ entspannt sind und auf dieses Ereignis, das ja doch in gewisser Weise jetzt seit Monaten absehbar ist, doch schon vorbereitet waren.
    Reese: Das heißt, Sie würden auch die Ansteckungsgefahr, von der ja im Vorfeld immer die Rede war, als nicht so hoch sehen nach dieser Reaktion heute?
    Wolff: Genau. Ich glaube, davor war die Aussage, die die meisten Ökonomen gefällt haben und ich übrigens auch, dass man nicht weiß, wie hoch die Ansteckungsgefahr ist. Wir sehen derzeit eine relativ moderate Reaktion, was darauf hindeutet, dass die Ansteckungsgefahr vielleicht nicht so groß ist. Aber wir wissen natürlich noch nicht, das Referendum ist noch nicht da, wir sind jetzt in so einem Zwischenstadium, wir wissen noch nicht ganz, was wirklich passiert in den nächsten Tagen. Aber zunächst einmal ist das ein Indiz, dass die Dinge einigermaßen doch noch unter Kontrolle sind.
    Reese: ... sagt Guntram Wolff, Direktor des unabhängigen Thinktanks Bruegel, hier in der Sendung „Das war der Tag" im Deutschlandfunk.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.