Dienstag, 19. März 2024

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Griechenland-Hilfen
"Ein richtiges Klima der Verhetzung"

Die Euro-Sanierungspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel sei offenkundig gescheitert, sagte der Grünen-Politiker Jürgen Trittin im Deutschlandfunk. Das zeige sich nicht nur in Griechenland. Wie vor allem von der "Bild"-Zeitung Stimmung gegen das Land gemacht werde, sei "zutiefst rassistisch und verabscheuungswürdig".

Jürgen Trittin im Gespräch mit Barbara Schmidt-Mattern | 01.03.2015
    Jürgen Trittin von den Grünen
    Jürgen Trittin von den Grünen (imago / IPON)
    Schmidt-Mattern: Bei uns ist Jürgen Trittin, Außenpolitiker und Abgeordneter für die Grünen im Deutschen Bundestag. Herzlich Willkommen. Herr Trittin, am Freitag hat das Parlament mit breiter Mehrheit in Berlin der Verlängerung des Hilfsprogramms für Griechenland zugestimmt. Auch Sie haben "Ja" gesagt, obwohl die Finanzhilfen ziemlich umstritten sind, nicht nur auf politischer Ebene, sondern auch in der deutschen Öffentlichkeit. Von einem "Fass ohne Boden" ist die Rede, wenn es um die Milliarden für Griechenland geht. Warum haben Sie zu der Verlängerung dieses Hilfsprogramms - erst mal geht es ja nur um eine Verlängerung - trotzdem "Ja" gesagt?
    Trittin: Weil ich auch den vorherigen Rettungsschirmen zugestimmt habe. Weil ich es falsch fände, Griechenland - ein Mitgliedsland der Europäischen Union, ein Mitgliedsstaat der NATO - in den Staatsbankrott zu treiben, was übrigens für die deutschen Steuerzahler sehr teuer käme. Und wir werden uns am Ende des Tages auch mit der Frage beschäftigen müssen, die in Deutschland so heftige Reaktionen auslöst, nämlich die Frage eines Schuldenschnittes. Insofern finde ich, das gehört auch zu einer realistischen Botschaft an die Bevölkerung dazu.
    Schmidt-Mattern: Jetzt hat der griechische Finanzminister Varoufakis schon wieder einen Schuldenschnitt selber ins Gespräch gebracht. Das Wort von einem neuen Privatisierungsstopp ist wieder gefallen. Es gibt in den Reihen der Abgeordneten, gerade in der Union, viele laute Bedenken, ob dieser Kurs langfristig so weiter gehalten werden kann, Griechenland mit immer wieder neuen Rettungspaketen zu stützen. Das sind doch alles Einwände, die berechtigt sind, oder nicht?
    Trittin: Nein. Wir finden in Deutschland inzwischen ein richtiges Klima der Verhetzung. Angetrieben durch Kai Diekmanns "Bild"-Zeitung wird das Bild von dem "gierigen Griechen" gemalt. Das ist zutiefst rassistisch - um das mal so deutlich zu sagen - und verabscheuenswürdig. Was ist eigentlich gierig daran, wenn heute eine Million Griechinnen und Griechen ohne Krankenversicherungsschutz dastehen? Wir haben es mit etwas ganz anderem zu tun. Wir haben es damit zu tun, dass offenkundig ist, dass die Sanierungspolitik, wie sie sich Frau Merkel vorgestellt hatte, in den Ländern des Südens gescheitert ist. Anders gesagt: Ausgabenkürzungen, die nicht gleichzeitig begleitet werden durch Investition, durch Wachstum, solche Ausgabenkürzungen führen Volkswirtschaften ins Elend. Und das ist der Grund, warum Herr Rajoy in Spanien keine Aussicht hat, jemals wiedergewählt zu werden - es wird mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Regierungsbeteiligung von Podemos, möglicherweise den Regierungschef durch Podemos geben, es wird auch in Portugal die konservative Regierung aller Voraussicht nach abgewählt werden. Das heißt, wir stehen vor der Situation - alle in Europa -, dass die Politik der Austerität abgelöst werden muss durch eine Politik kluger Strukturreformen, verbunden mit tatsächlichen Investitionen. Und dafür muss man Geld in die Hand nehmen im Europa, und das scheitert zur Zeit noch an der Blockade Deutschlands.
    Es muss mehr investiert werden
    Schmidt-Mattern: Herr Trittin, Sie kritisieren zwar die Bundesregierung dafür, dass Investitionen in Griechenland nicht genug gefördert werden, aber unterm Strich ist es doch so, dass auch Ihre Partei im Bundestag die bisherige Linie, nämlich Griechenland mit Finanzhilfen zu stützen, weiterhin mit stützt. Und Sie fordern zwar mehr Investitionen, aber das setzt sich nicht wirklich durch. Können Sie da mit Ihrer Oppositionsarbeit wirklich zufrieden sein?
    Trittin: Ja, können wir. Man muss immer, da hat Herr Schäuble recht, als er am Freitag gesagt hat: "Man muss sich immer fragen, wenn eine Mehrheit sich so verhalten würde, wie man sich selber verhält" - dann muss man sich also fragen, was dann dabei rauskommt. Das finde ich einen guten Maßstab. Wenn der Deutsche Bundestag sich so verhalten hätte, wäre Griechenland im Staatsbankrott gelandet. Das wäre für Deutschland sehr teuer geworden und für die Griechen noch viel teurer.
    Schmidt-Mattern: Die Politik der Rettungspakete wird voraussichtlich anhalten müssen. Da geht es im Sommer, wenn ein drittes Paket verabschiedet werden dürfte, wieder um Milliardenbeträge. Sehen Sie einen Kasus der eintreten könnte, wo doch der Zeitpunkt für einen "Grexit", sprich für einen Ausstieg Griechenlands aus der Eurozone, erreicht wäre, eine rote Linie, die da erreicht wäre? Sehen Sie diesen Punkt an einer Stelle?
    Trittin: Die damit befassten Institutionen - vormals Troika genannt - haben Griechenland bescheinigt, dass mit den Maßnahmen, die sie jetzt angehen, sie die Schuldentragfähigkeit erreichen werden. Sie haben zum ersten Mal einen Primärüberschuss erwirtschaftet. Sie werden den nicht dauerhaft in dieser Höhe erwirtschaften können - das wissen alle, die realistisch sind. Deswegen habe ich gar keinen Anlass, über diese Frage nachzudenken, weil es natürlich so ist, dass in den Krisenländern es, was die Schuldentragfähigkeit angeht, Verbesserungen gibt. Ich halte es allerdings für zwingend, um aus der Krise rauszukommen tatsächlich, dass in diesen Ländern insgesamt mehr investiert wird und dass das Verhältnis von Leistungsbilanzdefiziten und Überschüssen innerhalb der Eurozone auf einen schmaleren Korridor zusammengeführt wird. Es geht nicht ohne diese Defizite und Überschüsse.
    Schmidt-Mattern: Haben Sie nicht Sorge, dass dieser ganze Kurs der Griechenlandpolitik in Brüssel und Berlin, dass der Parteien stärkt, wie zum Beispiel die AfD, die ja immer wieder auch populistische Töne anschlägt? Wir haben ja auch in anderen südeuropäischen Ländern auf der anderen Seite ebenfalls die Tendenz, dass Parteien vom Rande immer stärker werden. Ist das die richtige Entwicklung?
    Parteien, die wieder Teilhabe ermöglichen wollen
    Trittin: Ich weiß nicht, ob die Beschreibung mit den "Rändern" umfassend genug ist. Die AfD - würde man ihr folgen -, würde den Steuerzahler brutal viel Geld kosten. Wer möchte, dass Deutschland 60 Milliarden Bürgschaften und Kredite in den Kamin schreibt, der muss den Ratschlägen von Herrn Lucke folgen. Wir beobachten, …
    Schmidt-Mattern: … sprich, dass Griechenland sofort austritt.
    Trittin: Ja. Es gibt auf die Austerität nicht nur die Reaktion des "rechten Populismus", sondern auch Bewegungen und Parteien, die eigentlich einen Wert der Europäischen Union wieder einklagen, nämlich eine Politik, die Menschen teilhaben lässt an der Gesellschaft. "Teilhabe ermöglichen", das war mal das Versprechen der Europäischen Union. Und die Verletzung dieses Teilhabeanspruches durch eine völlig überzogene Massenarbeitslosigkeit kreierende Sparpolitik, die hat die Grundlage gelegt für diese Bewegung. Die sind aber nicht antieuropäisch – anders als die rechten Populisten -, sondern die wollen im Grunde genommen das Versprechen des gemeinsamen Europas, was ein Versprechen auf Demokratie, auf Frieden und auf Teilhabe war, diesen Dreiklang wieder ins Ganze setzen. Und deswegen glaube ich, dass man nicht gut daran tut, solche Bewegungen und Parteien mit den "Rechten" gleich zu setzen, auch wenn Syriza die Idiotie begangen hat, eine rechtspopulistische Partei mit zur Regierung zu nehmen. Ich hätte ihnen einen anderen Koalitionspartner angeraten, der auch nicht mit dem alten System verschwägert ist, anders als ihr jetziger Koalitionspartner.
    Schmidt-Mattern: Das Interview der Woche im Deutschlandfunk, heute mit Jürgen Trittin von den Grünen. Das ist die eine große europäische Krise - Griechenland und die Eurokrise -, die andere liegt in der Ukraine. Würden Sie sagen, dass die europäische Krisendiplomatie da besser funktioniert oder tritt nicht gerade - auch mit Blick auf Osteuropa, auf die Ukraine - die Europäische Union auf der Stelle im Moment?
    "Die Kanzlerin hat recht"
    Trittin: Nein, die Europäische Union hat es geschafft, erstens in der Außenpolitik eine gemeinsame europäische Antwort zu finden. Diese Antwort geht aus von der richtigen Erkenntnis, dass diese Krise militärisch nicht zu lösen ist. Das ist eine ein bisschen andere Haltung, wenn man in Europa lebt, als wenn man jenseits des Atlantiks in Washington oder in Kanada ist. Da kann man mal locker über Fragen des Militäreinsatzes und Ähnlichem philosophieren - wir können das nicht.
    Schmidt-Mattern: Sie spielen auf die Frage der Waffenlieferungen an - Angela Merkel ist ja strikt dagegen. Loben Sie die Kanzlerin dafür?
    Trittin: Die Kanzlerin hat recht. Und auf der anderen Seite gilt das eben auch für das Regime der Sanktionen, die wir gegenüber Russland aufgemacht haben und wo wir gesagt haben: "Jawohl, wir sind bereit, über eine Lockerung der Sanktionen zu sprechen, wenn Minsk schrittweise umgesetzt wird". Auf der anderen Seite würden wir eine weitere Verschärfung, eine militärische Eskalation dann eben auch beantworten mit weiteren personenbezogenen oder auch unternehmensbezogenen Sanktionen.
    Schmidt-Mattern: Lassen Sie uns bei der Frage der Waffenlieferungen noch mal bleiben. Da stehen Sie ganz eng an der Seite von Angela Merkel. Ihre Parteifreundin Marieluise Beck hingehen ist ja gar nicht so dezidiert der Ansicht, dass man nicht zumindest diskutieren dürfte über die Frage, ob die Ukrainer sich gegebenenfalls auch selber verteidigen dürfen mit Waffen, die man aus dem Westen zuliefern würde. Wie sehr zerreißt das denn Ihre eigene Partei eigentlich?
    Trittin: Diskutieren darf man immer alles, man muss dann nur zu einem Ergebnis kommen. Und im Ergebnis sind wir nach der Diskussion zu dem Ergebnis gekommen, dass das Angebot und auch die tatsächliche Lieferung von Waffen dazu führt, die Kräfte in der Ukraine zu bestärken, die nach wie vor auf eine militärische Lösung setzen. Und deswegen ist das Ergebnis der Diskussion bei den Grünen sehr einhellig - quer durch alle Strömungen und Lager durch -, dass wir diese Waffenlieferungen für kontraproduktiv ansehen.
    Der Grünen-Politiker Jürgen Trittin beim Interview der Woche.
    Der Grünen-Politiker Jürgen Trittin beim Interview der Woche. (Deutschlandradio / Barbara Schmidt-Mattern )
    Schmidt-Mattern: Auf Ihrem letzten Parteitag war das eine der hochumstrittenen Fragen: Waffenlieferungen. Zwar ging es da nicht um Osteuropa, sondern um den Kampf gegen den IS in Syrien und im Nordirak, aber Ihre Partei bleibt doch da gespalten in dieser Frage. Und man könnte jetzt ja argumentieren: "Im Januar ist Kobane gefallen, möglicherweise doch, weil die Kurden mit deutschen Waffen unterstützt worden sind". Das müsste dann jemanden, wie Ihrem Parteichef Cem Özdemir, ja darin bestärken und in Ihrer Partei eigentlich wieder neue Diskussionen auslösen, dass Sie da doch gar nicht so einig sind in der Frage der Waffenlieferungen, wie Sie jetzt sagen?
    Trittin: Auf unserem Parteitag haben wir die Waffenlieferungen - wie die Fraktion auch - nicht mit knapper, sondern mit sehr deutlicher Mehrheit abgelehnt. Und wir haben ja dann uns den Spaß gemacht oder die Frage gestellt, das ist ja kein Spaß, das ist ein sehr ernstes Thema: Was ist eigentlich mit den Waffen passiert? Die Bundesregierung hat uns diese Frage bisher nicht beantworten können. Sie kann nicht mal ausschließen, dass die Aussagen von Vertretern der kurdischen Seite stimmen, die gesagt haben: 'Wir haben diese Waffen unseren Brüdern von der PKK weitergeleitet' - das ist übrigens eine in Deutschland verbotene terroristische Organisation. Da kann man drüber streiten, ob das klug ist, sie so zu behandeln. Aber Tatsache bleibt: Die Bundesregierung weiß nicht, was mit diesen Waffen passiert ist. Das ist der Grund, warum wir sagen: "Man muss, was Waffenlieferungen angeht, einen äußerst restriktiven Kurs fahren!" Wir brauchen endlich ein Rüstungsexportkontrollgesetz. Wir müssen auch Schluss machen damit, dass wir vermeintliche Alliierte, wie Saudi-Arabien oder Katar, in dieser Weise hochrüsten. Und da haben wir mit der Bundesregierung, mit beiden Parteien der Bundesregierung, eine sehr, sehr scharfe Differenz.
    Schmidt-Mattern: Warum kommt da nicht dezidiert und hörbarer in der Öffentlichkeit Kritik von den Grünen gegen den Kurs der Bundesregierung?
    Trittin: Wir haben mit allem Nachdruck den Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel dafür kritisiert, dass auch weiterhin 60 Prozent der deutschen Waffenexporte nicht an NATO-Verbündete gehen, sondern an andere, dass das überwiegend Kleinwaffen sind, also zum Teil ganz große, und zum Teil Kleinwaffen sind, Kleinwaffen, die in besonderer Art und Weise da sind. Und wir sind nach wie vor diejenigen, die mit einem solchen Gesetz erreichen wollen, dass über Rüstungsexporte nicht mehr im Wirtschaftsministerium entschieden wird, sondern in dem Ministerium, die für die auswärtigen Beziehungen zuständig sind, nämlich im Außenministerium. Diese Kraft hat die Große Koalition bisher nicht gehabt. Und nach wie vor begreifen weite Teile der Koalition Rüstungsexporte als einen Teil von Arbeitsmarktpolitik. Das ist aber keine Arbeitsmarkt- und keine Industriepolitik, das ist die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, um die es dabei geht.
    Schmidt-Mattern: Ich nenne Ihnen ein anderes Beispiel, weil ich gerne nochmal bei der Frage bleiben würde, wie zufrieden Sie mit der Oppositionsarbeit Ihrer eigenen Partei sind in diesen Zeiten der Großen Koalition, wo Union und SPD 80 Prozent Mehrheit im Bundestag haben. Wir hatten diese Woche einen Koalitionsgipfel, die Energiepolitik war dort Thema, der Ausbau von Stromtrassen, vornehmlich in Bayern. Das müsste Sie doch gerade, als grüne Partei auf den Plan rufen, da wesentlich lauter zu protestieren, dass in Sachen Energiepolitik es im Moment in Deutschland nicht richtig vorangeht. Warum sind die Grünen da so seltsam stumm?
    Eine "Große Koalition gegen die Energiewende"
    Trittin: Wir waren nicht stumm, wir haben da sehr deutlich zu Position genommen. "Crazy Horst", der glaubt, dass bei ihm der Strom in Bayern aus der Steckdose kommt, also er blockiert den Ausbau der Windenergie im eigenen Land, er will keinen Windstrom ranlassen und stattdessen überlegt er sich, einen neuen Subventionstatbestand zu schaffen, indem er subventionierte Gaskraftwerke in Bayern errichten will. Das ist einer der Punkte, wo wir sehr aggressiv gegen Kampagnen machen.
    Schmidt-Mattern: Aber sind die Grünen noch die Partei der Energiewende oder haben andere ihnen da nicht längst das Heft aus der Hand genommen?
    Trittin: Es gibt noch eine andere Große Koalition, die "Große Koalition gegen die Energiewende". Sie müssen sich mal vorstellen, wir in Deutschland hatten mal 370.000 Arbeitsplätze in der Branche der erneuerbaren Energien. Mit der Großen Koalition, mit der Novelle des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes, hat Sigmar Gabriel es hinbekommen, dass der Umsatz in der Photovoltaikbranche völlig zurückgegangen ist. Dort sind 40.000 Arbeitsplätze verlorengegangen. Das heißt, wir haben es damit zu tun, dass die Große Koalition daran geht, die Energiewende quasi abzureißen zugunsten der Marktstellung von Unternehmen, die die Zeichen der Zeit weitgehend verschlafend haben. Und das sind ja beide Seiten: Es geht um die Blockade des Ausbaus erneuerbarer Energien, aber es gibt auch keine Bereitschaft der Großen Koalition und des Wirtschaftsministers, die Überkapazitäten auf dem Strommarkt abzubauen. Das heißt, wir haben es zu tun mit einer Koalition, die absolut rückwärtsgewandt ist. Mein schlimmstes Beispiel ist eigentlich die Firma First Solar. Die hat, obwohl die Einspeisevergütung für Photovoltaik immer gesunken sind, in Deutschland noch gute Geschäfte machen können, hat in Frankfurt/Oder 200, 250 Menschen beschäftigt, weil die Module für Freiflächen geliefert haben. Als man gemerkt hat, dass man die nicht kaputt kriegt durch gesenkte Einspeisevergütung, hat man ordnungsrechtlich den Bau von Freiflächen verboten in Deutschland. Das, denkt man, fällt nur Grünen ein, so ein Quatsch - aber den Grünen fällt so was nicht ein. Was macht die Firma First Solar dieser Tage? Die bauen mit Apple in Cupertino das größte Solarfeld der Welt. Diese Industrie haben wir vorsätzlich gewollt mit politischen Maßnahmen aus Deutschland vertrieben. Das ist ein industriepolitischer, nicht nur ein umweltpolitischer Skandal.
    Blick in den Sonnenuntergangshimmel auf die Schornsteine des EnBW Dampfkraftwerkes und Windräder im Karlsruher Rheinhafen bei Sonnenuntergang.
    Eine Politik gegen die Energiewende wirft Trittin der Großen Koalition vor. ( imago/Stockhoff)
    Schmidt-Mattern: Das Interview der Woche im Deutschlandfunk, wir haben heute Jürgen Trittin von den Grünen zu Gast. Herr Trittin, die ganzen Probleme, die Sie jetzt aufgelistet haben, die Verschleppungen der Großen Koalition bei der Energiewende, in der Energiepolitik, das hätten Sie ja verhindern können, wenn Sie mit der Union in eine schwarz-grüne Bundesregierung gegangen wären. War das ein Fehler im Nachhinein, dass Sie das damals nicht gemacht haben?
    Trittin: Nein. Genau daran ist die schwarz-grüne Sondierung gescheitert.
    Im Wesentlichen eine weltliche Partei
    Schmidt-Mattern: Aber Sie hätten jetzt mitgestalten können. Sie wollten gar nicht gestalten?
    Trittin: Nein, die Koalition (…) doch, wir wollten gestalten. Nur wenn uns der vermutliche Koalitionspartner erklärt: "Erstens: Eine Politik gegen die Kohle geht mit uns nicht". Und wenn er uns zweitens erklärt: "Für den ökologischen Umbau ist da weiter kein Geld zur Verfügung" - also das Drama, dass "Crazy Horst", die seit 20 Jahren oder seit fünf Jahren strittige Frage der energetischen Gebäudesanierung weiter blockieren will -, dann will man Grüne in eine Koalition holen, ohne grüne Politik zu machen. Daran sind die schwarz-grünen Sondierungen gescheitert, an dem Punkt, dass genau die Energiewende von denen blockiert worden ist. Und dann müssen wir in die Opposition gehen, und wir können nicht das Feigenblatt für den Abriss der Energiewende abgeben.
    Schmidt-Mattern: Das ist der Rückblick - natürlich müssen Sie auch in die Zukunft schauen. "2017 - Schwarz-Grün im Bund" - bleibt das für Sie Teufelszeug? Oder müssen Sie nicht langfristig über neue Machtoptionen nachdenken? Für Rot-Grün wird es ja erstmal auf absehbare Zeit nicht mehr reichen.
    Trittin: Wir haben vielleicht zwar viele Gläubige, aber im Wesentlichen sind wir eine sehr weltliche Partei, deswegen halten wir andere Konkurrenten auch nicht für Teufel, sondern wir sagen, im Prinzip müssen alle demokratischen Parteien miteinander koalitionsfähig sein. Nur, das entscheidet sich am Ende in der Substanz. Wir hätten heute eine Regierungsbeteiligung mehr, wenn in Sachsen die CDU bereit gewesen wäre, den Kurs des Ausstiegs aus der ostdeutschen Braunkohle zu gehen. Dazu war sie nicht bereit und deswegen sind wir da in der Opposition. Wir sind eine Regierungsbeteiligung mehr mit Thüringen, wo wir ein rot-rot-grünes Bündnis haben, weil die bereit waren, einen Neuanfang in der Inneren Sicherheit zu machen, mehr Geld für Betreuung zur Verfügung zu stellen, also für grüne Inhalte mit geradezustehen. Und genau an solchen Fragen werden auch Koalitionen 2017 entschieden. Aber eines muss man doch an der Stelle klar haben: Es geht um solche inhaltlichen Fragen. Eine Politik, die in Europa weiter daran festhält, Europas Konjunktur und Wirtschaft kaputt zu sparen, die werden Sie nicht mit Grünen machen können. Eine Politik, die sagt: Wir wollen hier jetzt investieren in Klimaschutz, in Energiewende, wir wollen in ressourceneffizientes Wirtschaften investieren, eine solche Politik wird die Grünen immer an ihrer Seite finden. Und das Letzte, was man dazu immer sagen muss: Man muss sich auch - alle Parteien - mal darüber Gedanken machen - oder vielleicht die CDU nicht, die wird sich den Gedanken nicht machen –, aber das ist auch nicht von Gott gewollt - wo Sie "Teufelszeug" gesagt haben -, dass die CDU immer die Kanzlerin oder den Kanzler stellt. Darüber sollte man auch mal nachdenken. Immerhin haben wir es mittlerweile geschafft, dass wir nur noch in vier Ländern schwarze Ministerpräsidenten haben.
    Schmidt-Mattern: In den Ländern funktioniert das ja auch recht erfolgreich in diesen Zeiten für Ihre Partei. Sie sind in acht Landesregierungen beteiligt, demnächst vielleicht mit Hamburg in neun. Aber genau das stellt ja andererseits den Bund in ein ziemlich schlechtes Licht. Warum läuft es in den Ländern so gut und klappt auf Bundesebene irgendwie nicht? Das Profil fehlt Ihnen im Moment als Bundespartei.
    Trittin: Ich würde das anders beschreiben. Es wird auf Dauer keine Regierungsbeteiligung in den Ländern geben, wenn es den Grünen im Bund schlecht geht und umgekehrt.
    Wir müssen uns richtig anstrengen
    Schmidt-Mattern: Es geht den Grünen im Bund doch jetzt schlecht und es gibt Regierungsbeteiligung in den Ländern.
    Trittin: Na ja, wir haben beim letzten Mal das drittbeste Ergebnis in der Geschichte gehabt - das ist auch nicht so richtig schlecht. Aber es war nicht schön. Ich würde es da mehr auf diese Formel bringen. Auf Dauer werden wir uns natürlich auch in den Ländern nicht darauf einrichten müssen. Wir haben sehr schwere Wahlen vor uns in diesem Jahr. Bremen wird vielleicht noch sehr gut gehen; wir haben in Hamburg nicht so viel hinzugewonnen, wie wir alle erhofft haben. Wir sind im Kern unter dem Bundestagswahlergebnis in Hamburg geblieben, trotzdem hat uns das eine Regierungsbeteiligung beschert. Und deswegen gucken wir alle nicht so genau hin. Aber wenn man ehrlich ist, muss man das an der Stelle schon mit festhalten. Und ich freue mich darüber, dass uns trotzdem die Regierungsbeteiligung an der Stelle gelingt - nicht, dass man mich da missversteht. Ich glaube, dass wir bei den Wahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg - unter anderem auch wegen der anhaltenden Schwäche unseres Koalitionspartners im Bund und in den Ländern - richtig uns anstrengen müssen, wenn wir die rot-grüne und die grün-rote Regierung dort behalten wollen. Wir werden auch in Nordrhein-Westfalen herausgefordert. Und das hat auch damit zu tun, dass sich ja auf dem rechten Sektor des Parteienspektrums mit der AfD ein schwerer Konkurrent für die CDU aufbaut. Der es übrigens der Union auch nicht einfacher macht, lagerübergreifende Koalitionen - also beispielsweise mit den Grünen - zu machen, weil das natürlich die AfD stärkt.
    Schmidt-Mattern: Ich würde gerne noch mal bei Ihrer Bundespartei bleiben. Es hat in den letzten Wochen gleich zwei Briefe von der Basis gegeben beziehungsweise aus den Bundesländern, in denen ziemlich scharfe Kritik geübt wird an der Bundesspitze, sprich an der Fraktionsführung und auch der Parteiführung. Es heißt unter anderem in diesen Briefen, die von der Basis der Grünen aus dem ganzen Bundesgebiet kommen, dass die Grünen nicht mehr als soziale Partei wahrgenommen werden würden, dass es wieder mehr Visionen brauche, dass man sich nicht immer nur auf das Machbare beschränken dürfe und einfach nicht so pragmatisch sein dürfe, sondern wieder ein klareres Profil entwickeln müsse. Das sind doch sehr konkrete Vorwürfe, die da geäußert werden. Können Sie das alles einfach so in den Wind schreiben?
    Trittin: Ich würde das nicht in den Wind schreiben, aber ich habe das auch nicht unterschrieben. Das hat damit zu tun, dass ich diese Sichtweise so nicht teile. Ich glaube, man muss aufpassen, dass man über den Frust des Stillstandes der Großen Koalition, die ja, nachdem sie Mindestlohn und Rente mit 62 - also erst mal Wahlversprechen umgesetzt hat, das kann man ihr ja gar nicht vorwerfen, die sind dafür gewählt worden, das zu machen -, faktisch in einem Stillstand ist. Dass wir mit der Energiewende nicht vorankommen, außer im Schlechten, dass der Frust …
    Schmidt-Mattern: Bleiben wir bei Ihrer Partei, Herr Trittin.
    Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz und die Spitzenkandidatin von Bündnis 90/Die Grünen für die Hamburger Bürgerschaftswahl, Katharina Fegebank
    In Hamburg sind die Grünen bald wieder mit an der Regierung: Erster Bürgermeister Olaf Scholz und die Spitzenkandidatin von Bündnis 90/Die Grünen, Katharina Fegebank (dpa / Christian Charisius)
    Trittin: … darüber, sozusagen dann ein bisschen bei der eigenen Partei abgeladen wird, das würde ich so nicht unterschreiben. Die Grünen sind eine Partei, die sowohl in den Ländern, wo sie regieren in der realen Politik - wir haben gerade in Niedersachen zum Beispiel - wo Sie das mit dem Sozialen sagen - auf dem Parteitag ohne … nein, mit einer Gegenstimme beschlossen, eine Erbschaftssteuerreform, die Mehreinnahmen bringt und die Einführung der Vermögenssteuer, ähnliche Beschlüsse sind in Nordrhein-Westfalen gefasst worden.
    Schmidt-Mattern: Jetzt kommen Sie wieder auf die Länderebene. Ich würde gerne bei Ihrer Bundesspitze bleiben.
    Trittin: Ja, ich wollte nur mit dem Blick darauf, was die Grünen sind, hinweisen.
    Schmidt-Mattern: Sind Sie restlos zufrieden mit der Arbeit Ihres Führungsquartetts auf Bundesebene?
    Keine Tabus bei Machtoptionen
    Trittin: Ja, natürlich. Ich bin damit hochzufrieden. Und wir werden im Herbst Neuwahlen des Fraktionsvorstandes haben, und ich bin ziemlich sicher, dass die beiden mit einem guten Ergebnis wiedergewählt werden. Und wie sich die Sache sortiert, mit Blick auf die Parteispitze, wissen wir noch nicht. Da ist es vielleicht noch ein bisschen früh, darüber zu philosophieren. Aber auch da glaube ich, dass unterm Strich wir hier keine Veränderungen haben werden. Aber wir werden natürlich eine Diskussion darüber haben, wo die Richtung der Partei hingeht. Das ist immer so: Parteien, die aufhören …
    Schmidt-Mattern: … Hin zur Linkspartei vielleicht? Sie müssen ja auch über künftige Machtoptionen nachdenken.
    Trittin: Ja, ich bin auch dafür, dass wir über künftige Machtoptionen nachdenken. Und ich bin auch dafür, dass wir keine Tabus an dieser Stelle haben. Ich sehe, dass in Thüringen die Linkspartei, nachdem sie sich entschlossen hat, jetzt zu regieren, von einer solchen Entschlussfreudigkeit ist, die Linkspartei im Bund, im Bundestag noch sehr weit entfernt - das ist da schwer umstritten. Sie haben am Freitag einen Schritt in die Realität getan, als sie dem Wunsch der griechischen Regierung, diesem Paket zuzustimmen, gefolgt sind. Es hat auch Druck aus Erfurt gegeben, und insofern weiß ich nicht, ob die Haltung derjenigen innerhalb der Linken, die auf keinen Fall regieren wollen, auf Dauer mehrheitsfähig sein wird. Aber ich bin auch nicht so naiv, um zu sagen: Die sind noch nicht so weit. Und wenn man diese Entwicklung sieht, dann ist es nicht ausgeschlossen, dass sie sich so sortieren. Aber dafür sind wir von 2017 noch ein Stück weit entfernt, dass man das Sicherheit …
    Schmidt-Mattern: Wie sortieren Sie sich selber für 2017? Kehrt Jürgen Trittin noch mal zurück an die Spitze der Grünen?
    Trittin: Dazu sage ich: Ich habe ja zweimal die Grünen in Wahlkämpfe geführt - einmal mit dem besten Ergebnis der Grünen-Geschichte, einmal mit dem drittbesten Ergebnis der Grünen-Geschichte -, ich will das nicht ein drittes Mal machen'.
    Schmidt-Mattern: Warum nicht?
    Trittin: Weil man immer Perspektiven haben muss, die dann bis zum Ende der darauffolgenden Legislaturperiode gehen, und 2021, da will man sich auch mal überlegen, ob man in dem Alter noch so was machen will.
    Schmidt-Mattern: Aber wenn Ihre Partei Sie nochmal fragen würde, würden Sie nicht 'Nein' sagen?
    Trittin: Ich habe bisher immer vermieden, auf Fragen wie "wenn … dann" zu antworten, …
    Schmidt-Mattern: … das können Sie ja jetzt machen ...
    Trittin: … weil das ist eines der Unsitten im Berliner Politikbetrieb, dass man über Dinge spekuliert, ohne die Grundvoraussetzungen zu kennen. Ein Teil des Rufes ist - und das kann man von der Kanzlerin lernen -, man entscheidet die Dinge immer erst, wenn man alle Fakten kennt.
    Schmidt-Mattern: Gut, ein Dementi war das nicht. Jürgen Trittin war zu Gast im Interview der Woche im Deutschlandfunk. Vielen Dank.
    Trittin: Danke.