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Haftungsrechtler zum Fall Stadler
"Neue strafrechtliche Dimension im Diesel-Skandal"

Mit Rupert Stadler ist im Diesel-Skandal zum ersten Mal eine Person aus der obersten Führungsetage festgenommen worden. Die U-Haft hält der Spezialist für Haftungsfragen, Carsten Wettich, für eine schwerwiegende Maßnahme. Dem Audi-Chef drohten trotz Versicherung hohe ökonomische und persönliche Schäden, sagte er im Dlf.

Carsten Wettich im Gespräch mit Birgid Becker | 18.06.2018
    Rauch strömt aus dem Auspuff eines Autos
    Die Festnahme des Audi-Chefs Rupert Stadlers könne man als Wendepunkt im Vorgehen der Justiz in Deutschland im Dieselgate-Skandal beurteilen, sagte Carsten Wettich im Dlf (Imago)
    Birgid Becker: Mitgehört hat der Rechtsanwalt Carsten Wettich. Guten Tag.
    Carsten Wettich: Guten Tag, Frau Becker.
    Becker: Herr Wettich, Sie sind Partner in einer, auf den Bereich Gesellschaftsrecht spezialisierten Kanzlei. Ihr Schwerpunkt liegt bei den sogenannten D&O-Haftungsfragen. D&O – das steht für Directors and Officers, ganz allgemein für das Führungspersonal. Rupert Stadler, der Audi-Chef, in Haft. Ist das ein Wendepunkt im Vorgehen der Justiz, der Justiz in Deutschland im Dieselgate-Skandal?
    Wettich: Das kann man sicherlich so sehen. Sie hatten es ja gerade in Ihrem Beitrag schon geschildert. Es laufen seit längerem verschiedene Ermittlungsverfahren in Braunschweig und Stuttgart, die sich auch bereits gegen amtierende Vorstandsmitglieder unter anderem richten. Es ist aber erstmals so, dass jetzt die Staatsanwaltschaft München Haftbefehl beantragt hat gegen ein amtierendes Vorstandsmitglied von Volkswagen, der zugleich auch Vorstandsvorsitzender bei Audi ist. Das ist sicherlich eine neue strafrechtliche Dimension im Dieselskandal, denn die Staatsanwaltschaft und ja auch der Richter, der den Haftbefehl dann antragsgemäß erlassen hat, muss in Bezug auf Herrn Stadler und das weitere Vorstandsmitglied den dringenden Tatverdacht einer Straftat sehen, wohl ja wegen Betruges und mittelbarer Falschbeurkundung.
    Becker: Dass ein amtierender Vorstandsvorsitzender festgenommen wird, dass er in U-Haft kommt, das ist in Deutschland ja durchaus eine Seltenheit, oder? An den früheren Postchef erinnert man sich ja noch. Fast zehn Jahre ist das her. Aber ansonsten?
    "Die Staatsanwaltschaft muss sich sehr sicher sein"
    Wettich: Völlig richtig. Das kommt in Deutschland in der Tat sehr selten vor. Warum ist das so? – Sicherlich insbesondere die hohe Öffentlichkeitswirkung, die ja jetzt auch aktuell der Haftbefehl gegen Herrn Stadler hat, führt dazu, dass Staatsanwaltschaften sich das gut überlegen, in aller Regel nur dann machen, wenn sie sicher sind, dass an dem Verdacht der Straftat etwas dran ist, und ihr auch konkrete Beweise für eine Strafbarkeit vorliegen. Sie haben Herrn Zumwinkel genannt. Das ist sicherlich ein sehr bekannter Fall. Damals sind seine Privaträume durchsucht worden. Es gab wohl auch einen Haftbefehl; der ist aber, glaube ich, nie in Vollzug gesetzt oder jedenfalls schnell aufgehoben worden, weil Herr Zumwinkel relativ schnell nach der Durchsuchung eine umfassende Aussage getätigt hat. Das ist vielleicht ein Punkt, der auch hier eine Rolle spielen könnte. Staatsanwaltschaften nutzen das Instrument des Haftbefehls und der Untersuchungshaft bei prominenten Personen bisweilen, um eine Art Druck aufzubauen und sie zu einer schnellen Aussage zu bewegen, die die betroffene Person sonst nicht so schnell machen würde. Das war zum Beispiel damals im Fall Zumwinkel wohl der Fall. Die damalige zuständige Staatsanwältin war jedenfalls bekannt für dieses Vorgehen. Ob das jetzt hier eine Rolle spielt, kann ich natürlich nicht genau sagen, aber ich halte das durchaus für möglich.
    Becker: Diese U-Haft unter dem Vorwurf, da drohe Verdunklungsgefahr, das ist ja in der Tat – Sie haben es eben umrissen – keine harmlose Waffe der Justiz, oder?
    Wettich: Genau, völlig richtig, weil ein Stück weit zwei Vorwürfe zusammenkommen müssen. Es muss immerhin schon ein dringender Tatverdacht vorhanden sein für eine Straftat und es muss der dringende Verdacht hinzukommen, dass Herr Stadler auf Mitbeschuldigte oder auf Zeugen negativ einwirken wird, sie in ihrer Aussage beeinflussen könnte. Das war anders als bei Zumwinkel. Damals war es "nur" die Fluchtgefahr. Da stimme ich Ihnen zu, ja.
    Manager-Versicherung könnte nicht ausreichen
    Becker: Ich sagte es: Ein Schwerpunkt Ihrer Kanzlei, das sind Haftungsfragen für und bei Spitzenmanagern. In der Regel sind diese Spitzenmanager ja versichert. Was decken denn solche D&O-Policen ab?
    Wettich: Die D&O-Policen sind quasi flächendeckend verbreitet in Deutschland, nicht nur bei großen Aktiengesellschaften von börsennotierten Unternehmen wie Volkswagen, sondern eigentlich auch im Mittelstand. Sie schützen das Organmitglied gegen zivilrechtliche Inanspruchnahmen, sowohl (das ist der Regelfall) die Inanspruchnahme durch die Gesellschaft selbst, hier die Volkswagen AG oder die Audi AG, aber auch durch Dritte. Letztendlich gibt es dort zwei Ausprägungen. Zum einen stellt die D&O-Versicherung ein Vorstandsmitglied, das bei der Ausübung seiner Organtätigkeit eine Pflichtverletzung begangen hat, von Schadensersatzansprüchen in aller Regel frei. Hinzu kommt die sogenannte Abwehrdeckung. Sie übernimmt die Kosten der zur Abwehr unbegründeter Ansprüche erforderlichen Maßnahmen. Das sind in aller Regel insbesondere die Kosten der Rechtsberater.
    Becker: Das war jetzt kompliziert, Herr Wettich. Wenn wir anders herum fragen: Was droht denn gegebenenfalls Rupert Stadler, was eine D&O-Versicherung, eine D&O-Police nicht abdeckt?
    Wettich: Er hat wahrscheinlich zwei Probleme. Das eine ist relativ einfach zu verstehen. Die Deckungssumme ist beschränkt. Das heißt, hier geht es ja um Schäden in Milliardenhöhe. Zunächst nehme ich nur mal das Bußgeld, was in der letzten Woche in Deutschland erlassen worden ist von einer Milliarde. Dann wollen wir noch gar nicht sprechen von den zweistelligen Milliardensummen in den USA. Der Versicherungsschutz ist aber begrenzt. Man kolportiert bei Volkswagen eine Deckungssumme von 500 Millionen. Am Markt bekommen Sie auch nicht viel mehr als sieben, 800 Millionen. Alles was darüber hinausgeht, ist von der Versicherung nicht gedeckt. Das heißt, insoweit haftet Herr Stadler und auch jedes andere Organmitglied, bei dem die Voraussetzungen der Organhaftung vorliegen, unbeschränkt mit dem Privatvermögen. Wir sprechen dann am Ende des Tages davon: Man haftet mit Haut und Haaren.
    Becker: Sie sagten es: Im Fall von Dieselgate sind 500 Millionen, vielleicht, wenn man das kriegt, 700 oder 800 Millionen unter Umständen tatsächlich nicht ausreichend. Das heißt, die landläufige Meinung, dass Spitzenmanager immer fein raus sind und persönlich nicht bedroht sind, die ist dann nicht ganz richtig?
    Wettich: Die ist nicht ganz richtig, völlig richtig, weil es die unbeschränkte persönliche Haftung gibt. Und in diesen großen Schadensfällen, da ist sicherlich Volkswagen ein extremer Fall. Wir sehen aber durchaus auch einige andere. In den letzten Jahren reichte die Deckungssumme nicht aus.
    Es kommt noch ein zweiter Punkt hinzu. Die D&O-Versicherung greift, wie vermutlich auch alle anderen Haftpflichtversicherungen oder Vermögensschaden-Haftpflichtversicherungen, nicht bei Vorsatz und auch nicht bei sogenannter Wissentlichkeit. Das heißt: In den Fällen – und wir sprechen natürlich hier, wenn die strafrechtlichen Vorwürfe zutreffen sollten, über solche vorsätzlichen Themen – zahlt die Versicherung überhaupt nicht, oder zahlt aus und holt sich das Geld dann zurück bei dem Organmitglied.
    Becker: Nun muss man betonen: Der Audi-Chef ist ja nicht verurteilt. Und solange das nicht der Fall ist, hat er wie jeder andere auch als unschuldig zu gelten. Was macht aber, Herr Dr. Wettich, so eine U-Haft mit einem Menschen? Schlimm ist das für jeden. Aber wie sieht es aus, wenn es sich um eine herausgehobene Person handelt, wie das bei Stadler der Fall ist, und wenn das Ganze auch noch im Licht der Öffentlichkeit geschieht?
    "Existenz kann vernichtet sein, bevor es zu einem Urteil kommt"
    Wettich: Ich glaube, da sprechen Sie einen wichtigen Punkt an. Für viele Organmitglieder, die wir beraten, spielt eigentlich das Menschliche, die persönliche Betroffenheit eine deutlich größere Rolle noch als die rechtliche Betroffenheit, weil letztere relativ abstrakt ist. Es droht ihm dann irgendwann in ein paar Jahren vielleicht eine Inanspruchnahme, eben die Untersuchungshaft, und ich sage mal, in allen Zeitungen, im Radio, im Fernsehen über sich selbst auf Seite eins zu lesen, ist im Zweifel viel schlimmer. Untersuchungshaft ist sicherlich etwas, was niemand erleben möchte, aber erst recht nicht, wenn ich das selbst auch noch in der Zeitung lese. Ich hatte ja auch schon gesagt, dass nutzen auch Staatsanwaltschaften gelegentlich aus.
    Becker: Auch ohne Urteil - eine bürgerliche Existenz, die ist auf diese Weise schon zu beschädigen?
    Wettich: Absolut. Wir erleben tatsächlich Fälle, in denen so eine Öffentlichkeit zu einer gewissen faktischen Vorverurteilung führt, und ob dann in drei, vier, fünf Jahren, wenn das Urteil da ist, genauso darüber berichtet wird, wenn sich ein Verdacht zum Beispiel nicht bestätigt im straffälligen Sinne, oder auf der zivilrechtlichen Ebene einen Schadensersatzanspruch nicht begründet war und eine Klage abgewiesen wird, das ist leider nicht immer der Fall. Da kann schon durchaus die Existenz vernichtet sein, bevor es zu einem Urteil kommt. Es gibt den tragischen Fall des ehemaligen Vorstandsmitglieds von Siemens, Neubürger, der sich dann letztendlich selbst umgebracht hat, und dort spielten ja wohl auch durchaus diese negativen Öffentlichkeitswirkungen im Zusammenhang mit dem Siemens-Skandal damals eine große Rolle.
    Becker: Danke! – Der Düsseldorfer Fachanwalt Carsten Wettich war das. Danke Ihnen, einen schönen Abend.
    Wettich: Vielen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.