Samstag, 20. April 2024

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Hans Eichel: Finanzmärkte sind aus den Fugen geraten

Hans Eichel fordert angesichts der Krise auf den internationalen Finanzmärkten zum Handeln auf. Er rate der europäischen Finanzpolitik durchzusetzen, was sie seit Längerem fordert: "andere Regeln an den Finanzmärkten, die dafür sorgen, dass es dort wesentlich solider zugeht", sagte der SPD-Politiker und frühere Bundesfinanzminister.

Moderation: Sandra Schulz | 20.03.2008
    Sandra Schulz: Das Vokabular bleibt das gleiche, doch die Nervosität scheint zu wachsen. Gestern hat Finanzminister Steinbrück erneut auf den Ernst der Lage an den internationalen Finanzmärkten hingewiesen, aber auch erneut vor Panik gewarnt. Anzeichen für wachsende Nervosität oder nicht, klar ist: Für Überraschung hat der Vorstoß des Deutsche-Bank-Chefs Josef Ackermann gesorgt. Zwar hat er seine Äußerung, er glaube nicht mehr an die Selbstheilungskräfte der Märkte, in einem Interview gegenüber der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" relativiert. Trotzdem hat er damit eine neue Debatte über die Rolle des Staates ausgelöst. Unter anderem darüber möchte ich sprechen mit dem früheren Finanzminister Hans Eichel. Guten Morgen!

    Hans Eichel: Guten Morgen, Frau Schulz!

    Schulz: Herr Eichel, was ist wichtiger - das geschäftliche Vertrauen an den Märkten oder das gesellschaftliche Vertrauen in die Märkte?

    Eichel: Das eine geht gar nicht ohne das andere. Wenn das gesellschaftliche Vertrauen in die Märkte schwindet, wird es auch kein Vertrauen mehr an den Märkten geben, und dann werden die Geschäfte schlecht laufen. Mit dieser Situation haben wir es gegenwärtig zu tun - natürlich!

    Schulz: Das heißt, das Vertrauen bröckelt, wenn sogar Bänker Zweifel äußern?

    Eichel: Ja. Her Ackermann, mit dem ich auch darüber geredet habe, hat gesagt, er habe das auf Amerika gemünzt, und Amerika handelt ja auch. Und in der Tat: Ausgangspunkt der Krise ist diesmal Amerika und dort eine unglaublich leichtfertige Kreditvergabe für den Bau von Häusern.

    Schulz: Sprechen wir über die Konsequenzen in Deutschland: Die Bundesregierung hat gestern einen staatlichen Eingriff ja erneut abgelehnt. Wie schätzen Sie diese Entscheidung ein?

    Eichel: Ich finde das richtig, und der Bundesbankpräsident hat ja ganz deutlich gemacht in Antwort auf Herrn Ackermann, der das wie gesagt aber auf Amerika gemünzt haben will, dass zunächst die Institute in der Pflicht sind, und genauso ist das. Wir leben in einer freien Wirtschaft, aber einer sozial verpflichteten, und da fängt übrigens das Problem an. Ich denke, in den Finanzmärkten ist einiges aus den Fugen geraten, und insbesondere die Jagd nach irrsinnig hohen Profiten zeigt jetzt ihre Kehrseite, nämlich irrsinnig hohe Risiken. Deswegen wird es neue Regeln geben müssen. Vor allen Dingen wird man diese enormen kreditfinanzierten Transaktionen - etwa bei Hedgefonds, auch zum Teil auch bei Private Equity Fonds - in Zukunft so nicht mehr haben. Man wird sie auch nicht mehr haben dürfen, und man wird über neue Eigenkapitalregeln nicht nur reden, sondern entscheiden müssen.

    Schulz: Ist das ein Problem, das nur in den Vereinigten Staaten von Amerika anzutreffen ist oder auch hier?

    Eichel: Konkret geht es von Amerika aus, aber das weltweite Finanzsystem ist voneinander abhängig, und die Regeln sind ein Problem des gesamten weltweiten Finanzsystems. Was man sagen kann, ist, dass Europa in diesem Punkt eigentlich bewusster ist als bisher die angelsächsische Welt, und ich hoffe, dies rüttelt die angelsächsische Welt wach und führt dazu, dass wir uns neue vernünftigere Regeln geben.

    Schulz: Es hat viel Applaus gegeben für die Interventionen der US-amerikanischen Finanzpolitik, für das Konjunkturprogramm, für die Senkungen des Zinssatzes. Warum ist das in Amerika richtig und in Europa, in Deutschland brauchen wir keine weiteren Schritte?

    Eichel: Weil das Problem in Amerika zuallererst liegt. Und das ist auch nur dann richtig, wenn es gefolgt wird jetzt von einer Veränderung - und zwar grundlegenden Veränderung - der Regeln, denn jetzt geht es in Amerika darum, sozusagen mit der Feuerwehr kurzfristig den Brand zu löschen, aber man muss anschließend dafür sorgen, dass ein solcher Brand nicht wieder entsteht. Diese Fehler ist in Zinsfest-Zeiten gemacht worden, wo die Regeln nicht verschärft worden sind, und die Folgen des lockeren Geldes haben wir dann gesehen. Und jetzt haben wir wieder das ganz lockere Geld, das im Moment notwendig ist, aber es müssen jetzt dringend auch die Konsequenzen gezogen werden.

    Schulz: Brauchen wir auch in Deutschland strengere Regeln für die Transparenz?

    Eichel: Wir brauchen auch in Deutschland strengere Regeln. Es hat bisher - und ich hoffe, das bleibt auch so - vergleichsweise in Deutschland weniger getroffen. Das heißt aber nicht, dass wir nicht zum Beispiel auch Grund haben, darüber nachzudenken: Wie sieht das denn mit dem Risikomanagement der Banken aus, und wieso verlässt man sich blind auf die Rating-Agenturen? Deren Verhalten ist ja auch ganz entschieden in die Kritik geraten. Und so hat man dann Risiken angehäuft, die man überhaupt nicht tragen kann. Im Moment trifft es in Europa am allerhärtesten die größte Schweizer Bank, die UBS.

    Schulz: Von den Selbstheilungskräften hat Josef Ackermann gesprochen. Wäre es nicht wichtiger, sozusagen das Immunsystem der Finanzmärkte zu verbessern?

    Eichel: Ja, richtig. Das heißt also die Risikovorsorge muss wesentlich größer sein, und die Profite, die gemacht werden können, werden in dieser Größe, weil sie so enorme Risiken in sich tragen, nicht gemacht werden können. Das wird dann übrigens auch noch andere Folgen haben: Die zum Teil extrem hohen irrsinnigen Gehälter einzelner Manager wird es dann auch nicht mehr geben, und das wird nur gut sein.

    Schulz: Wie soll das durchgesetzt werden, dass es diese Managergehälter nicht mehr gibt?

    Eichel: Das muss international durchgesetzt werden. Es gibt das Regelwerk Basel II, und das ist ja in Amerika noch gar nicht durchgesetzt. Wir werden ein weiteres Regelwerk Basel III benötigen, um insbesondere bei den hoch spekulativen Transaktionen - ich sage von Hedgefonds, von Private Equitiy Fonds - neue Regeln einzuziehen, wesentlich mehr Eigenkapital zu unterlegen. Und die Amerikaner insbesondere müssen Basel II erst einmal anwenden. Dann wären solche Kreditvergaben, die die Grundlage für diese ganze Krise geschaffen haben, gar nicht möglich.

    Schulz: Und mit welchen Argumenten kann man die Amerikaner davon überzeugen?

    Eichel: Die erleben es doch am eigenen Leibe jetzt. Das heißt Amerika ist womöglich in der Rezession, und das bedeutet doch nichts anderes, als das ganze Volk zahlt für diese leichtfertige Kreditvergabepraxis.

    Schulz: Und welchen Rat geben Sie der europäischen Finanzpolitik? Müssen wir im Blick behalten die Diskrepanz zwischen den Zinssätzen?

    Eichel: Ja, das schon. Aber ich kann der europäischen Finanzpolitik nur den Rat geben, ganz entschieden das, was sie seit Längerem fordert, jetzt aber auch durchzusetzen, nämlich andere Regeln an den Finanzmärkten, die dafür sorgen, dass es dort wesentlich solider zugeht.

    Schulz: Vielen Dank für diese Einschätzungen. Das war der frühere SPD-Finanzminister Hans Eichel.