Dienstag, 14. Mai 2024

Archiv


"Hartz IV muss überwunden werden"

Ungeachtet der Änderungspläne der SPD für die Agenda 2010 sieht Linkspartei-Chef Lothar Bisky weiterhin große Differenzen zwischen seiner Partei und den Sozialdemokraten. Die Kritik an der Agenda 2010 beziehe sich nicht allein auf die verkürzte Auszahlung von Arbeitslosengeld I. "Hartz IV muss überwunden werden, und dabei bleiben wir", sagte Bisky.

Moderation: Stefan Heinlein | 24.10.2007
    Stefan Heinlein: Der Machtkampf ist also vorerst entschieden. Schon vor dem Parteitag an diesem Wochenende ist klar: Kurt Beck hat die Zügel bei den Sozialdemokraten fest in der Hand. Das klare Votum der SPD-Spitze zu Wochenbeginn stärkt dem Vorsitzenden den Rücken. In Hamburg wird es keine Überraschungen von den Delegierten geben. Kurt Beck ist auf dem geraden Weg zur Kanzlerkandidatur.

    Innerhalb der Koalition jedoch dürfte es schwierig werden, die Beschlüsse zur Verlängerung des Arbeitslosengeldes in Reinform umzusetzen. Die Union beharrt auf ihren Vorstellungen. Die bevorstehenden Verhandlungen im Koalitionsausschuss dürften also schwierig werden. Dennoch ist Kurt Beck zufrieden. Das soziale Profil seiner Partei in der Regierung ist nach außen hin geschärft. Der Bedrohung von links wird Paroli geboten.

    Lothar Bisky ist Bundesvorsitzender der Linkspartei. Guten Morgen nach Berlin!

    Lothar Bisky: Guten Morgen, Herr Heinlein!

    Heinlein: Herr Bisky, haben Sie Kurt Beck im Machtkampf mit Franz Müntefering die Daumen gedrückt, oder hat Sie das gar nicht interessiert?

    Bisky: Ich habe den Leuten die Daumen gedrückt, die betroffen sind. Verlängerung des Arbeitslosengeldes I ist etwas, was wir seit langem fordern, und wenn Kurt Beck das jetzt fordert, nachdem mit der Agenda 2010 es abgeschafft, verkürzt wurde, dann sage ich das ist wunderbar. Das ist für mich das Entscheidende. Die anderen Dinge soll die SPD untereinander ausmachen.

    Heinlein: Heißt das Sie werden im Bundestag für die mögliche Verlängerung des Arbeitslosengeldes stimmen, sollte sich die SPD mit ihren Vorstellungen innerhalb der Koalition durchsetzen?

    Bisky: Ja, das ist klar, denn wir sind dort eindeutig. Wir bleiben bei dem auch, was wir seit 2005 in den Wahlkämpfen gesagt haben. Ich ändere nicht täglich meine Meinung, weil: Die Leute brauchen eine gewisse Verlässlichkeit. Wir haben gesagt, die Agenda 2010 ist nicht die Grundlage für soziale gerechte Politik auf Dauer, und Hartz IV muss überwunden werden, und dabei bleiben wir.

    Heinlein: Also können Sie die SPD zurzeit loben?

    Bisky: Ich lobe diesen Beschluss, der ja von der SPD eingeleitet wurde. Das ist das Problem. Aber wenn man sich korrigiert, wenn man in der Lage ist, die Fehler einzusehen und zu sagen, das war falsch, der Kurs ist falsch, dann habe ich Respekt davor. Das will ich eindeutig sagen. Ich werde nicht zu denen gehören, die am Rande stehen und sagen, die haben einen Fehler gemacht und haben ihn korrigiert, wie schlimm das ist. Nein, es ist gut, wenn man Fehler korrigiert. Aber die Agenda 2010 besteht nicht aus dieser Einzelmaßnahme, sondern da gibt es noch eine Reihe anderer Dinge, und dann gibt es immer noch die Hartz-IV-Gesetzgebung, und Sie wissen, dass wir da sehr kritisch dazu sind.

    Heinlein: Herr Bisky, Ihnen wird auch aufgefallen sein, wenn Sie die SPD beobachten, diese Partei rückt nach links mit Kurt Beck. Das soziale Profil wird ausdrücklich betont. Bleibt denn da für Sie noch Platz?

    Bisky: Ja. Für uns bleibt Platz, solange wir in den beiden Grundfragen, also Soziales, gegen Sozialabbau, und in der Frage Krieg/Frieden, eindeutige erkennbare realistische Positionen in der Öffentlichkeit vertreten. Und das werden wir tun. Wir haben ein eindeutiges Profil. Das unterscheidet sich von der SPD. Und auf der linken Seite ist zurzeit in Deutschland viel Platz.

    Heinlein: Ihr Profil ist aber auch noch das einer linken, einer reinen Protestpartei. Eine linke Volkspartei SPD könnte Ihnen ja durchaus das Wasser abgraben?

    Bisky: Nein. Wir sind nicht die reine Protestpartei. Ich sehe das etwas anders. Wir sind, glaube ich, die neue Linke, die die ideologischen Verkrustungen und die anderen Verkrustungen des 20. Jahrhunderts nicht mehr als Maßstab nimmt, sondern versucht, soziale Politik im 21. Jahrhundert zu entwickeln, und sich den Herausforderungen der Gegenwart stellt. Protest gehört dann natürlich auch dazu. Das ist wahr. Aber darauf beschränken wir uns nicht. Wir haben konstruktive Vorschläge. Davon versuchen wir, die Öffentlichkeit zu überzeugen. Wenn es denn darum geht, Verantwortung zu übernehmen auf kommunaler Ebene, auf Landesebene, dann sind wir auch dabei. Das ist öffentlich bekannt. Dafür werden wir gelobt und kritisiert. Also reiner Protest ist nicht charakteristisch für die Linke.

    Heinlein: Die SPD hat ja die Vorschläge des DGB in Sachen Arbeitslosengeld fast im Original übernommen. Bisher gab es ja viele Sympathien der Gewerkschafter mit Ihrer Partei, mit Ihrer Partei der Linken. Ist dieser Trend nun gestoppt?

    Bisky: Das glaube ich nicht, weil: Der DGB hat ja seine Erfahrungen, und ich finde es ist gar nicht schlecht, wenn linke Parteien bestimmte vernünftige Forderungen des DGB unterstützen. Da fühle ich mich nicht in einem Konkurrenzkampf, sondern da sage ich, das wäre doch eine Stärkung jener Kräfte, die mehr soziale Gerechtigkeit in der Gesellschaft durchsetzen wollen, auch mit Gewerkschaften. Damit habe ich überhaupt keine Probleme.

    Heinlein: Ihre Genossin Petra Pau hat sich laut gefreut über den Linksschwenk der Sozialdemokraten. Sie sagte, die Chancen auf eine Koalition mit der SPD seien gestiegen. Ist Ihre Partei schon auf Brautschau?

    Bisky: Also ich bin verheiratet. Nein, wir sind nicht auf Brautschau. Ich denke die entscheidende Frage für uns ist, was kann man verändern? In diesem Falle, glaube ich, gibt es doch heftige Differenzen noch, auch wenn es in dem einen Punkt Verlängerung Arbeitslosengeld jetzt eine Übereinstimmung geben sollte oder eine fast Übereinstimmung. Da muss ich doch sagen, es gibt weiterhin große Differenzen. Das ist die ganze Hartz-IV-Gesetzgebung. Es gibt eine Reihe anderer Fragen, etwa was Militäreinsätze anbelangt. Da sehe ich im Moment kein Land, aber das muss auch nicht sein.

    Für die Zukunft wird für uns immer die Frage entscheidend sein, was können wir im Interesse der Wählerinnen und Wähler, im Interesse der Menschen im Lande verändern? Danach werden wir uns verhalten. Nicht ob es Regieren oder Nicht-Regieren ist. Ich glaube, es gibt viele Möglichkeiten in der Demokratie, seine Meinung deutlich zu machen. Möglicherweise ist manchmal auch der Einfluss, den wir gegenwärtig haben, sehr wichtig. Man merkt, dass bestimmte soziale Forderungen, die wir aufstellen, einen Druck erzeugen, der andere in eine Richtung bringt, die vielleicht in unsere Richtung geht. Das ist auch eine wichtige Frage der Opposition.

    Heinlein: Sind rot-rote Koalitionen in den Bundesländern auch im Sinne der Wähler, die Sie ja ausdrücklich, wie Sie gesagt haben, im Auge haben?

    Bisky: Da gibt es ja eindeutige Befragungen auch. Das ist nun von Bundesland zu Bundesland verschieden. Das hängt ja auch davon ab, ist es im Osten, ist es im Westen.

    Heinlein: Reden wir, Herr Bisky, über Hessen und Niedersachsen. Das sind die nächsten Bundesländer, in denen gewählt wird.

    Bisky: Ja, ja! Ich sage, das wird aber unterschiedlich etwas gesehen. Dennoch sage ich aber natürlich, die Linke tritt an, um Veränderungen, soziale Veränderungen hervorzurufen. Ich glaube, dann sollte sie auch bereit sein, wenn es denn Möglichkeiten der Veränderung gibt, diese einfach in Angriff zu nehmen und nicht für ewige Zeiten zu sagen, mit uns nie, oder wir wollen nicht in eine Regierung. Ich denke wir sollten dort offen bleiben und uns entscheiden jeweils anhand der Inhalte und anhand der Frage, was wir verändern können.

    Heinlein: Verändern aber nur in den Bundesländern?

    Bisky: Ja.

    Heinlein: Eine Koalition auf Bundesebene ist nach wie vor für Sie auch kategorisch ausgeschlossen?

    Bisky: Ich habe nie was kategorisch ausgeschlossen. Das überlasse ich anderen, die sich dann ja im Regelfall historisch überholen. Aber die Frage auf Bundesebene stellt sich im Moment überhaupt nicht. Wir werden sicher die Wahlen 2009, da will ich jetzt nicht Prophet spielen, mit einem klaren oppositionellen Profil angehen. Aber auf Dauer wird es nicht möglich sein, die Linke in irgendeine Ecke zu stellen, eine Protestecke oder eine beliebige andere Ecke. Wir sind eine aktive Kraft im Lande, und wir werden uns stabilisieren.

    Heinlein: Wären Sie denn, Herr Bisky, auf Dauer bereit, Oskar Lafontaine zu opfern, sollte seine Person einem Zusammengehen mit der SPD im Wege stehen?

    Bisky: Nein. Das ist ein Gedankengang, der mir nicht einmal im Traume kommt. Das wäre falsch. So etwas würde sofort bestraft werden und zurecht sofort bestraft werden. Wir sind nicht gegen eine Person oder gegen andere Personen auch aus anderen Parteien. Wir stehen für Inhalte, und wenn die Linke sich daran nicht hält, dann wird sie große Schwierigkeiten in der Zukunft haben. Aber diese Schwierigkeiten muss sie nicht haben. Diese Gedankenspielchen mit Oskar Lafontaine sind für mich eindeutig zu beantworten. Wir haben mit Oskar Lafontaine diese Erfolge erzielt, und wir werden sie mit ihm stabilisieren und ausgestalten.

    Heinlein: Heute Morgen im Deutschlandfunk der Vorsitzende der Linkspartei, Lothar Bisky. Herr Bisky, danke für das Gespräch und auf Wiederhören nach Berlin!

    Bisky: Auf Wiederhören, Herr Heinlein!