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Hasskommentare
Argumentieren gegen Stammtischparolen

Beim Thema Migration hat sich der Ton in der Diskussion massiv verschärft - das bekommen Politiker zu spüren, aber auch Medien. Und das nicht nur in sozialen Netzwerken, der Hörerservice des Deutschlandfunks muss sich häufig auch telefonisch mit übelsten Beleidigungen auseinandersetzen. Kommunikationstrainer raten, Stellung zu beziehen.

Von Ulrike Winkelmann | 04.09.2015
    Ein abgelegter Telefonhörer
    Der Hörerservice des Deutschlandfunks muss sich häufig auch telefonisch mit übelsten Beleidigungen auseinandersetzen. (dpa / picture-alliance / Rolf Vennenbernd)
    Michael Bolz beantwortet Hörerfragen beim Deutschlandfunk. Meist geht es um das Programm. Manchmal aber wollen die Anrufer auch Beleidigungen loswerden, schlechte Gefühle ventilieren, rechtsradikale Reden schwingen. Ein O-Ton vom Anrufbeantworter des Deutschlandfunks: "Syrer, Iraker, Libyer. Es ist unglaublich, wie Sie die Leute verarschen. Deutschland soll ja mit Gewalt ruiniert werden durch diese Leute. Ihr kotzt mich sowas von an, ihr Arschlöcher, ihr Drecksgesindel vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk."
    Michael Bolz sagt dazu: "Es sind einfache Statements, die ins Telefon gebrüllt werden, wo gar keine Diskussion gewünscht ist. Da will sich jemand Luft machen." Seit gut einem Jahr hat sich die Art der Anrufe verändert, haben Michael Bolz und seine Kollegen beobachtet. Besonders beim Thema Migration äußern immer mehr Leute ihre - oft rechten - Meinungen. "Ich empfinde, dass sich der Ton verschärft hat, die Leute sehr distanzlos geworden sind. Es macht ihnen nichts mehr aus, ins Telefon zu brüllen. Statt 'bei Ihnen im Programm' - grundsätzlich ist es 'bei euch'."
    Bolz entscheidet je nach Situation, ob er sich auf eine Diskussion einlässt, etwa die Themenauswahl des Senders erläutert. Aber manchmal lohnt sich das auch nicht. "Ihnen gehen auch die Argumente aus. Aber es ist auch so, dass die Leute gar kein Argument hören wollen. Da ist eine festgefasste Meinung, und die muss jetzt kundgetan werden."
    Wie geht man mit stumpfen Parolen um?
    So wie der Hörerservice vom Deutschlandradio haben es in diesen Tagen viele Medien und Politiker mit einem teils sehr aggressiven Publikum zu tun. Als Sigmar Gabriel kürzlich rechtsradikale Demonstranten in Heidenau "Pack" genannt hatte, ging bei der SPD-Zentrale in Berlin bergeweise Hass-Post ein. Das Thema Flüchtlinge verändert die öffentliche Diskussion, das Reden der Bürgerinnen und Bürger - auch auf Familienfesten, in Kneipen, in der Bahn und am Arbeitsplatz. Doch wie geht man mit stumpfen Parolen und Vorurteilen um?
    Düsseldorf, an einem Wochenende im August. Die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung hat das Seminar "Argumentieren gegen Stammtischparolen" organisiert. Neun Frauen und drei Männer sind gekommen, manche haben professionelles Interesse, andere private Gründe. Lea, Studentin Mitte zwanzig, berichtet: "... dass ich mal im Schulbus saß, und hinter mir saß ein relativ offensichtlich Rechtsradikaler, und das Mädchen neben ihm fragte ihn, was er denn gegen Ausländer habe, und er sagte, er hätte nichts gegen Ausländer. Er wolle nur, dass sie in ihrem eigenen Land bleiben. Und sie wusste nicht, was sie darauf antworten soll, weil das so eine sehr entwaffnende, schnelle Antwort war, die von ihm kam. Und auch ich saß da und dachte 'hm, und jetzt?', so."
    Der Referent Jürgen Schlicher kennt solche Situationen. Er ist Kommunikationstrainer. "Ich muss ja erst einmal in die Lage versetzt werden, überhaupt Argumente anzubringen." Schlicher sammelt die Erfahrungen, Erklärungen, und Mutmaßungen seiner Seminarteilnehmer ein: Wozu dienen Stammtischparolen, welche fallen uns ein? Er schreibt sie auf, reißt immer neue Seiten von seinem Flipchart ab.
    Aha-Erlebnisse in Seminaren
    "... so geht das schon mal gar nicht - jetzt setzt dich erstmal hin - so red ich gar nicht erst - was machst du hier? Quasselst irgendwas nach, was andere dir vorreden - begründe das mal bitte ..." In Rollenspielen üben die Seminarteilnehmer, auf Stammtischparolen zu reagieren. Lea hatte gleich am ersten Tag Aha-Erlebnisse. "Ich hab gelernt, dass Stammtischparolen in unseren Köpfen sind, in unser aller Köpfe, und dass, wenn man damit konfrontiert wird, schnell so ein Gefühl von Ohnmacht über einen kommt, von dem man sich aber erholen kann. Und sehr hilfreich dabei ist, wenn man sich nicht allein fühlt, sondern mit einem anderen Menschen zusammen sich verbündet auch gegen diese Ohnmacht." Lena, eine weitere Studentin, ergänzt: "Ich habe auf jeden Fall gelernt, dass es viel mit Körpersprache zu tun hat, also nicht nur der Inhalt zählt, sondern auch wie man auftritt. Wir haben's Raum einnehmen genannt, also dass man sich ein bisschen Platz macht, zum Beispiel nach vorne lehnt - 'hier bin ich'."
    Also: Haltung zeigen. Auch im körperlichen Sinne. Das ist auch die zentrale Botschaft von Jürgen Schlicher. Er rät davon ab, mit fein ziselierten Argumenten gegen Leute anzureden, denen sachliche Begründungen sowieso egal sind. Er fordert die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf, sich mit Mut und Nerven gegen rechtsradikale Zumutungen zur Wehr zu setzen: "Das Faszinierende ist einfach zu sehen, wie die Teilnehmenden so von Rollenspiel zu Rollenspiel eine andere Haltung entwickeln und sich gar nicht mehr so in die Defensive drängen lassen." Also - alles eine Übungssache, sagt Schlicher. Und manchmal färbt es auch auf die stummen Beobachter ringsum ab: "Ich glaube, klar Stellung zu beziehen ist an der Stelle etwas unheimlich Wichtiges und Wirkungsvolles, zumal solche Diskussionen ja immer von ganz vielen mitverfolgt werden, die vielleicht noch gar nicht so entschieden sind."
    Manchmal hilft nur noch ein Ende des Gesprächs
    Und dann gibt's natürlich noch die Möglichkeit, ein Gespräch schlicht zu beenden. Nicht alles muss man sich anhören, nach dieser Maßgabe arbeitet auch Michael Bolz im Hörerservice des Deutschlandfunks: "Das ist einer Kollegin passiert, der wurde gesagt: 'Sie gehören doch alle vergast.' Ich glaube nicht, dass man ein solches Statement mit dem Satz 'ich beende jetzt das Gespräch' noch adeln sollte. Da legt man einfach auf, und hofft, dass einem das nicht zu lange nachhängt."