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Hintze: Bis 12. Dezember war Wulff für die Deutschen ein guter Bundespräsident

Der Große Zapfenstreich zur Verabschiedung des zurückgetretenen Bundespräsidenten Christian Wulff sei ein "würdevoller Abschluss einer sehr hektischen Diskussion", sagt der Parlamentarische Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Peter Hintze. Gegen Wulff gebe es keinen politischen Vorwurf.

Peter Hintze im Gespräch mit Dirk Müller | 08.03.2012
    Dirk Müller: Vieles ist eine Frage der Ehre, so auch der Ehrensold oder die ehrenhafte Verabschiedung mit einem Zapfenstreich. Nun ist es so weit: Dem zurückgetretenen Bundespräsidenten wird diese Ehre gewährt, auch das Geld, auch das Büro, der Mitarbeiter, der Fahrer und eben der Zapfenstreich, fackeltragende Bundeswehrsoldaten unter dem Abendhimmel von Berlin. Jeder bekommt das, was er verdient, heißt es oft, demnach also auch Christian Wulff. Der Zapfenstreich für Christian Wulff - darüber wollen wir nun sprechen mit jemandem, der das Ex-Staatsoberhaupt bis zuletzt verteidigt hat: der CDU-Politiker Peter Hintze, Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium. Guten Morgen.

    Peter Hintze: Guten Morgen, Herr Müller!

    Müller: Herr Hintze, sitzen Sie wenigstens heute Abend in der ersten Reihe?

    Hintze: Ich werde heute zum Zapfenstreich gehen und ich gehe auch gerne hin. Das ist ja eine feierliche Zeremonie, mit der der Bundespräsident verabschiedet wird. Und ich finde, allein der Beitrag, den Christian Wulff zur Integrationskultur in Deutschland geleistet hat, macht deutlich, dass es auch richtig ist, dass wir ihn offiziell so verabschieden, wie alle Bundespräsidenten verabschiedet wurden. Wir können jetzt kaum aufarbeiten, was eben alles im Bericht kam. Die Fraktionsvorsitzenden beispielsweise waren ja auch bei der Verabschiedung von Köhler und früher nicht eingeladen. Es wird viel durcheinandergemengt. Manche derer, die heute nicht kommen können, können nicht kommen, weil sie im Ausland sind. Die Bundeskanzlerin wird da sein, der Bundestagspräsident wird da sein, es werden Repräsentanten aus dem öffentlichen Leben da sein und ich glaube, es ist auch gut, dass sie kommen. Und vielleicht noch ein Gedanke: Der Zapfenstreich war ja ursprünglich einmal das Einläuten der Abendruhe im Feldlager, wenn man so will. Und ich wünsche mir, dass dieser Zapfenstreich, dass nach diesem Großen Zapfenstreich auch wieder Ruhe einkehrt in die zum Teil sehr hektische öffentliche Debatte und diese Präsidentschaft damit auch einen würdevollen Abschluss findet.

    Müller: Abendruhe ist ein gutes Stichwort. Weil sie den Ehrensold gewähren und auch den Mitarbeiter und den Fahrer und das Büro, wird diese Ruhe, die Abendruhe bestimmt nicht kommen.

    Hintze: Es geht um einen würdevollen Abschluss einer sehr hektischen Diskussion, und in dieser hektischen Diskussion jetzt so nachzutreten, das finde ich gar nicht in Ordnung. Ich meine, wir haben ein halbes Jahrhundert eine gute Praxis, wie wir mit unserem Staatsoberhaupt umgehen. Die sollten wir auch halten. Und ich möchte mal darauf hinweisen, dass Christian Wulff ja in seiner Amtszeit all das, was die Deutschen vom Bundespräsident zurecht erwarten, nämlich uns im Inland und im Ausland sehr gut zu vertreten, Beiträge zum Zusammenführen der Gesellschaft zu leisten, dass er das alles getan hat und dass es deswegen auch richtig ist, dass wir ihm so begegnen, wie wir unseren Staatsoberhäuptern in diesem Amt begegnen und dass manches an der Diskussion doch sehr einspurig war und dass manches eben, finde ich, für die politische Kultur im Land auch nicht gut war, wenn hier kein wirklich fairer Diskurs war. Mein Anliegen war ja, einen fairen und an den Tatsachen orientierten Umgang mit dem Staatsoberhaupt mit zu bewirken - dadurch, dass ich mich in der Diskussion eingeschaltet habe -, und dazu stehe ich absolut und deswegen gehe ich auch gerne heute zu diesem Großen Zapfenstreich.

    Müller: Alles das, was Sie hier aufführen, was die Verdienste anbetrifft, Herr Hintze, die Verdienste des Ex-Bundespräsidenten, dafür hat er ja nicht lange Zeit gehabt. Also wäre er ja, wenn er richtig die fünf Jahre durchgemacht hätte, ein Super-Präsident geworden.

    Hintze: Sie lieben ja die humorvolle Ansprache. Aber es ist nun mal einfach faktengestützt, dass er bis zum 12. Dezember 2011 - am 13. Dezember hat dann eine große Boulevardzeitung hier dieses Thema aufgebracht und seitdem diskutieren wir darüber - doch ein Bundespräsident war, wo die Deutschen gesagt haben, der macht es gut. Und zwar, ich kriege die Stimmen aus dem Ausland, die höre ich ja bis heute, und auch im Inland sagen das doch immer noch sehr, sehr viele Menschen. Und ich glaube, wenn die rechtlichen Fragen, die jetzt anstehen, wenn die geklärt sind, im positiven Sinne für Christian Wulff geklärt sind, dann wird auch das Urteil über seine Amtszeit noch mal ganz neu und, ich denke, auch im Rückblick sehr positiv ausfallen.

    Müller: Viele sagen ja jetzt, es gibt einen ehrenhaften Abschied - das soll jedenfalls dieser Zapfenstreich sein - für einen unehrenhaften Amtsinhaber. Was sagen Sie dazu?

    Hintze: Diesen Vorwurf finde ich ungerecht und ich glaube, im größeren Abstand wird sich das auch anders darstellen. Dass in der Öffentlichkeit diese Stimmung sehr stark ist, verstehe ich sehr gut, weil wenn zwei Monate lang in allen Zeitungen, in fast allen Zeitungen zu lesen ist, dies und jenes sei nicht in Ordnung, dann ist das ja kein Wunder, wenn das auch die öffentliche Meinung prägt. Ich glaube aber - Sekunde: der Deutschlandfunk sendet ja noch länger, also ich meine nicht heute Morgen, sondern insgesamt -, dass man später mal sagen wird, da war doch vieles in einem krassen Missverhältnis zwischen den behaupteten Tatsachen und dem, was dann an Urteil da sich mit verbindet.

    Müller: Wenn jemand ausschließlich wegen privater Verfehlungen zurücktritt, als Staatsoberhaupt, als jemand, der die Würde des Staates und die Würde des Amtes präsentieren muss, dann sagen Sie, ist trotzdem ehrenhaft?

    Hintze: Ich finde, dass Ihre Bewertung falsch ist. Ich glaube, dass es ein klarer Rücktritt aus politischen Gründen ist. Und man darf ja übrigens nicht unterschätzen: Es ist in der Diskussion ja auch vollkommen untergegangen, dass der Bundespräsident das einzige Amt ist, wo der Amtsinhaber selber die Entscheidung treffen muss, ob das Amt beendet wird oder nicht. Minister, Kanzler, Präsidenten - alles kann abgewählt werden; der Bundespräsident entscheidet das selber. Und dass er sagt, ich trete zurück, weil ich erkenne, dass die Diskussion um meine Person derartig stark ist, dass sie die Amtsführung dann belasten würde, und ich will das Amt schützen und trete deswegen zurück und nehme das jetzt auch alles auf mich, ich finde, ihm das negativ anzurechnen, ist nun wirklich unfair. Und ich trete für Fairness ein im Umgang mit diesen Fragen.

    Müller: Sie sagen, das ist politisch. Irgendwie ist ja alles politisch. Aber neben den gesundheitlichen Gründen ist dann jeder Rücktritt eines Präsidenten politisch?

    Hintze: Also die im Bundestag vertretenen politischen Parteien haben allesamt gesagt, dass sie diese rechtliche Bewertung, um die es geht, teilen. Das ist ja im politischen Streit selten, dass man zu einem solchen Urteil kommt, und es gibt darüber, glaube ich, auch Einigkeit, dass die rechtliche Bewertung klar ist. Und deswegen sollte man sie nicht so in Frage ziehen, wie Sie das tun.

    Müller: Reden wir über den Ehrensold, 200.000, 199.000 Euro, dann die anderen Kosten, die dazu kommen. Von einer halben Million Euro jedes Jahr ist die Rede für einen Bundespräsidenten, der zurückgetreten ist nach kurzer Zeit. Wie sagen Sie das den Zehntausend Beschäftigten, die im Moment auf die Straße gehen, die weniger als 20.000 Euro im Jahr verdienen, bis zur Rente 67 arbeiten müssen und dann hinterher schauen müssen, ob sie mit der Rente überhaupt auskommen?

    Hintze: Ich verstehe, dass das viele Menschen stark beschäftigt, und das wird auch heftig diskutiert. Aber man muss immer sehen: Diese Regeln, die Sie dort angesprochen haben, sind eingeführt worden und über ein halbes Jahrhundert praktiziert, weil wir sagen: Das Staatsoberhaupt hat eine so besonders bedeutende Stellung in unserem Staatsgefüge, dass wir den Vergleich nicht einfach ziehen können zu Situationen, zu anderen Lebenssituationen, wie Sie das eben gemacht haben. Die muss man in Ruhe anschauen, da muss man auch gucken, was man tun kann, was man helfen oder verbessern kann. Aber zu sagen, deswegen zertrümmern wir, was in unserem Staatsgefüge über ein halbes Jahrhundert uns wichtig und richtig erschien, das hielte ich für falsch. Es kommen ja Änderungsvorschläge aus allen Ecken und Enden. Ich finde, man ist immer gut beraten, in der Emotion eines solchen Augenblicks erst mal ruhig zu bleiben und mit Abstand solche Fragen zu stellen, aber jetzt nicht sich von der Emotion des Augenblicks bestimmen zu lassen, um Regeln zu verändern, die über ein halbes Jahrhundert als gut und richtig empfunden worden sind.

    Müller: Aber manchmal, Herr Hintze, weiß man ja erst hinterher, dass man was falsch gemacht hat. Gibt es das bei Ihnen, ein hinterher? Ich meine, Sie reden vom Augenblick - es sind ja schon ein paar Tage her, dass er gegangen ist.

    Hintze: Also mein Einsatz war ja der zu sagen, ich möchte einen fairen Umgang haben, ich möchte einen politischen Diskurs haben, der nicht nur einseitig ist. Ich weiß, dass das sehr schwer ist, wenn der Meinungsstrom in eine ganz andere Richtung geht. Aber dazu stehe ich ganz klar.

    Müller: Und all diese Menschen - Sie reden von diesem Meinungsstrom ...

    Hintze: Herr Müller, entspannt bleiben! Auch im Rückblick. Was ist das für eine politische Demokratie, oder was für eine politische Kultur, in der man das nicht diskutieren darf, in der man auch nicht mal sagen kann "Einspruch, nun lasst uns mal überlegen, ob das noch im Verhältnis steht, was an Vorwürfen erhoben wird, und das, was an Urteil daraus gezogen wird"? Ist das richtig, dass so eine Vorverurteilung derartig massiv stattfindet, wie wir das erleben? Ist das in Ordnung? Ich finde das nicht in Ordnung. Ich finde, es muss Transparenz her, es muss Diskussion her, es muss Diskurs her, es muss auch gegenseitige Kritik her, und wenn ich da eine Stimme war, die ein bisschen versucht hat, das zu erreichen, dann finde ich das für mich gesehen richtig.

    Müller: Sie reden nach den jüngsten Umfragen gegen 80 Prozent der Menschen, die das alles nicht richtig finden, dass Christian Wulff 500.000 Euro bekommt.

    Hintze: Das kann uns doch nicht verwundern. Wenn sie zwei Monate lang jeden Tag in der Zeitung lesen, das sei alles nicht in Ordnung, dann muss man sich ja noch wundern, dass 20 Prozent sagen, davon lassen wir uns nicht beeindrucken. Das ist doch klar, das kann ich doch den Menschen nicht vorwerfen. Ich verstehe das doch auch, dass sie so denken und finden und diskutieren. Und deswegen darf man doch trotzdem mal sagen: Lasst uns fair umgehen, lasst uns schauen, was sind die Tatsachen, was sind Behauptungen, und lasst uns damit umgehen, was ist eigentlich die Lebensleistung dieses Menschen und was wirft man ihm vor, steht das noch in irgendeinem Verhältnis. Ich finde, das ist aus dem Verhältnis herausgeraten. Als Ministerpräsident für Niedersachsen hat er eine Menge erreicht. Es gibt auch keinen wirklich politischen Vorwurf gegen ihn. Als Bundespräsident hat er in der Zeit, in der er agiert hat, bevor diese Diskussion los ging, uns sehr gut vertreten, und das muss doch auch mal gesagt werden dürfen.

    Müller: Peter Hintze, CDU-Politiker, heute Morgen live bei uns im Deutschlandfunk, ganz entspannt. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Hintze: Tschüß, Herr Müller.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.