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Historiker Jensen über Trump-Rhetorik
"Er ist ein perfider Machtpolitiker und weiß genau, was er tut"

Seit dem Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump hat die "New York Times" bereits 420 Beleidigungen gegenüber Personen, Ethnien und Ländern gezählt. Leider folge diese Art der Rhetorik einer sehr perfiden Logik und sei in sich schlüssig, erklärte der Historiker Uffa Jensen im Dlf.

Uffa Jensen im Gespräch mit Michael Köhler |
    Tabus werden gebrochen, Geschmacksgrenzen verschieben sich - zu sehen ist das zunehmend auf dem twitter Account von US-Präsident Donald J. Trump.
    Tabus werden gebrochen, Geschmacksgrenzen verschieben sich - zu sehen ist das zunehmend auf dem twitter Account von US-Präsident Donald J. Trump. (imago / ZUMA Press)
    Michael Köhler: Im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf 2008 sagte Barack Obama: "Weiße Amerikaner wählen keinen zornigen Schwarzen". Inzwischen sind wir belehrt worden. Sie wählen einen zornigen Weißen. Ein Jahr ist seit Amtsantritt von Donald Trump vergangen. Und eine gewisse Verrohung und unpräsidiale Rauhbeinigkeit ist festzustellen.
    Grund für uns mit dem Historiker Uffa Jensen zu sprechen. Er ist an der TU Berlin, am Zentrum für Antisemitismusforschung, tätig. Ihn habe ich gefragt, ist der Zorn nicht nur in die Wortwahl des amerikanischen Präsidenten, sondern auch in die Politik zurückgekehrt?
    Uffa Jensen: Ja, das würde ich schon sagen, auch nicht nur in den USA, aber da sicher sehr stark. Ich würde schon sagen, dass Trump im Prinzip seit dem ersten Tag eine sehr bewusste Zornpolitik, so könnte man das nennen, benutzt hat. Er hat den Wunsch vieler Wähler aufgegriffen, ihren Zorn auf das Establishment und auf Washington Ausdruck zu verleihen. Das ist, glaube ich, einfach noch immer sehr präsent, und das darf man bei dieser Politik der Beleidigung, die er auch macht, nie vergessen, dass das eben auch gleichzeitig funktioniert.
    Köhler: Ist das ein Wechsel von der Vernunft- zur Affektpolitik, also von der Rationalität hin zu Aufgeregtheiten, zu Gefühlspolitik?
    Jensen: So sieht das ja erst mal auf den ersten Blick aus. Ich würde davor warnen, einen zu starken Gegensatz zwischen Emotionen und Rationalität zu setzen. Denn wenn man sich Trumps Politik der Beleidigung, die er quasi vom ersten Tag an, als er seine Kandidatur erklärt hat, benutzt hat, wenn man sich das anguckt, dann hat die leider eine sehr perfide Logik und ist in sich schlüssig und funktioniert. Das sind alles Begriffe, die man normalerweise für rationales Vorgehen nutzt.
    Also in gewisser Hinsicht ist auch diese emotionalisierte Politik rational und nicht nur einfach das emotionale Gebrabbel eines Irren. Das wird zwar oft so insinuiert, dass Trump ein Irrer ist, und manchmal mag man auch wirklich den Eindruck haben, aber er ist eben auch ein perfider Machtpolitiker und weiß genau, was er tut.
    "So stark hat es sicher noch keiner gemacht"
    Das Wort "shithole" (Drecksloch) als Projektion auf der Fassade des Trump International Hotel in Washington D.C.
    Das Wort "shithole" (Drecksloch) als Projektion auf der Fassade des Trump International Hotel in Washington D.C. (Screenshot Twitter 14.12.18 / Robin Bell / Deutschlandradio)
    Köhler: Die Wortbeiträge zu ethisch oder politisch kontroversen Ereignissen – wir könnten einige Beispiele nennen, die haben ja Rassisten, Islam-Hassern, Rechtsextremen und anderen zu Auftrieb und Rückenwind verholfen. Die jüngsten Bemerkungen beispielsweise, warum lassen wir all diese Leute aus Dreckslochländern hierherkommen. Das war gegenüber Senatoren aus Haiti und anderen Ländern, hat er das gesagt.
    Wir erinnern uns an letzten Sommer in Charlottesville nach dem Anschlag, ein 20-jähriger mutmaßlicher Nazi hatte dort ein Auto in eine Gruppe von Gegendemonstranten gesteuert. Ist die Duldung solcher Ereignisse, führt die zu einer Breitenwirkung des Hasses, des Zorns? Wird das legitim, wird das fast schon schick, sich so zu benehmen? Denn der Zorn wird doch auf diese Weise geradezu epidemisch.
    Jensen: Ja. Ich habe jetzt gerade bei der Recherche mal nachgeschaut: Die "New York Times" hat eigentlich seit dem ersten Tag der Kandidatur von Trump, zählt sie die Personen, die Ort und die Dinge, die er beleidigt hat. Die sind jetzt bei 420 Beleidigungen. Das ist aber gleichzeitig nicht etwas völlig Neues, das ist eine Entwicklung, die es in der republikanischen Partei spätestens seit Nixon gibt. Nur jetzt ist sie eben am Kulminationspunkt. So stark hat es sicher noch keiner gemacht.
    Und natürlich gibt es auch Wähler von Trump, die sich da unwohl fühlen, aber gleichzeitig hat er natürlich einen Kern der amerikanischen Gesellschaft, der rassistisch ist und von rassistischen Wählern, von frauenfeindlichen Wählern, die hat er mobilisiert, und die sind auch sicher seine wichtigsten Unterstützer. Und deswegen konnte er damals in Charlottesville eben auch nicht diesen Anschlag, bei dem ja eine Frau überfahren wurde und gestorben ist, den konnte er nicht so verurteilen, weil das eben seine Bastion ist.
    "Zorn regt sich immer über ein Unrecht auf"
    Köhler: Es gibt die Todsünden Trunk- und Genusssucht, Hochmut, Völlerei und viele andere. Die können einem egal sein, wenn sie quasi nur den Urheber selbst treffen. Das mit dem Zorn ist ein bisschen unangenehmer, der befällt nämlich dann Dritte. Insofern ist das inzwischen doch ein Breitenphänomen, denken wir nur mal auch an die jüngsten Äußerungen auch von AfD-Chef Gauland: Wenn die anderen Krieg wollen, dann können sie Krieg haben. Oder wir denken auch an die Aussage, "Wir werden die Kanzlerin jagen" und Ähnliches. Was passiert da? Sind wir inzwischen in einer Wutbürgersprache angekommen?
    Jensen: Ja. Ich würde allerdings einen Unterschied zwischen Wut und Zorn machen. Wut erscheint mir eher als etwas, was ungerichteter funktioniert. Wir können zum Beispiel beim Autofahren wütend sein, wenn wir im Stau stehen. Während Zorn viel gerichteter ist, und Zorn hat auch einen anderen Anteil, Zorn ist viel moralischer. Das heißt, Zorn regt sich immer über ein Unrecht auf. Und offensichtlich gelingt es diesen rechtspopulistischen Bewegungen, also von Trump zu Gauland meinetwegen, diesen Zorn der Bevölkerung, der auf alle möglichen Dinge sich richtet, der vielleicht mit dem Gesundheitssystem in Amerika zu tun hat, der mit Benachteiligung nach der Wende in der Bundesrepublik zu tun hat, die werden kanalisiert und durch eine Sprache der Beleidigung auf bestimmte Leute gerichtet, die nun gar nichts dafür können, die aber eben so als Blitzleiter funktionieren.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.