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"Hundertprozentige Sicherheit gibt es in der Kerntechnik nicht"

Angesichts der unglaublich schwierigen Situation in Fukushima hat Beate Kallenbach-Herbert vom Öko-Institut Darmstadt Verständnis für die teils hilflos anmutenden Rettungsversuche am Reaktor geäußert. Die Menschen setzten dort ihr Leben aufs Spiel.

Beate Kallenbach-Herbert im Gespräch mit Jürgen Liminski |
    Jürgen Liminski: Zwar bauen die Japaner Roboter, die Geige spielen, alte Menschen pflegen und in Erdbebengebieten nach verschütteten Opfern suchen. Auch in der Atomindustrie sind Roboter keine Seltenheit. Dennoch wurden sie in Fukushima bisher noch nicht eingesetzt. Vielleicht kommt das noch, wenn es darum geht, die havarierten Reaktoren zu versiegeln. Jetzt wird erst mal alles daran gesetzt, dass diese Reaktoren nicht explodieren und so massiv Radioaktivität freisetzen. Verzweifelt wird alles versucht.

    Die Internationale Atomenergiebehörde hat gestern eine merkwürdige Einschätzung der Lage vorgenommen. Es gebe eine vernünftige Stabilisierung, aber alles sei noch möglich, also auch der Supergau. - Frau Kallenbach-Herbert, Sie beobachten die Rettungsaktion und Vorgänge in Japan aus der Ferne. Wie schätzen Sie die Lage ein?

    Beate Kallenbach-Herbert: Ja, ich sehe es im Prinzip ähnlich. Also ich denke, dramatisch, aber stabil ist für die offensichtlichen letzten 24 Stunden in etwa das, was die Lage ganz gut beschreibt. Wir haben jetzt ja keine dramatische Verschlechterung gesehen, also keine weiteren großen Explosionen. Keine der möglicherweise befürchteten Abläufe sind bisher eingetreten. Es ist aber weiterhin so, dass eigentlich alles noch denkbar und noch möglich ist, leider, muss man da sagen. Es kann also auch weiterhin extrem eskalieren, die ganze Situation, mit Freisetzungen wirklich auch in die weite Umgebung.

    Liminski: Was halten Sie vom Krisenmanagement der Japaner?

    Kallenbach-Herbert: Nun ja, von hier aus sehen manche Versuche, die dort jetzt gestartet werden, um die Situation zu retten, natürlich schon ein Stück weit hilflos aus. Andererseits muss man sagen, man ist dort natürlich in einer Situation, die so nie jemand vorhergesehen hat. Man hangelt sich jetzt dort seit einer Woche von Tag zu Tag ja praktisch vorwärts, versucht, irgendwie noch das zu tun, was einem gerade noch einfällt, was irgendwie auch noch technisch realisierbar ist unter den ja inzwischen auch unglaublich schwierigen Situationen dort vor Ort an diesen Kraftwerken. Sie haben ja zum Teil dort Strahlungswerte, die einen längeren Aufenthalt von Personal ja auch gar nicht mehr ermöglichen, und von daher, wie gesagt, von hier aus wirkt das hilflos. Andererseits denke ich ist es das Einzige, was man im Moment wohl machen kann, einfach alles zu versuchen, alle Hebel in Bewegung zu setzen und zu hoffen, dass irgendwas davon funktioniert.

    Liminski: Was weiß man über die aktuellen Strahlenwerte für die Bewohner oder auch für die Mitarbeiter?

    Kallenbach-Herbert: Ich habe jetzt ganz aktuell von heute Morgen keine Strahlenwerte. Ich vermute aber, dass das relativ ähnlich sein wird, wie es zum Beispiel gestern im Laufe des Nachmittags gemeldet wurde. Wir hatten dort außerhalb der Evakuierungszone in einer Stadt 50 Kilometer entfernt den höchsten Wert, der lag 400fach über den normalen Strahlenwerten, die man eben normalerweise in der Umgebung hat. Das bedeutet jetzt keine akute gesundheitliche Gefährdung, das ist auch ein Wert, der noch unter dem Wert liegt, bei dem man zum Beispiel in Deutschland bei einem Unfall der Bevölkerung raten würde, im Haus zu verbleiben. Von daher ist das noch ein hinnehmbares Strahlenniveau. Um die Anlage herum ist es wirklich so, dass die Werte dort sehr stark schwanken. Wir haben dort Strahlenwerte gesehen, die über einem Sievert lagen, und ein Sievert ist wirklich ein Wert, wenn sie sich da wenige Stunden aufhalten, muss man mit akuten Strahlenschäden rechnen. Diese Werte sinken dann auch immer mal wieder, lagen aber wohl jetzt zuletzt im Durchschnitt pro Stunde bei ungefähr 20 Prozent der Werte, die man normalerweise für Beschäftigte in der Nuklearindustrie für ein Jahr ansetzt. Also auch daran sieht man, diese Werte sind sehr, sehr hoch, und wie es auch in den Beiträgen häufiger erwähnt wurde, man muss wirklich davon ausgehen, dass die Menschen, die dort jetzt noch vor Ort sind, dort ihr Leben aufs Spiel setzen.

    Liminski: Nun hat man ein Kabel angeschlossen, prüft aber, und die Prüfung soll 15 Stunden dauern. Warum dauert es so lange, bis wieder gekühlt werden kann?

    Kallenbach-Herbert: Das kann man von hier aus natürlich nicht genau beurteilen. Ich meine, es ist natürlich auch kein Kinderspiel, hier ein Stromkabel mit dieser sehr, sehr hohen Leistung irgendwie mal zu verlegen. Sie brauchen da viele Megawatt Leistung, um diese Pumpen dort auch wieder zu betreiben. Das alles anzuschließen und wieder gängig zu machen, das ist natürlich auch letztendlich wirklich eine technisch aufwendige Angelegenheit. Man weiß ja auch gar nicht, wie das dort vor Ort aussieht, wie gut die entsprechenden Anschlüsse zugänglich sind. Sie müssen einmal das Stromkabel an die Stromversorgung anschließen und das Ganze dann ja auch noch mal an die Pumpen wieder anschließen. Ob diese Pumpen überhaupt noch funktionieren, ist die nächste Frage. Man hat ja bisher offensichtlich keine Möglichkeit gehabt, das zu überprüfen. Es kann also sein, man hat hinterher den Strom, aber kann diese Pumpen nicht mehr verwenden. Von daher ist das im Moment wirklich eine Hoffnung, dass das dort gelingt, aber wirklich auch noch fraglich, ob das dann tatsächlich funktionieren wird, und es ist zunächst auch nur für die Blöcke 1 und 2. Die Blöcke 3 und 4, wo die Brennelemente in den Brennelementbecken freiliegen, wirklich frei zur Umgebung hin, unter freiem Himmel sozusagen, da haben wir noch keine Stromversorgung, und auch da muss dringend weiter gekühlt werden. Das ist eines der großen Probleme auch im Moment nach meiner Einschätzung.

    Liminski: Man hätte doch vielleicht eher das Kabel zu diesen anderen Blöcken ziehen sollen.

    Kallenbach-Herbert: Ich vermute, dass es bei den Brennelementbecken noch schwieriger ist, da jetzt über ein Pumpsystem wieder Wasser hinzubekommen, weil das Kühlsystem dort anders funktioniert als bei den Reaktoren. Wenn sie im Reaktor selber noch Wasser vorrätig haben, geht es dort im Wesentlichen darum, das dann auch umzuwälzen, während bei den Brennelementbecken dort außerhalb offensichtlich einfach gar kein Wasser mehr vorhanden ist. Das heißt, da ist die Situation eine andere. Ich glaube, man muss wirklich weiter versuchen, von außen dort überhaupt erst mal Wasser wieder hinein zu bekommen, und da sind ja die Bilder jetzt von den Wasserwerfern und insbesondere gestern auch von den Hubschrauberaktionen nicht so ganz vielversprechend. Ich hoffe, dass es trotzdem gelingt, dort zumindest eine gewisse Kühlung herzustellen, weil sonst wird wahrscheinlich von dort das ganz große Problem ausgehen.

    Liminski: Frau Kallenbach-Herbert, wie lange wird uns Ihrer Meinung nach diese Geschichte noch in Atem halten?

    Kallenbach-Herbert: Man kann das natürlich schwer genau datieren, aber ich kann mir durchaus vorstellen, dass es sich eher noch um viele Tage handeln kann. Wenn die Situation jetzt nicht kurzfristig eskaliert, kann es sein, dass das wirklich noch sehr viele Tage dort in einem ähnlichen Zustand wie jetzt vor sich hindümpelt, oder wie soll man sagen, also wir wirklich weiter diese Dramatik dort haben, letztendlich ständig alles möglich ist, aber man auch nicht zu einem Zustand kommen wird, wo man jetzt sagt, wir haben jetzt so viel gekühlt, das reicht jetzt. Das wird nicht innerhalb weniger Tage der Fall sein, sondern man muss über viele Tage weiterhin mit diesen Unsicherheiten auch leben. Ich glaube, es ist nicht wirklich absehbar, dass wir in Kürze eine stabile Situation haben.

    Liminski: Muss man am Ende der Tage dann diese Blöcke versiegeln, so wie Tschernobyl?

    Kallenbach-Herbert: Das wird man dann sehen, wenn sich tatsächlich dann irgendwann mal ein Zustand einstellt, den man dann für halbwegs stabil erklären kann. Man kann möglicherweise dann natürlich auch mit fernbedienten Geräten da vielleicht einiges machen. Das kann man jetzt eigentlich noch gar nicht absehen. Ich denke, da werden noch viele Monate ins Land gehen, bis man darüber entscheidet, was man dann dort tatsächlich an diesen Standorten macht.

    Liminski: Zum Schluss eine metaphysische, fast philosophische Frage: Kann ein AKW hundertprozentig sicher sein? Kann die Technik dafür sorgen?

    Kallenbach-Herbert: Definitiv nicht. Hundertprozentige Sicherheit gibt es in der Kerntechnik nicht.

    Liminski: Keine hundertprozentige Sicherheit. Das war Beate Kallenbach-Herbert, Leiterin des Bereichs für Nukleartechnik und Anlagensicherheit am Öko-Institut in Darmstadt. Besten Dank für das Gespräch, Frau Kallenbach-Herbert.

    Kallenbach-Herbert: Ja, bitte schön.