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"Ich denke nicht, dass es ein taktischer Beschluss ist"

Die FDP "kann es sich meines Erachtens gar nicht leisten, jetzt eine andere Position einzunehmen", kommentiert Politikwissenschaftler Wichard Woyke die Koalitionsaussage zugunsten der Union. Die klare Haltung sei auch Ursache für die demoskopischen Zugewinne.

Wichard Woyke im Gespräch mit Anne Raith |
    Anne Raith: 100 Milliarden Euro neue Schulden - mit einer Ankündigung wie dieser in den Wahlkampfendspurt zu gehen, liegt nicht unbedingt auf der Hand. Während andere mit Steuersenkungen werben, mit Geld für Klimaschutz und Bildung, wirbt man in den Reihen der SPD und der CSU derzeit mit dem Gegenteil. Von Einschnitten und Zumutungen ist da uni sono die Rede. Details aber nannten SPD-Finanzminister Steinbrück und CSU-Wirtschaftsminister zu Guttenberg nicht.
    Gemeinsam in Zeiten der Krise. Vergangene Woche war es, als Finanzminister Steinbrück als erster SPD-Politiker eine Fortsetzung der Großen Koalition in Betracht zog. Sie sei, so Steinbrück wörtlich, zumindest kein Unglück. Viel mehr Möglichkeiten haben die Sozialdemokraten allerdings auch nicht, glaubt man den aktuellen Umfrageergebnissen. Die Union wiederum hat ein klares Bekenntnis der Liberalen gefordert und am Wochenende auch bekommen: auf dem FDP-Parteitag in Berlin. Und auch die Grünen haben sich am Wochenende positioniert.
    Mitgehört hat der Politikwissenschaftler Wichard Woyke von der Universität Münster. Guten Tag!

    Wichard Woyke: Guten Tag, Frau Raith.

    Raith: Herr Woyke, die FDP hat sich gegen die Ampel ausgesprochen. Ist das konsequent oder riskant?

    Woyke: Beides. Die FDP war ja nun schon seit Monaten auf dieser Spur und sie hätte mit einem anderen Beschluss auch ihre Klientel überrascht, weil meines Erachtens nicht zuletzt eben auch ein großer Teil ihrer Wählerschaft, den sie dazugewonnen hat, jedenfalls demoskopisch dazugewonnen hat, davon ausgeht, dass sie ganz klar und alleine für eine Bildung der Regierung mit der CDU/CSU zur Verfügung steht.

    Raith: Handelt es sich also um einen taktischen Beschluss?

    Woyke: Nein. Ich denke nicht, dass es ein taktischer Beschluss ist, Taktik allenfalls in Bezug darauf, dass dem Bürger klar gemacht werden sollte, bei deiner Entscheidung gibt es für uns keine Rückkehr zu einem Hintertürchen, dass wir sagen, aus staatspolitischer Verantwortung müssen wir jetzt eine andere Koalition schaffen, sondern dass der Wähler mit diesem Beschluss auch noch mal aufgefordert werden soll, nachdrücklich CDU und FDP zu stärken.

    Raith: Inwiefern ist dieser Aussage denn Ihrer Ansicht nach verlässlich, rückblickend auch auf andere Koalitionsaussagen?

    Woyke: Ich denke schon, dass sie verlässlich ist. Die FDP hat das auch in Hessen gezeigt bei Ypsilanti I, Ypsilanti II und die FDP hat gelernt aus dem Odium, was ihr seit Adenauers Zeiten anhängt, die Umfallerpartei zu sein, und sie kann es sich meines Erachtens gar nicht leisten, jetzt eine andere Position einzunehmen, denn die nächsten Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen stehen schon vor der Tür und dort würde die FDP, sollte sie umfallen, das deutlich zu spüren bekommen.

    Raith: Das heißt, sollte es für Schwarz-gelb nicht reichen, sehen wir Westerwelle in der kommenden Legislaturperiode auf der Oppositionsbank?

    Woyke: Das ist in meinem Verständnis so, auch so zu sehen und dann muss er sich auf eine weitere Oppositionszeit gefasst machen, es sei denn: Wir wissen ja nicht, was während der Legislaturperiode alles passieren kann.

    Raith: Kann er es sich denn leisten, seine Partei ein erneutes Mal in die Opposition zu führen?

    Woyke: Innerhalb der FDP hat ja dieser Beschluss, das nur so zu tun, eine riesengroße Mehrheit bekommen - ich habe nichts von anderen Wortmeldungen gehört -, so dass Westerwelle mit diesem Beschluss ja nicht allein steht, sondern dass die Partei dahinter steht.

    Raith: Er bleibt also Parteichef, meinen Sie?

    Woyke: Das wird er zumindest für einige Zeit dann bleiben. Er kann ja auch darauf verweisen, dass er beispielsweise seitdem er Parteichef ist permanente Wahlsiege für die FDP, also Zuwächse erreicht hat, wie das noch kein Parteivorsitzender vor ihm getan hat. Aber Sie können natürlich auch sagen, man kann sich eventuell zu Tode siegen. Sollte solch eine Stimmung aufkommen - ich denke nicht, dass das nach dieser Wahl kommen würde, vorausgesetzt eben es gäbe keine schwarz-gelbe Mehrheit.

    Raith: Alle demokratischen Parteien, sagt man, sollen untereinander koalitionsfähig sein. Die FDP aber kann nur mit der Union. Was sagt das über die FDP?

    Woyke: Das sagt zumindest über die FDP, dass sie bei dieser Wahl sich selbst ihre Optionen verkleinert und dass sie nicht im Sinne der Demokratie staatspolitisch handlungsfähig ist, wenn sie sich auf eine einzige Koalition konzentriert, und sie hat meines Erachtens noch nicht gelernt, dass wir uns jetzt in einem neuen Parteiensystem bewegen, nämlich einem Fünf-Parteien-System, in dem andere Gesetze gelten als früher im Drei- und auch noch im Vier-Parteien-System. Das heißt, in einem Fünf-Parteien-System muss ich darüber nachdenken, ob nicht auch Drei-Parteien-Koalitionen in Zukunft notwendig sind, wenn ich selbst gestalterisch, das heißt an der Regierung beteiligt sein will und mitwirken will.

    Raith: Gegen eine Drei-Parteien-Koalition hat sich Westerwelle ausgesprochen: gegen die Ampel. "Wir würden trotzdem die Gespräche mit der FDP suchen", sagt die SPD. Warum hält sie an der Ampel fest?

    Woyke: Das ist ja die einzige Chance für die SPD nach jetzigen Umfragen, dass sie in der Regierung den Kanzler stellen könnte. Anders wird es gar nicht möglich sein, sondern anders bliebe nur die Option der Fortsetzung der Großen Koalition und von daher setzt natürlich Steinmeier darauf, dass er auch in Gespräche mit der Vorstellung in Gespräche gehen kann, die Ampel-Koalition zu realisieren.

    Raith: Wie müssen wir denn jetzt den Vorstoß der Minister Steinbrück (SPD) und zu Guttenberg (CSU) einordnen, die uns beide auf Einschnitte vorbereiten? Ist das die Vorbereitung auf die Große Koalition?

    Woyke: Man kann das als eine Möglichkeit sehen, dass hier der Wähler schon darauf etwas vorbereitet werden soll. Ich denke aber, Steinbrück, der ja schon immer für ein ehrliches Wort und auch manchmal vorlautes Wort bekannt war, wollte dann nicht nach der Wahl dastehen, dass keiner gesagt hätte, dass auf uns, das heißt die Wähler härtere Zeiten zukommen, was ja auch selbstverständlich ist. Wenn man sich mal überlegt: wir zahlen alleine gut 40 Milliarden Euro eines Bundeshaushalts von rund 300 Milliarden für die Zinszahlung, noch nicht mal für die Tilgung all dieser Schulden, und das heißt, das kann ja nicht so weitergehen. Und wenn angedeutet wird, dass im nächsten Bundeshaushalt erneut 100 Milliarden Euro Schulden aufgenommen werden müssen, dann zeigt doch das ganz deutlich, dass irgendetwas gemacht werden muss, und macht auch klar, dass für Steuererleichterungen in absehbarer Zeit eigentlich kein Platz ist.

    Raith: Aber warum hat dann wiederum keine Partei den Mut zu sagen, was wirklich auf uns zukommt?

    Woyke: Das haben wir ja auch bei der letzten Bundestagswahl gesehen, dass gerade damals Frau Merkel mit harten Reformmaßnahmen doch dann lernen musste, dass am Wahltag der Wähler eben doch nicht so bereit war, diese Reformmaßnahmen so zu akzeptieren. Bad News sind nun eben mal nicht so dem Wähler zu verkaufen wie Good News. Dass man sich allerdings dann auf die andere Fährte begibt und Steuersenkungen noch in höchsten Tönen anpreist und damit dem Wähler etwas vorgaukelt, was meines Erachtens überhaupt nicht machbar sein wird - die Wachstumsraten können gar nicht so hoch sein, dass das in nächster Zeit erwirtschaftet werden wird, sondern angesichts der enormen Verschuldung, die dieser Staat zu tragen hat, müssen wir alles daran setzen, dass wir diese Verschuldung abbauen und unsere Zinszahlungen und Schuldentilgungszahlungen reduzieren.

    Raith: Einschätzungen des Politikwissenschaftlers Wichard Woyke von der Universität Münster. Vielen Dank für das Gespräch.