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ifo-Bildungsbarometer
Schlechte Stimmung im Lehrerzimmer

Das ifo-Bildungsbarometer 2016 zeigt: Die Stimmung bei den Lehrern ist schlecht. Für den Bildungsforscher Matthias Buchardt ist ein Grund für die Frustration, dass Lehrer seit geraumer Zeit das Gefühl hätten, dass die eigentliche pädagogische Tätigkeit immer mehr in den Hintergrund trete. Denn in den Schulen sei man "bis zur Besinnungslosigkeit" mit Verordnungen und Programmen beschäftigt.

Matthias Burchardt im Gespräch mit Markus Dichmann |
    Eine Lehrerin steht mit einem Tablet in der Hand an der Tafel und schreibt Mathe-Aufgaben an
    Bezüglich der Verbeamtung gebe es sehr ungleiche Beschäftigungssituationen in Schulen, so der Bildungsforscher Burchardt. (dpa / picture alliance / Julian Stratenschulte)
    Markus Dichmann: Das ifo-Bildungsbarometer, zusammengefasst von Anja Nehls. Und eine Sache, die wir gelernt haben, betrifft die Lehrer hierzulande. Dreiviertel von ihnen wünschen sich ein höheres Gehalt, und zwei Drittel aller Lehrer befürworten ebenfalls die berufliche Sicherheit, verbeamtet zu sein, also nicht, wie in manchen Bundesländern, als bloße Angestellte zu arbeiten. Klar, jeder Berufsstand wünscht sich wohl, dass es ihm besser ergeht, das ist irgendwie logisch. Was aber auffällig ist: Im Schnitt sieht die Gesamtheit der Befragten, also das Gros der Nichtlehrer hierzulande, das doch sehr anders. Das ist auch ein Ergebnis des ifo-Bildungsbarometers. Nicht mal die Hälfte respektive nur ein knappes Drittel würde den Lehrern höhere Gehälter beziehungsweise die Verbeamtung gönnen. Befindlichkeit versus Realität. Das wollen wir jetzt mit dem Bildungsforscher Matthias Buchardt von der Universität Köln besprechen. Ich grüße Sie, Herr Burchardt.
    Matthias Burchardt: Guten Tag!
    Lehrer führen "eine sehr verantwortliche Tätigkeit" durch
    Dichmann: Es erscheint mir erst mal plausibel, dass eine Krankenpflegerin oder ein Handwerksmeister mit hoher beruflicher Belastung sagen würde, na ja, die Lehrergehälter, die sind doch ohnehin schon sehr gut. Wieso soll da noch eine Schippe draufgelegt werden? Würden Sie sagen, die Lehrerbedürfnisse sind da ein bisschen an der Realität vorbei gewünscht?
    Burchardt: Ich denke nicht, denn da wird eine sehr verantwortliche Tätigkeit durchgeführt. Wir sagen immer wieder, die Kinder sind das Wichtigste, was wir haben, sie sind unsere Zukunft. Und dann finde ich, sollten die Leute, die sich um diese Kinder kümmern, auch anständig bezahlt werden. Und das trifft übrigens genauso auf Krankenschwestern und alle anderen Berufsgruppen zu, die Sie gerade genannt haben. Es geht nicht darum, dem einen zu nehmen, sondern es sollten alle gerechte Löhne gezahlt werden.
    Dichmann: Also sind die Löhne so, wie sie heute sind, für Lehrer angemessen?
    Burchardt: Das kommt ein bisschen auf die Bundesländer an. Es gab in Niedersachsen eine Umfrage über die reale Arbeitszeit der Lehrer. Die ist weit über dem, was da vereinbart ist. Und ich meine, wenn man sich da schon sozusagen selbstausbeuterisch in dieser Tätigkeit aufreibt, dann sollte es zumindest finanziell einigermaßen honoriert sein. Denken Sie an die vielen Burnouts und andere Probleme, die man sich in diesem Beruf einhandeln kann. Da könnte man über Geld schon einiges kompensieren. Aber ich glaube, das ist nicht das Einzige. Sie haben ja auch angesprochen die Frage nach der Verbeamtung. Da haben wir sehr ungleiche Beschäftigungssituationen in Schulen. Da gibt es einige, die verbeamtet sind, andere sind angestellt, tun das Gleiche, kriegen aber entscheidend weniger Geld, werden dann manchmal sogar in einigen Bundesländern sogar über die Sommerferien entlassen und dann wieder eingestellt. Das ist unhaltbar. Da muss erst mal die Beschäftigungssituation harmonisiert werden.
    Dichmann: Also die gesamtberufliche Situation ist das Problem der Lehrer.
    Burchardt: Auf jeden Fall. Ich glaube auch nicht, dass die Lehrer da nur für sich selbst sprechen, sondern es geht auch darum, dass wirklich gute Leute diesen Beruf ergreifen. Gerade etwa in den beruflichen Schulen ist es schwer, qualifizierte Leute zu kriegen. Wenn die in der Wirtschaft mehr kriegen, dann gehen nicht unbedingt die Besten in die Berufsschulen, um gerade ihre Fertigkeiten und Fähigkeiten der nächsten Generation weiterzugeben. Also auch da muss dieser Beruf konkurrieren mit anderen.
    Dichmann: Ich finde es eigentlich doch schon auffällig, das ist ja eben auch ein Ergebnis des ifo-Barometers, dass die Lehrer selbst die Situation an Schulen wiederum für schlechter halten, das war ein weiteres Ergebnis, als der Rest der Gesamtbevölkerung. Wie könnten Sie sich das erklären?
    Burchardt: Im Unterschied zur Öffentlichkeit, die etwa der Informationskampagne der Politik ausgesetzt ist, sind die Lehrer ja mit dem Realitätsprinzip konfrontiert und erfahren, dass alles, was sich schön anhört in den Feiertagsreden der Politiker, in der Realität oft nicht funktioniert. Sie fühlen sich alleingelassen, und gerade diejenigen, die sich engagieren, sind sehr unzufrieden, weil sie merken, dass die Bedingungen gar nicht stimmen für das, was da von ihnen verlangt wird.
    "Die Betreuungsverhältnisse stimmen nicht"
    Dichmann: Wobei sie ja gleichzeitig glauben, dass an ihrer eigenen Schule immer alles besser ist als an den anderen Schulen.
    Burchardt: Gut, da gibt es bestimmte Realitätsverzerrungen, und das ist auch der Verantwortungsbereich, für den man zuständig ist. Nur, wenn man mal genau hinguckt, stimmen einfach die Betreuungsverhältnisse nicht. Wir haben große Klassen, wir haben zunehmende Erfordernisse. Wir werden ja sicherlich gleich auch noch auf Ganztag und Inklusion und so weiter zu sprechen kommen. Und da ist in den letzten Jahren, gerade seit PISA, den Lehrern einiges zugemutet worden. Und was sie vielleicht auch unzufrieden macht, ist, dass sie mit ihrer Kritik, die sie sachlich vorbringen, um die Situation zu verbessern, gar nicht gehört werden, weder in der Politik noch in der Bildungsbürokratie.
    Dichmann: Jetzt haben Sie es gerade selbst schon angesprochen, Ganztag und Inklusion. Zwei ganz große Trends der Bildungslandschaft hierzulande, und die Lehrer sprechen sich mehrheitlich gegen diese Trends aus. Sie sagen, den Lehrern wird möglicherweise nicht zugehört. Gegenfrage: Ist dann einfach die Lobby-Brust zu schwach?
    Burchardt: Die Lobby ist, glaube ich, ein Teil des Problems, weil sie selber nur Einzelinteressen vertritt. Der Philologenverband möchte das Gymnasium retten und hält dabei die Bildungsfrage insgesamt nicht im Blick. Die GEW, also die eher linke Lehrergewerkschaft ist vielleicht ideologisch eher auf Linie oft der Landesregierungen und lässt zum Teil auch ihre eigene Klientel im Stich. Also die Lobby-Brust ist schon da, nur die artikuliert auch nicht die Probleme der Basis immer. Und wenn sie sich dann mal melden, gibt es eben auch Repressionen aus der Bürokratie oder der Politik.
    "Die eigentliche Tätigkeit kann nicht mehr sinnvoll ausgeführt werden"
    Dichmann: Dann gehen wir noch mal zu dem Ausgangspunkt zurück, nämlich die Frage nach den Gehältern. Zeigt sich da nicht vielleicht aber auch irgendwie ein gefährliches Klima, Herr Burchardt? Man könnte ja auch den Schluss ziehen, verschiedene Berufsgruppen gönnen einander hier in diesem Land nichts.
    Burchardt: Könnte man, aber damit entsprechen sie ja im Grunde dem Zeitgeist, wo jeder um alles konkurriert und der Gemeinsinn sich langsam auflöst. Ich glaube, dass die Lehrer eher ein gesamtgesellschaftliches Thema artikulieren. Denn die Punkte, die wir gerade angesprochen haben, Inklusion und Ganztag, zeigen ja, dass viele ideologische Aspekte in die Schule reingepresst werden, gerade zulasten der Kinder und zulasten der Lehrer. Nehmen wir mal das Beispiel der Inklusion. Ich glaube, all diese Lehrer sind für eine Emanzipation von Menschen mit Behinderung, stellen nur die Frage, ob das Inklusionsmodell so, wie es gerade gefahren wird, diese Emanzipation erreicht. Wenn etwa die Ressourcen fehlen, wenn etwa die gut ausgebildeten Lehrer fehlen, wenn die Bedingungen so schlecht sind, dass für alle Beteiligten eigentlich weniger Emanzipation und weniger Bildung herauskommt, finde ich es gut, dass die Lehrer da Alarm schlagen und sagen, hier muss sich was ändern. Ich glaube, dass man seit geraumer Zeit das Gefühl hat, dass die eigentliche pädagogische Tätigkeit, das heißt, Menschen zum Wachsen zu helfen im Rahmen einer fachlichen Auseinandersetzung, im Zuge der Reformen und der vielen Veränderungen an den Schulen, immer mehr in den Hintergrund tritt, und uns bis zur Besinnungslosigkeit beschäftigt mit irgendwelchen komischen Verordnungen und Programmen, die durch die Schulen laufen. Und die eigentliche Tätigkeit kann nicht mehr sinnvoll ausgeführt werden, und das führt zu erheblicher Frustration, nicht, weil man seine eigenen Interessen wahren will, sondern weil man denkt, hier geht was gewaltig schief im Bildungssystem.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.