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Im Zeichen der Sarrazin-Debatte

Im November befassen sich die politischen Zeitschriften mit der Sarrazin-Debatte und ihrer Folgen. Eine davon ist das Nachdenken über den Terminus "Integration".

Von Norbert Seitz |
    Dass sich jeder zehnte Einwanderer nicht integrieren wolle, kann man seit der Sarrazin-Affäre allerorten hören. Gleichzeitig existiert aber keine präzise Vorstellung, was unter Integration konkret zu verstehen sei. Gilt beispielsweise als nicht integriert, wer zwar einem Beruf nachgeht und einen Schulabschluss hat - aber säkulare Schulen und die Gleichstellung der Geschlechter ablehnt oder gar Deutschland verbal verteufelt? Fragt Jürgen Kaube in der Zeitschrift "Merkur":

    "Was integriert werden sollte - Personen? Gruppen? Kulturen? Meinungen? Verhaltensweisen? Ist ebenso unklar wie der Gegenbegriff. Wenn jeder zehnte Zuwanderer sich nicht integrieren will, besteht er dann auf Privatheit, Feindschaft, Indifferenz, Dagegensein oder nur auf türkischsprachigem Fernsehen und Familienordnungen, die er für traditionelle hält. Wenn Integration als gescheitert beschrieben wird, bezieht sich das auf Ghettos, Fundamentalismen, mangelhaftes Sprachvermögen oder unterproportionalen Hochschulzugang?"

    Der freiheitliche Staat hat keinen Anspruch auf das Gewissen seiner Bürger. Er ist zwar gegenüber Religionen zur "Neutralität, aber nicht zur Indifferenz verpflichtet", stellt Hans Hugo Klein, früherer Richter am Bundesverfassungsgericht, mit Blick auf den Islam fest. In der Zeitschrift "Cicero" widerspricht er dabei auch der umstrittenen Formulierung des Bundespräsidenten Christian Wulff:

    "Dieser Islam, der die Aufklärung noch vor sich hat, gehört nicht zu Deutschland. Zwar gibt es ihn auch hier, aber er darf nicht bestimmend sein für unsere politische Kultur. Das hat Folgen. Recht und Verfassung verlangen von den in Deutschland lebenden Menschen 'nur', dass sie sich an die hier geltenden Gesetze halten. Jeder ist frei, seinen Glauben zu haben. Auch wenn dieser Glaube das Verhältnis von Staat und Religion anders definiert, als es das Grundgesetz tut."

    Die Sarrazin-Debatte hat tiefe Gräben gerissen. Vor allem in der SPD. So bekundete gerade Peer Steinbrück, weiten Teilen der Analyse des zurückgetretenen Bundesbankers nicht widersprechen zu können. Er rät seiner Partei, die Alltagserfahrungen mit konkreten Integrationsproblemen endlich ernst zu nehmen.

    In der SPD-nahen "Neuen Gesellschaft" interessiert man sich freilich mehr für das Echo unter Migranten. Die "Selbstverständlichkeit von Multikulturalität in Deutschland" sei durch die Sarrazin-Debatte in den Medien "vergiftet" worden, konstatiert Yasemin Karakasoglu:

    "Die Debatte wird als feindselig empfunden und nicht als nachvollziehbare Kritik an Missständen. Man darf nicht vergessen, dass es in Deutschland schon mal Zeiten gegeben hat, in denen eine solche Ablehnung mit massiver Gewalt verbunden war."

    Welche Zeiten sie wohl damit meint? Auch in den "Blättern für deutsche und internationale Politik" werden die Medien kritisch unter die Lupe genommen. So untersucht Dorothea Jung den islamfeindlichen Weblog "Politically Incorrect" und kommt zu dem Schluss, dass es der deutschen Debatte vor allem an einer präzisen Islamismuskritik mangele, …

    "... die dem Islam nicht die Fähigkeit abspricht, sich zu verändern, sondern sich gerade für dieses Veränderungspotenzial interessiert: Sie richtet ihre Vorwürfe deswegen nicht gegen den Islam und die Muslime, sondern prüft genau nach, welche muslimischen Gruppierungen tatsächlich eine Islamisierung anstreben. Kurz: Eine derartige Kritik interessiert sich für Differenzierung, Individuen und Zwischentöne."

    Islamkritiker wie Frank A. Meyer sind aber nicht länger bereit, sich bei der demokratischen Ankunft des Islam auf den Sankt-Nimmerleins-Tag der Political Correctness vertrösten zu lassen. Meyer im "Cicero":

    "Wo sind die machtvollen modernistischen Bewegungen, die der beängstigend verspäteten Religion von innen heraus den reformatorischen Kampf ansagen? An wen können sich deutsche, französische, schweizerische, europäische Bürgerinnen und Bürger halten, wenn kühn behauptet wird, auch diese Religion, der Islam in seiner heutigen Ausprägung, sei kompatibel mit Rechtsstaat und Demokratie?"

    Heinz Theisen diskutiert solche Probleme auf der höheren Ebene der Europäischen Union und ihres Expansionsdrangs in Richtung Ukraine oder der Türkei. Die EU leide unter "Überdehnungsschmerzen", heißt es im "Merkur", sie müsse endlich ihre Grenzen definieren:

    "Mit der Türkei als Vollmitglied würde die Europäische Union zu einem Anrainer des Nahen Ostens und des Kaukasus. Mit einem muslimischen Mitgliedstaat würde die Union zwischen alle kulturellen Fronten und Konflikte geraten und als neutraler Vermittler etwa im Nahen Osten ausfallen. Eine nicht dezidiert westliche Europäische Union wäre gewissermaßen ein transkulturelles Gebilde und daher kein Beitrag zu einer neuen Weltordnung der Kulturen."