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"Integration ist inzwischen mehrheitsfähig"

Rita Süssmuth, ehemalige Bundestagspräsidentin, hat den von ihr mit unterzeichneten offenen Brief von 17 Unionspolitikern zur Integrationspolitik verteidigt. Man habe damit an alle Parteien und Gesellschaftsgruppen appellieren wollen, das begonnene Integrationsprogramm mit allen Kräften voranzubringen. Integration sei kein Spaziergang, sondern auch mit Konflikten verbunden.

Moderation: Sandra Schulz | 01.02.2008
    Sandra Schulz: Einen überparteilichen Konsens für die Integrationspolitik haben die 17 Autoren aus CDU und CSU gefordert in ihrem offenen Brief, den die Wochenzeitschrift "Die Zeit" gestern abgedruckt hat. Nun steckt die Union mitten in einem Streit um den Wahlkampf Roland Kochs. Im dem offenen Brief heißt es nämlich, Integrationspolitik sei so fundamental, dass sie nicht zu einem Wahlkampfthema degradiert werden dürfe. Die Relativierung folgte auf dem Fuße, die Äußerungen seien kein Angriff auf Roland Koch hieß es, Bundeskanzlerin Merkel stärkte Koch in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung demonstrativ den Rücken. Der brandenburgische Innenminister Schönbohm attackierte sogar die 17 Parteigenossen. Dieser Brief empöre ihn, sagte der CDU-Politiker der Bildzeitung, denn alle Unterzeichner hätten zuvor die härtere Gangart gegen jugendliche Kriminelle unterstützt. Telefonisch bin ich nun verbunden mit einer der Unterzeichnerinnen des Briefs, mit Rita Süssmuth, früher Bundestagspräsidentin und später Vorsitzende der Zuwanderungskommission. Guten Morgen, Frau Süssmuth.

    Rita Süssmuth: Guten Morgen.

    Schulz: Frau Süssmuth, verstehen Sie die Empörung Schönbohms?

    Süssmuth: Nein, ich verstehe sie nicht, weil die Auseinandersetzung, die diese Gruppe aufgenommen hat, ist wirklich eine Verunsicherung erneut, wohin wollen wir mit unserer Integrationspolitik.

    Schulz: Mit welchen Gefühlen, Frau Süssmuth, haben Sie den Wahlkampf Roland Kochs verfolgt?

    Süssmuth: Also niemand bestreitet die großen Stärken von Roland Koch. Darum geht es hier nicht. Sondern es geht darum, dass wir erneut deutlich machen, wenn wir wirklich Integration wollen – übrigens Integration von Deutschen und Nichtdeutschen, denn das Problem ist ja nicht primär ein alleiniges Ausländerproblem – dann müssen wir uns auf neue Formen der Behandlung dieses Problems einigen. Und insofern ist der Hintergrund und der Brief, der an uns gerichtet worden ist, ein wichtiger Anlass gewesen zu sagen, erstens: Wir haben uns darauf zu einigen, dass wir Integration wollen - das scheint nicht überall klar zu sein -, und dass wir Abstand nehmen von einer Wahlkampfrhetorik, die immer wieder dazu führt, dass sie die einen hoch unterstreichen und auch damit gleich immer verbinden: Ausländer raus. Und eine ganz andere Frage ist die, die uns seit Jahren beschäftigt und in der die Bundesländer und der Bund ja nicht untätig sind: Wie gehen wir mit Gewaltproblemen in unserer Gesellschaft um ...

    Schulz: Frau Süssmuth, warum sind ...

    Süssmuth: ... von Deutschen gegen Ausländer, aber auch von Nichtdeutschen gegen Deutsche und gegen Ausländer. Und hier sagen die einen: härtere Strafen. Die anderen sagen: Unser Strafrecht ist weit schärfer, als es die Öffentlichkeit weiß. Die Öffentlichkeit weiß auch nicht, was alles erfolgt ist in dieser Auseinandersetzung. Wir wollen vermeiden, dass daraus erneut der Eindruck entsteht: Gäbe es keine Ausländer in Deutschland, dann hätten wir diese Probleme nicht.

    Schulz: Frau Süssmuth, warum sind denn aber die Äußerungen des offenen Briefs gestern gleich wieder relativiert worden?

    Süssmuth: Ich denke, dass wir klar sehen müssen, dass wir eigentlich vermeiden wollten, erneut mit der Antwort an diese Gruppe den Einruck zu verbinden, jetzt geht die Wahlkampfschlacht weiter. Darum geht es hier nicht. Es wäre viel sinnvoller, dass aus diesem Brief Reaktionen erfolgten, dass das wirklich ein Appell – und das in dem Brief deutlich ausgedrückt -, ist an alle Parteien, an alle Gesellschaftsgruppen, dass wir das begonnene Integrationsprogramm - ein Programm ist noch keine Realität - mit allen Kräften voranbringen und hier eher fragen, wo stehen wir, was haben wir bisher noch nicht erreicht. Denn frühkindliche Bildung, bessere Bildung in der Schule ist ein unverzichtbarer Schritt, hier weiter zu kommen. Aber das heißt doch noch nicht, dass wir am Ende sind und am Ziel angelangt sind. Und ich möchte noch mal sagen: Integration ist kein Spaziergang, sondern ist mit Konflikten verbunden. Auch ein Strafrecht ist ein Instrument, aber überhaupt nicht ausreichend, um Integration in der Gesellschaft voranzubringen. Was eine wichtige Botschaft darin ist: Wir sehen nicht weg, wir schauen hin, wir kümmern uns. Und da unsere Gesellschaft insgesamt immer stärker auseinander fällt, geht es doch um Integration all derjenigen, die immer stärker am Rande leben und nicht in der Mitte.

    Schulz: Aber wie soll das gehen, wenn Roland Koch im Wahlkampf die Parole ausgibt, es gäbe zu viele junge kriminelle Ausländer.

    Süssmuth: Wir wissen, dass in bestimmten Gruppen, den am wenigsten Integrierten, wir verstärkt mit Problemen zu tun haben. Je höher die jugendlichen integriert sind, desto geringer ist die Kriminalität. Und wenn ich 40 Prozent Arbeitslose bei jugendlichen nichtdeutscher Herkunft habe ...

    Schulz: Aber auch mit hausgemachten Problemen, Frau Süssmuth?

    Süssmuth: ...und weit weniger bei den Deutschen, dann zeigt das das Problem auf, was eine wichtige Dimension in der Ursachenanalyse ist. Und deswegen, dass wir Abstand nehmen zu fokussieren, uns auszurichten auf die These, wir haben zu viele Jugendliche mit Kriminalitätsverhalten unter den ausländischen Jugendlichen. Da muss doch die primäre Frage lauten: Was haben wir hier zu tun?

    Schulz: Die These ist aber so ausgegeben worden im Wahlkampf in Hessen. Der frühere Parteisekretär Geißler hat im Deutschlandradio Kultur gestern angemahnt, keine Politik auf Kosten von Minderheiten zu machen. Stehen also die Äußerungen, steht der Wahlkampf von Roland Koch für einen Kulturwandel in der CDU?

    Süssmuth: Nein, das glaube ich nicht.

    Schulz: Warum nicht?

    Süssmuth: Sondern ich würde die These von Heiner Geißler voll unterstützen. Da müssen wir aufpassen. Also jede Gesellschaft sucht immer auch die Gruppen, die sie verantwortlich macht für Probleme in der Gesellschaft. Und da lautet der Satz: Nicht auf dem Rücken der Minderheiten. Und jetzt kommt die Gegenantwort, aber wir müssen ja Probleme, die wir haben, auch benennen und im Wahlkampf einbringen können. So, und jetzt geht es nicht darum, diese Probleme nicht zu benennen, die wir seit langem haben, sondern es geht darum, wie wir mit diesen Problemen umgehen.

    Schulz: Frau Süssmuth, es ist für Sie ja keine ungewohnte Situation, dass Sie keinen Konsens haben mit der Mehrheitsmeinung in der CDU, aber wenn ich Sie höre – wie viel Berührungspunkte haben Sie noch mit der CDU, mit ihrer Partei?

    Süssmuth: Also ich möchte jetzt im Sinne des Briefes sagen: Es hat lange gedauert, bis wir bestimmte Erkenntnisse zur Mehrheitsmeinung gemacht haben. Und es hat sich gelohnt für mich als CDU-Mitglied sich für diese Integration, der bei uns zugewanderten und eingewanderten einzusetzen. Wir sind noch längst nicht am Ziel, aber es sind große Veränderungen eingetreten, die sollten wir nicht immer wieder gefährden und uns auf eine andere Fährte begeben. Aber für mich ist ganz wichtig, dass es sich sehr gelohnt hat, in dieser Richtung einzusetzen. Und ich sage Ihnen auch, dass die Integration inzwischen mehrheitsfähig ist, über das Wie wird immer noch gestritten.