Archiv

Vor 200 Jahren geboren
Die Revolutionärin Emma Herwegh

Das Leben der Emma Herwegh bietet ausreichend Stoff für einen Spielfilm: Die Tochter eines wohlhabenden Berliner Kaufmanns geht eine skandalöse Ehe mit einem Dichter und Revolutionär ein, folgt ihm ins Exil und wird geheime Botschafterin in der Revolution von 1848. Am 10. Mai 1817 wurde sie geboren.

Von Anette Schneider |
    Eine Plastik des Bildhauers Peter Lenk zeigt die badischen Revolutionäre Friedrich Hecker (r), Gustav Struve (an der Kanone) und die Dichter-Frau Emma Herwegh (auf der Kanone) gegenüber einem preußischen Soldaten.
    Revolutionärin Emma Herwegh (auf der Kanone), auf einer Plastik (dpa/Rolf Haid)
    "Oft kommt’s mir vor, als glaubten die Männer, wir wären nur zum Vergnügen in der Welt, zum Spaß für sie, und das ist der Punkt, der mich rasend machen könnte.", notierte Emma Herwegh im April 1841. Da war die Tochter aus wohlhabendem Hause 23 Jahre alt und vertrat seit Jahren eine entschieden eigene Meinung:
    Sie forderte demokratische Verhältnisse, unterstützte die polnische Freiheitsbewegung gegen die zaristische Fremdherrschaft und sprengte sämtliche gesellschaftlichen Konventionen. Ihr Biograf Michail Krausnick: "Sie war ja revolutionär. Und das schon eben als junge Frau, als junges Mädchen: Sie hat geritten, sie hat geturnt, sie rauchte Zigarren, und sie schoss. Und am liebsten stellte sie sich vor, dass der Zar Nikolaus auf der Schießscheibe war."
    "Das ist die Brut, die ich vernichtet sehen möchte"
    Emma Herwegh wurde am 10. Mai 1817 als Tochter eines Seidenhändlers in höchsten Berliner Kreisen geboren. Sie erhielt eine exzellente Ausbildung und ersehnte nichts mehr als eine freie und gleiche Republik, als ein freies und gleiches Europa. Doch um sich herum sah sie nur Karrieristen und Duckmäuser. In ihr Tagebuch, das sie zeitlebens führte, schrieb sie 1842:
    "Dieses sogenannte juste-milieu, aus dem weder eine Tugend noch ein Verbrechen hervorgeht, diese Zwitternaturen, halb liberal, halb royal, diese echten Schmarotzerpflanzen, die heute auf die Auferstehung Polens und morgen auf den Kaiser Nikolaus ihre Toaste ausbringen, ... das ist die Brut, die ich vernichtet sehen möchte."
    Michail Krausnick erklärt: "Sie war revolutionär gesonnen. Hat alle europäischen Sprachen fast gelernt, um sich dann irgendwelchen Freiheitsbewegungen unterstützend anzuschließen. Das hat sie dann weiter betrieben an der Seite ihres Mannes. Sie war vielleicht sogar revolutionärer ... und spielte für die europäische Freiheitsbewegung dann auch eine Riesenrolle."
    "Das Mädchen ist noch rabiater als ich"
    Ihren Mann, den revolutionären Dichter Georg Herwegh, lernte sie Ende 1842 in Berlin kennen. Nach einer Woche waren die beiden verlobt, und Herwegh ließ wissen: "Das Mädchen ist noch rabiater als ich und ein Republikaner von der ersten Sorte." Weil der "Aufwiegler" wenig später aus Preußen verbannt wurde, fand die Hochzeit in der Schweiz statt. Fortan lebte Emma Herwegh im Exil.
    Erste Station war Paris, Zufluchtsort für politisch Verfolgte aus ganz Europa. Dort wohnten die Herweghs gleich neben ihren Freunden Karl und Jenny Marx. In ihrem Salon gingen Heinrich Heine, Michail Bakunin, Iwan Turgenjew, Alexander Herzen sowie George Sand ein und aus.
    Als 1848 in deutschen Landen die Märzrevolution begann, drängten Emma Herwegh und einige hundert Exilanten, die Aufständischen zu unterstützen. In geheimer Mission reiste sie nach Baden, verhandelte mit Friedrich Hecker - doch als die Revolutionäre aus Paris endlich die deutsche Grenze überschritten, waren Hecker und seine Männer bereits vom preußischen Militär geschlagen.
    Flucht in die Schweiz
    Die Herweghs entkamen in die Schweiz. Dort verfasste die nun steckbrieflich gesuchte 31-Jährige ihren Erfahrungsbericht "Die Geschichte der deutschen demokratischen Legion aus Paris" - und fand in Schlesien sogar einen Drucker. Doch, so Michail Krausnick: "Keiner durfte es drucken, denn die Reaktion hatte inzwischen schon gesiegt und die Zeitungen waren wieder in der Hand der Fürsten, der Mächtigen. Und so hat sie es zwar drucken lassen können - aber es wurde sofort beschlagnahmt und verboten."
    Obwohl die Not im Exil immer größer wurde, wich Emma Herwegh keinen Deut von ihrer revolutionär-demokratischen Haltung ab. So arbeitete sie von Genf und Zürich aus jahrelang für die einzige noch verbliebene Freiheitsbewegung Europas - die italienische.
    Michail Krausnick: "Sie hat für Garibaldi, Orsini, Mazzini – die kannte sie auch alle persönlich! – hat für die Freiwillige rekrutiert, hat Italienischkurse gegeben in der Schweiz, hat dem Oberst Rüstow praktisch befohlen, dass er jetzt Garibaldi als Befehlshaber unterstützen soll, hat also wirklich die fähigsten Leute für Garibaldis Freischarzug geworben. Und hat dann den Orsini aus dem Gefängnis sogar befreit."
    "Ein junges, demokratisches Deutschland"
    1878 zog Emma Herwegh nach Paris, wo sie bis zu ihrem Tod im Jahre 1904 lebte. Sie übersetzte Literatur, protegierte den jungen Frank Wedekind und bemühte sich trotz der reaktionären Politik, das revolutionäre Werk ihres verstorbenen Mannes vor dem Vergessen zu bewahren.
    Denn bis zum Schluss war sie davon überzeugt, was sie 1848, nach der blutigen Niederschlagung der Revolution, in ihrem Bericht so formuliert hatte: "Es gibt noch ein anderes Deutschland, als das zu Frankfurt verratene, ein anderes, als das, welches ... zum Henker oder Spießgesellen an allen nach Freiheit ringenden Völkern geworden ist, und seine besten Kinder im Exil oder in schmählichen Banden hält. Es gibt ein junges, demokratisches Deutschland!"