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Internationale Rechercheteams
Ohne Vertrauen geht es nicht

In internationalen Teams zusammen recherchieren, über die Medien- und Publikationsgrenzen hinweg - was beispielsweise bei Projekten wie den Panama Papers funktioniert hat, scheint immer mehr zum Trend zu werden. Doch Erfolg haben solche länderübergreifenden Recherchen nur unter bestimmten Voraussetzungen.

von Matthias Funk | 25.06.2018
    Der Schriftzug «Panama» ist am 04.04.2016 am Briefkasten eines Wohnhauses in Kaufbeuren (Bayern) befestigt.
    Datensätze wie die der Panama Papers lassen sich nur in großen Recherche-Teams auswerten. (dpa/picture-alliance/Karl-Josef Hildenbrand)
    "Die ganz großen Recherchen sehe ich als einen schönen Ausdruck dafür, dass Cross Border Journalismus als Methode dabei ist, sich wirklich zu etablieren."

    Mit den "ganz großen Recherchen" meint die Journalistin Brigitte Alfter Projekte wie die Panama Papers, an dem 400 Journalisten aus 80 Ländern und von hundert Medien beteiligt waren.

    Alfter selbst hat 2004 angefangen, grenzüberschreitend im Team zu arbeiten - weil sie für eine Geschichte Hilfe in einer Fremdsprache benötigte. Auf der Grundlage ihrer Erfahrung, von Interviews mit Journalisten, die im Team gearbeitet haben, und aus Erkenntnissen verschiedener Wissenschaften schrieb sie das Handbuch "Cross Border Journalism".
    "Die Wirklichkeit ist länderübergreifend"
    Alfter bringt auf den Punkt, warum Journalismus über Grenzen hinweg sinnvoll ist - nicht nur bei den ganz großen Recherchen: "Weil die Wirklichkeit länderübergreifend ist."

    Harald Schumann arbeitet länderübergreifend. Neun Reporter aus acht Ländern bilden "Investigate Europe". Er ist der deutsche Reporter im Team und er sagt: "Im Grunde holen die Journalisten jetzt nach, was die Wirtschaft längst vorgemacht hat."

    "Investigate Europe" ist mittelfristig durchfinanziert, vor allem durch Gelder von Stiftungen. Erklärtes Ziel: Über ein Europa im Wandel kritisch berichten. Für die erste gemeinsame Recherche als "Investigate Europa" wählte das Team die Frage, was Politiker meinen, wenn sie sagen, sie wollten die Außengrenzen der EU schützen. Ein Ergebnis:
    Ausländische Journalisten vor Ort großer Vorteil
    "Es gibt ein System, was ungefähr zwei Milliarden Euro gekostet hat, mit dem alle europäischen Grenzschutzbehörden elektronisch vernetzt wurden. Und wir sind dann der Frage nachgegangen, welchen praktischen Nutzen haben die Grenzer von diesem System. Und dann stellte sich heraus, dass keine einzige Grenzschutzbehörde in der Lage war zu sagen, was sie daraus eigentlich für einen praktischen Nutzen zieht. Im Fall Italien war die Überraschung sogar, dass die das Geld einfach genommen haben, aber das System gar nicht wirklich eingerichtet haben. Man musste nur mal gucken! Aber es hatte eben bis dahin keiner getan."
    Die Aufstellung als Team mit Mitgliedern vor Ort hat sich da ausgezahlt. "Die italienische Kollegin ist dann einfach hingefahren und hat festgestellt, dass außer einem Schild und einem Pförtner im Grunde gar nichts da ist."
    Publikationen sind Partner, keine Konkurrenten
    "Investigate Europe" veröffentlichte die Ergebnisse dieser Recherche in zehn Ländern. Die neun Journalisten sind nur ein Beispiel für eine wachsende Zahl an Teams, die über Grenzen hinweg recherchieren und dann die Ergebnisse in vielen Ländern veröffentlichen. "Der Spiegel" etwa ist Teil eines Netzwerkes, das sich "European Investigative Collaboration" nennt und Partner in acht weiteren Ländern hat. Eine weiterer Vorteil des Modells: Die Partner sind keine Konkurrenten. So heißt es denn auch, man sei offen für weitere Publikationen, in jedem Land soll es aber nur einen Partner geben.

    Aber warum schießen die Cross Border Recherchen erst in den letzten Jahren so aus dem Boden? Schließlich haben viele Themen noch nie Halt vor Ländergrenzen gemacht. Anne Koch, zwanzig Jahre Journalistin bei der BBC, arbeitet heute für das "Global Investigative Journalism Network", eine gemeinnützige Organisation, die Enthüllungsjournalismus in aller Welt fördert. Sie sieht mehrere Gründe, aber:
    "Muss sich aufeinander verlassen können"
    "Der Hauptgrund ist Vertrauen. Man muss sich unbedingt aufeinander verlassen können, schließlich muss man brisante, teils exklusive Informationen teilen."

    Das Team von "Investigate Europe" kannte sich größtenteils schon von vorherigen Recherchen. Andere Teams müssen auf anderem Weg Vertrauen aufbauen.
    Eine Chance dazu sind Konferenzen: Die erste "Global Investigative Journalism Conference" fand 2001 statt, daneben gibt es eine europäische Konferenz von Enthüllungsjournalisten, auch "Dataharvest" genannt. Diese hat gerade im Mai im belgischen Mechelen stattgefunden. Von ein paar Dutzend Teilnehmern bei der Erstausgabe ist sie auf knapp 500 gewachsen. Die wachsende Zahl der Konferenzen, die immer höhere Teilnehmerzahl - auch das trägt wohl zur wachsenden Zahl an grenzüberschreitenden Recherchen bei. Netzwerktheorie angewendet auf den Journalismus.
    Journalismus-Konferenzen als Inkubatoren
    "Es ist jetzt das achte Mal, dass wir diese Konferenz hier machen. Ich weiß, dass viele sich hier getroffen haben im Lauf der Jahre. Ich habe leider keine Statistik. Aber die Leute sagen mir immer wieder: Das hatten wir damals bei der 'Dataharvest' ausgedacht."

    "Die Journalisten haben über die Zeit Vertrauen zueinander aufgebaut. Du hast also Kollegen überall auf der Welt und ihr seht euch jedes Jahr. Und dann fängst Du an, mit Ihnen zusammen zu arbeiten."

    Nicht jede grenzüberschreitende Recherche ist so groß wie die Panama Papers. Aber die Wirklichkeit hinter vielen Geschichten macht nicht an Ländergrenzen halt. Oder wie Ex-BBC-Journalistin Anne Koch über "Cross Border Journalismus" sagt: "Die Geschichten verlangen es. Immer mehr."