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IS-Terror auf den Philippinen
Eskalation im umkämpften Marawi

Ausgerechnet auf den überwiegend katholisch geprägten Philippinen wütet die Terrorgruppe IS. In der Stadt Marawi töteten die Islamisten vor wenigen Tagen 13 Soldaten, die die Stadt von den Terroristen befreien sollten. Wie viele Bewohner in ihren Häusern noch gefangen sind, weiß keiner so genau.

Von Holger Senzel |
    Elitesoldaten der philippinischen Armee ziehen durch Stadtviertel von Marawi, der wichtigsten muslimischen Stadt im überwiegend katholischen Philippinen
    Elitesoldaten der philippinischen Armee ziehen durch Stadtviertel von Marawi, der wichtigsten muslimischen Stadt im überwiegend katholischen Philippinen (AFP/Noel Celis)
    Ein Militär-Flugzeug zieht seine Kreise am blauen Himmel über Marawi, geht scheinbar unvermittelt in den Sturzflug, feuert seine Raketen auf einen Rebellenunterschlupf ab. Das Haus in der Altstadt löst sich auf in einem orange-gelben Feuerball. Nur eine Straße weiter sitzt eine Mutter mit ihren Kindern unter dem Tisch und betet.
    "Wir fürchten uns sehr, die Kinder schreien vor Angst. Wenn die Bomben fallen, zittert das ganze Haus, Scheiben sind zerbrochen. Und hinter dem Haus sind die Rebellen und schießen. Wir können nichts tun – außer beten und auf die Gnade Gottes hoffen."
    Für Flucht ist es zu spät
    200.000 Menschen lebten einst in Marawi. Niemand kann sagen, wie viele noch immer ausharren. Für Flucht ist es zu spät, die Stadt wurde zur Falle für ihre Bewohner. Sie verstecken sich hinter verschlossenen Türen – aber selbst wenn sie das Haus verließen, gäbe es nichts zu Kaufen auf diesem Schlachtfeld.
    "Unsere Vorräte sind fast aufgebraucht. Ich habe noch ein bisschen Reis, aber sonst nichts mehr. Keine Milch, keine Eier, kein Gemüse – nichts. Vor allem für die Kinder ist es schlimm, einige sind schon krank geworden."
    "Wenn ihr Widerstand leistet, werdet Ihr sterben"
    Als lokale Islamistengruppen Mitte Mai mit IS-Fahnen durch Marawi zogen und die Stadt terrorisierten, erklärte Präsident Duterte das Kriegsrecht für Mindanao und schickte Truppen. Er tue das, um die Bürger der Philippinen zu schützen, sagte er, und rief den Rebellen zu: "Wenn Ihr uns bekämpft, werdet Ihr sterben. Wenn Ihr Widerstand leistet, werdet Ihr sterben. Und wenn das bedeutet, dass viele Menschen sterben werden – nun, dann ist das so."
    Der philippinische Präsident Duterte hält eine Rede in seiner Heimatstadt Davao.
    Der philippinische Präsident Duterte (AFP / Manman Dejeto)
    Elitesoldaten mit Panzern und Hubschraubern gegen ein paar Dutzend Rebellen – ein schneller Einsatz sollte es werden. Doch inzwischen dauern die Kämpfe schon drei Wochen. Die überlegene Feuerkraft der Militärs verpufft in verwinkeltelten Gassen; ein unsichtbarer Feind schiesst aus dem Hinterhalt. Die Armee hat garantiert, Zivilisten kämen nicht zu Schaden – sie hat ihr Versprechen nicht halten können: In die Enge getriebene Terroristen nehmen Bürger von Marawi als Geiseln, immer wieder finden die philippinischen Truppen Menschen mit durchschnittener Kehle.
    Vorteil der Ortskenntnis
    Die Opferzahlen sind unklar: Das Militär spricht von 300 Toten, darunter 60 Soldaten und 28 Zivilisten; Augenzeugen berichten von 500 bis 1.000 Toten in der umkämpften Stadt. Und das Sterben geht weiter.
    Philippinische Soldaten patrouillieren in der Stadt Marawi.
    Philippinische Soldaten kontrollieren nach eigenen Angaben den Großteil der Stadt Marawi. (dpa/picture-alliance/Bullit Marquez)
    Jetzt unterstützen die USA die philippinische Armee – nicht mit Kampftruppen, sondern Ausrüstung und Aufklärung. Ihre Gegner gehören zu Abu Sayyaf und Maute; zwei lokalen Terrorgruppen, die dem sogenannten islamischen Staat Treue geschworen haben. Sie haben den Vorteil der Ortskenntnis, viele stammen aus Marawi selbst.
    "Eines Morgens stand mein Nachbar vor der Tür. Mit Gewehr und Kampfanzug. Ich fragte ihn, was machst Du hier. Und er sagte: Ich kämpfe für den Dschihad. Ich sagte: Red' keinen Unsinn, zieh' Deine Sachen aus, ich verstecke Dich, bis das hier vorbei ist. Und er sagte: Nein – ich will sterben für den Dschihad."
    Ein philippinisches Pulverfass
    Mindanao ist seit 50 Jahren ein philippinisches Pulverfass. Separatisten kämpfen für die Selbständigkeit der überwiegend muslimischen Insel von den katholischen Philippinen – 120.000 Menschen starben bisher. Präsident Duterte hat versprochen, das Problem ein für alle mal zu lösen, an dem bislang all seine Vorgänger gescheitert sind.
    "Wenn sie die IS-Flagge hissen, müssen wir sie stoppen. Was den Terror nährt, das sind Drogen. Sie finanzieren damit ihre Waffen und deshalb hören sie nicht auf Drogen zu kochen."
    Die Mehrheit applaudiert dem Vollstrecker
    Drogen, das sind für Präsident Duterte letztlich die Wurzeln aller Übel auf den Philippinen. 8.000 Tote hat sein blutiger Anti-Drogen-Krieg bislang gekostet. Dealer, Süchtige, Verdächtige, Unschuldige – ermordet von Todesschwadronen, erschossen von der Polizei. International steht er deshalb in der Kritik. Im Lande selbst applaudiert die Mehrheit dem Vollstrecker, wie er genannt wird. Dabei sind die Drogen eher Symptom als Ursache der Pespektivlosigkeit. Die größten Probleme der Philippinen sind nach wie vor ungelöst: Armut, Korruption, marodes Gesundheitssystem, katastrophale Infrastruktur.
    Auch der Kampf gegen die islamistischen Separatisten auf Mindanao erschient vielen Experten aussichtslos. Denn das ist keine Frage von Truppenstärke und Feuerkraft. Abu Sayyaf etwa, die den deutschen Segler Jürgen Kanther köpften, hat schätzungsweise weniger als 100 Kämpfer. Doch in dem Dschungel Mindanaos sind sie ihren Verfolgern bislang noch jedes Mal entkommen.