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Israel
Hilfe für die Schwerstverwundeten des Syrienkriegs

Eine medizinische Versorgung gibt es in weiten Teilen Syriens nicht mehr. Besonders hoffnungslose Fälle werden deshalb in Israel behandelt, das allerdings als Feindesland gilt. Deswegen verschweigen viele Patienten ihre Behandlung - sie fürchten die Rache der Assad-Soldaten.

Von Silke Fries | 16.01.2017
    Armeeangehörige des israelischen Militärs versorgen hier einen syrischen Verwundeten in einem Militärlazarett auf den Golan-Höhen.
    Armeeangehörige versorgen einen syrischen Verwundeten in einem Militärlazarett. (imago stock&people)
    Die Notaufnahme im Ziv Medical Center in Safed. Hier stehen blank geputzte Liegen, an der Decke sind helle Strahler, hier werden Elektrokardiogramme geschrieben und Infusionen gelegt. Es geht darum, Menschen das Leben zu retten. Der Pfleger David Fuchs arbeitet hier, er nimmt die meist bewusstlosen Patienten aus Syrien auf. Gebracht werden sie vom israelischen Militär, die Soldaten haben die Schwerverletzten auf der syrischen Seite des Grenzzauns gefunden - meist in Decken gewickelt, mit teils alten und entzündeten Wunden.
    "Die meisten werden nachts gebracht. Jetzt im Winter sind sie steif gefroren, sie haben Stunden im Feld gelegen. Oft sind Tage vergangen, bis sie bei uns in der Notaufnahme landen. Sie haben enorm gelitten, niemand hat ihnen Schmerzmittel gegeben. Und je länger die Verletzung her ist, desto schlimmer ihr Zustand. Wenn jemand mit einem Bauchschuss hier nach zwei Tagen eingeliefert wird, ist es schon fast zu spät."
    Behandlung ist für die Patienten kostenlos
    Seit vier Jahren gibt es den medizinischen Grenzverkehr ins Krankenhaus nach Safed. Bei der Aufnahme fragt niemand, ob der angegebene Name der richtige ist, ob die syrischen Patienten zu einer Rebellengruppe gehören, Assad-Sympathisanten sind oder Zivilisten. Die Behandlung ist kostenlos. David Fuchs sagt, er habe noch nie so viele Schwerstverwundete über einen so langen Zeitraum gesehen.
    "In all den Jahren habe ich keine Verletzungen durch Chemiewaffen gesehen. Aber es gab eine Phase, in der hier viele Fassbomben-Opfer eingeliefert worden sind – vor allem Kinder und Jugendliche. Viele von ihnen sind aus dem Haus gerannt, wenn sie Hubschrauber gehört haben. Denn in syrischen Häusern gibt es keine Bunker. Und diese Fassbomben zerreißen die Menschen förmlich. Und wenn der Winter weiter so hart und kalt bleibt, dann wird die Zahl der Toten steigen – mit Sicherheit."
    Mohammed hat es geschafft. Der zierliche Mann ist etwa 24 Jahre alt und trägt einen dichten schwarzen Bart. Er schiebt seinen Pullover nach oben und zeigt auf eine Wunde, die fast verheilt ist: Etwa 20 Zentimeter zieht sich die Narbe längs über den Bauch, auf dem Rücken ist die Stelle zu sehen, an der die Gewehrkugel ausgetreten ist. Er war mehr tot als lebendig, als er am Grenzzaun abgelegt wurde, er war ohne Bewusstsein. Er ist nicht der einzige aus seinem Dorf, der in Israel in Behandlung ist.
    "Mein Nachbar ist von einer Fassbombe getroffen worden. Er liegt hier im Zimmer nebenan. Die Fassbomben haben auch Verwandte und Brüder von mir verletzt – die meisten der Opfer sind Zivilisten. Was das Regime will, ist, uns wieder unter seine Macht zu zwingen. Aber das lehnen wir ab."
    Etwa 3.000 Syrer wurden bisher in Israel behandelt
    Mittlerweile sind rund 3.000 Syrer in Israel behandelt worden, etwa 800 allein in Safed. Darunter waren Kinder, denen Arme oder Beine amputiert werden mussten. Menschen, die durch Bomben oder Streumunition ihr Augenlicht verloren haben, Menschen, denen Teile des Gesichts weggebombt worden sind. Unfassbar für den Gesichts- und Kieferchirurgen Dr. Alejandro Roisentul.
    "Ich sehe hier Verletzungen, die ich noch nie gesehen habe. Da wird gezielt auf Gesichter oder den Nacken geschossen, mit Kugeln aus großen Gewehren wie einer M16 oder einer Kalaschnikow. Und es gibt auch Verletzungen durch Schrapnell-Schüsse, wo die Opfer von mehreren Kugeln getroffen werden. Oft stecken die Kugeln noch im Gesicht der Verletzten oder in der Nähe des Rückenmarks. So was hab ich noch nie zuvor gesehen."
    Wenn die Wunden verheilt sind, die Patienten Prothesen und Blindenstöcken bekommen haben, führt der Weg wieder zurück auf die andere Seite des Grenzzauns. Dorthin gebracht werden sie vom israelischen Militär. Wie sie von dort nach Hause kommen, ist nicht bekannt. Auch Mohammed wird gehen – sobald das Wetter besser ist.
    "Vor dem Krieg waren wir überzeugt, dass Israel unser Feind ist. So wurde uns das von klein auf beigebracht. Seit Beginn des Kriegs aber haben wir erlebt, dass uns in Israel geholfen wird. Vater und Sohn Assad aber haben uns immer erklärt, dass Israel der Erzfeind ist. Aber genau das Gegenteil ist der Fall."
    Patienten verheimlichen, dass sie in Israel behandelt wurden
    Nur enge Freunde und seine Familie wissen, dass er in Israel behandelt wird. Er fürchtet sich vor der Verfolgung durch Assad-Soldaten, sollte bekannt werden, dass er im Feindesland war.
    "Jede Minute warten wir darauf, dass wir getroffen werden, wir warten auf den Tod. Wir haben keine Arbeit mehr, keinen Strom, keine Aussichten. Wir sind regelrecht belagert – ohne Essen, ohne medizinische Versorgung. So erleben wir das Tag für Tag."
    Mohammed hat kaum mehr Hoffnung auf Frieden. Und ähnlich sehen das der Pfleger David Fuchs und der Arzt Dr. Alejandro Roisentul im Ziv Medical Center in Safed.
    "Wir haben genug Probleme damit, unsere eigene Bevölkerung zu versorgen. Und die syrischen Patienten kommen aus einem Nachbarland, mit dem wir noch nicht einmal einen Friedensvertrag haben. Aber wir sind keine Politiker, sondern Ärzte. Was wir sehen, sind schwer verletzte Menschen – und sie leiden. Es darf also keine Rolle spielen, ob sie aus Syrien oder aus Israel kommen. Aber: Es ist sehr traurig, dass kein Ende abzusehen ist."
    "Anstelle Kaffee zu trinken oder Gin und Whiskey, sollte sich endlich jemand von den Vereinten Nationen in Bewegung setzen. Die sitzen sowieso auf der Grenze zwischen Israel und Syrien. Warum also machen sie dort nicht einfach ein Lazarett auf? Die Vereinten Nationen müssen endlich Verantwortung übernehmen."