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Italiens unkritischer Umgang mit der Kunst des Faschismus
Kultur auf Linie

Wer unter Mussolini regimetreue Kunst schuf, wurde mit dem Premio Cremona ausgezeichnet. Nach deutschem Vorbild sollte das Kulturschaffen auch in Italien vereinheitlicht werden. Die Geschichte des Preises wird jetzt in einer erstaunlich unkritischen Ausstellung nachgezeichnet.

Von Thomas Migge | 16.10.2018
    Eine Schwarz-Weiß Fotografie von Roberto Farinacci
    Roberto Farinacci, einst Chef der Faschistischen Partei Italiens und Vater des Premio Cremona (imago stock&people/ United Archives International)
    Eine Wochenschau aus dem Jahr 1938 präsentiert eine Kunstausstellung im norditalienischen Cremona. Gezeigt und prämiert wird Propagandakunst. Künstler, die sich um den Preis Premio Cremona bewerben wollten, mussten zwei Sujets thematisieren: "Zuhören am Radio, wenn der Duce spricht" und "Der neue faschistische Gefühlszustand".
    Die Kamera der Wochenschau zeigt Gemälde, die sehr an die Kunst des NS-Regimes erinnern: Bauernfamilien beim andächtigen Zuhören am Radio, eine junge Frau erstrahlt beglückt beim Betrachten einer Mussolini-Büste. Ein Minenarbeiter schaut in die Ferne, in, so der Titel des Gemäldes, die glückliche faschistische Zukunft.
    Vereinheitlichung der faschistischen Kunstszene
    Für solche Gemälde wurde 1939 zum ersten Mal der Premio Cremona organisiert. Der erste Preis faschistischer Kunst, den das seit 1922 existierende Duce-Regime organisiert hatte. In Cremona findet jetzt zu diesem Kunstpreis eine umfassende Ausstellung statt. Kurator ist der Kunsthistoriker Vittorio Sgrabi:
    "Heute ist weitgehend vergessen, dass Cremona die Stadt dieses Kunstpreises war. Es handelt sich um den ersten Versuch, die italienische Kunstszene im propagandistischen Sinn zu vereinheitlichen - wie seit 1933 im NS-Regime. Ausgestellt, ausgezeichnet und gefördert werden sollen Künstler, die Regime-Kunst machten. Diese Seite der Kunstpolitik des italienischen Faschismus ist zu Unrecht aus dem Bewusstsein Italiens verdrängt worden."
    Der Premio Cremona war die Idee von Roberto Farinacci. Der allmächtige Chef der Faschistischen Partei Italiens, Partito Nazionale Fascista, wollte, nach deutschem Vorbild, das Faschistische in der Kunst hervorheben. Ganz anders als Margherita Sarfatti, die Ex-Geliebte und bereits ins Ausland emigrierte Geliebte des Duce. Die jüdische Intellektuelle war bis in die frühen 1930er Jahre für das Kunstschaffen im faschistischen Italien verantwortlich. Doch sie förderte nur Kunst, die nicht propagandistisch war - darunter Künstler, die nach 1945 weltbekannt wurden, wie etwa Giacomo Balla und Giorgio de Chirico. Zwei Ausstellungen in Mailand und Rovereto erzählen derzeit das kulturpolitische Wirken der Faschistin Sarfatti.
    Lagerbildung in der italienischen Kunstszene
    Fast alle Maler, die zwischen 1938 und 1941 beim Premio Cremona ausstellten, sind dagegen heute vergessen. Sgarbi zeigt in der Ausstellung 60 Werke, unter anderem von Luigi Stracciari und Mario Beltrami. Mit der Schaffung des Premio Cremona wurde Italiens Kunstszene ganz offiziell in zwei Lager gespalten: die in jeder Hinsicht geförderten Regimekünstler, und jene Künstler, die von Farinacci als zu modern und avantgardistisch verschmäht wurden. Vittorio Sgarbi:
    "Seit den späten 1930er Jahren kann man in Italien vom Kunstregime sprechen. Kunst musste vor allem propagandistische Zwecke erfüllen. Das Regime gab bestimmte Themen vor."
    Der Premio Cremona fand nur bis 1941 statt. Italien war im Jahr davor in den zweiten Weltkrieg eingetreten. Kunstprojekte des Regimes wurden bis auf weiteres eingefroren.
    Keine kritische Analyse
    Sicherlich ist die Ausstellung zum Premio Cremona interessant - schon deshalb, weil sie einen Aspekt des italienischen Faschismus beleuchtet: das Regime als Kunstauftraggeber. Ein Aspekt, der bis heute so gut wie gar nicht thematisiert wurde. Doch wie bei fast allen Ausstellungen, die seit einiger Zeit in Italien zur Epoche des Faschismus organisiert werden, fehlt auch in Cremona eine kritische Analyse. Unbegreiflich angesichts der derzeit in Italien immer öfter zu beobachtenden neofaschistischen Äußerungen und Verhaltensweisen, auch von Regierungspolitikern. In einem Land, in dem selbsternannte neofaschistische Wachleute mit dem Segen der Behörden, an Stränden und in Innenstädten gegen illegale Einwanderer vorgehen, in denen Menschen mit dunkler Hautfarbe fast täglich physisch bedroht werden und rechtsradikale Organisationen ganz offen das Duce-Regime beschwören, sollte man von Ausstellungsorganisatoren erwarten dürfen, dass kulturpolitische Aspekte des italienischen Faschismus auch historisch eingeordnet und kritisch beleuchtet werden.