Samstag, 27. April 2024

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Jamaika-Sondierungen
"Kröten für jede Seite"

Bei den Sondierungsgesprächen für die Regierung in Schleswig-Holstein kannten sich die Beteiligten seit Jahrzehnten, jetzt in Berlin gehe es darum, Kernprojekte präsentieren zu können, sagte der Politikwissenschaftler Wilhelm Knelangen im Dlf. Da gehe es wohl weniger um Vision, sondern um Kompromisse.

Wilhelm Knelangen im Gespräch mit Stefan Heinlein | 10.11.2017
    Politiker nehmen an der Fortsetzung der Sondierungsverhandlungen am 26.10.2017 in der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft in Berlin zwischen CDU, CSU, FDP und Grünen, teil. L-r: CDU-Generalsekretät Peter Tauber, Ministerpräsident von Hessen, Volker Bouffier (CDU), Vorsitzender der CSU-Landtagsfraktion Thomas Kreuzer, CDU-Fraktionschef Volker Kauder, Ministerpräsident aus Bayern Horst Seehofer (CSU), Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Bayerns Innenminister Joachim Hermann (CSU), Ministerpräsident aus Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet (CDU), Generalsekretär der CSU, Andreas Scheuerer und Jens Spahn (CDU).
    Sondierungsgespräche: "Nun dauert es doch einfach sehr, sehr lange", sagte der Kieler Politikwissenschaftler Wilhelm Knelangen im Dlf. Das sei man in Deutschland in der Form gar nicht gewohnt. (Wolfgang Kumm/dpa)
    Stefan Heinlein: Mitgehört hat der Kieler Politikwissenschaftler Wilhelm Knelangen. Guten Tag!
    Wilhelm Knelangen: Guten Tag!
    "Kompromisse sind in Deutschland nicht so wohl gelitten"
    Heinlein: Nur noch 45 Prozent sind für Jamaika. Sind Sie noch für Jamaika in Berlin?
    Knelangen: Ich war nie für Jamaika, muss das auch nicht sein. Darauf kommt es nicht an, sondern was man natürlich hier sehen kann, ist eine ganz einfache Rechnung, die die Bürgerinnen und Bürger aufmachen, nämlich eine Landtagswahl beziehungsweise in diesem Fall eine Bundestagswahl hat stattgefunden und es wird gesagt, ein Jamaika-Bündnis könnte etwas sein, was als Regierungskonstellation in Frage kommt, und nun dauert es doch einfach sehr, sehr lange. Das ist etwas, was wir in Deutschland in der Form auch gar nicht gewohnt sind. In der Regel bei den vergangenen Bundestagswahlen ging es entweder im Falle der Großen Koalition tatsächlich darum, dass sich zwei sehr, sehr große Tanker aufeinander zubewegen, oder auch sehr, sehr schnell, weil Wunschbündnisse gewissermaßen bestätigt wurden. Das ist jetzt anders und insofern glaube ich, die Erfahrung, die wir jetzt machen, ist, dass Kompromisse, die in Deutschland nicht so wohl gelitten sind, gemacht werden müssen, und jetzt wird im Grunde genommen auch ein bisschen die Atmosphäre dafür bereitet, die eigene Anhängerschaft damit zu konfrontieren. Das wird ja früher oder später kommen.
    "Anhänger merken, dass man wohl Federn lassen muss"
    Heinlein: Stichwort Atmosphäre. Wie beurteilen Sie aus der Ferne, aus Kiel die Atmosphäre in Berlin bei diesen Sondierungen? Wir haben gerade in dem Beitrag gehört, es gibt ja durchaus Optimismus, zuversichtliche Töne. Ist das nur Zweckoptimismus?
    Knelangen: Na ja. Zumindest sind natürlich die Bretter, die man in Berlin bohren muss, wesentlich dickere, und das ist auch ein Unterschied sicherlich zu der Situation hier in Schleswig-Holstein, weil man hier gerade in den Feldern, in denen die Unterschiede besonders groß waren, etwa zwischen FDP und Grünen, immer darauf verweisen konnte, das sind Fragen, die hier gar nicht entschieden werden. Deswegen war es auch sehr viel einfacher, hier zu Kompromissen zu kommen. In Berlin geht es jetzt tatsächlich ans Eingemachte. Wenn eine Partei wie die Grünen sich etwa in der Flüchtlingsfrage die Frage stellen muss, was sind wir bereit, tatsächlich mitzugehen, umgekehrt aber auch jetzt ganz neue Fragen an die FDP herangetragen werden, wenn es um die Frage von Ökologie und Energiewende geht, ich glaube, dann ist es zumindest nicht auf den ersten Blick so einfach zu sagen, ja gut, dann machen wir hier einen Mittelweg, sondern ich glaube, auch das gehört ein bisschen zur Dramaturgie dazu, jetzt auch ein bisschen Verhandlungsmasse und auch Zustimmungsbereitschaft bei der eigenen Klientel zu schaffen. Ein Selbstgänger ist das sicher nicht, aber dadurch, dass jetzt sondiert wird, auch relativ lange sondiert wird, merken natürlich auch die eigenen Anhänger, dass man wohl Federn lassen muss. Und ich glaube, das wird tatsächlich kommen.
    Kieler Sondierungen: "Die SPD war völlig derangiert"
    Heinlein: Lassen Sie uns, Herr Knelangen, noch ein bisschen teilhaben an Ihren Erfahrungen mit den Sondierungen in Kiel. Wie war es denn dort vor Ort? Da gab es ja auch dicke Bretter. Wer musste denn am Ende dort die Löcher bohren, die Parteivorsitzenden?
    Knelangen: Ja, hier hat es wie bei Koalitionsverhandlungen üblich auch verschiedene Formate gegeben. Es gab auch ein Chefformat, wo tatsächlich die Spitzen der Parteien zusammengekommen sind. Es gab größere Runden und es gab auch Expertinnen und Experten, die miteinander verhandelt haben. Ich glaube, ein zentraler Unterschied ist: Vor der Landtagswahl, die hier ja im Mai stattgefunden hat, ist Jamaika jetzt nicht von einer Seite als Wunschbündnis präsentiert worden. Andererseits war am Abend des Wahltages eigentlich im Landeshaus – ich war persönlich dort – schon zu spüren, dass der Zug in diese Richtung fahren würde. Die SPD war völlig derangiert und hatte erkennbar Schwierigkeiten, sich überhaupt als ein sicherer Partner für eine Regierungsbildung – das hätte ja dann eine Ampelkoalition sein müssen – zu präsentieren. Auch hier ist es allerdings dann so gewesen, dass Jamaika sehr schnell angefangen hat zu sondieren. Als dann die Verhandlungen stattgefunden haben, gab es ja auch einen Tag, als dann plötzlich die Meldungen herauskamen, man könne sich nun überhaupt nicht einigen. Das hat dann einen Tag gedauert und dann ging es weiter.
    "Tatsache, dass man sich an vielen Stellen nicht durchsetzen kann"
    Heinlein: Sehen Sie da Parallelen zu Berlin, denn auch dort ist Jamaika sicherlich für alle Seiten kein Wunschbündnis. Aber es fehlt ja an Alternativen. Alle Seiten sind zum Erfolg verdammt, weil wenn die SPD bei ihrer Linie bleibt, ist die einzige Alternative, die es zu Jamaika gibt, Neuwahlen.
    Knelangen: Ja. Deswegen ist das ja auch sehr, sehr bemerkenswert, dass man sich gegenseitig darin überbietet zu sagen, davor habe man nun keine Angst. Auch das gehört wahrscheinlich ein bisschen zum Verhandeln dazu. Aber in der Tat: Die spannende Frage wird tatsächlich sein, ist es möglich, eine Koalition zustande zu bekommen, bei der die einzelnen Partner jeweils für sich gewissermaßen auch Kernprojekte präsentieren können, wo sie sagen, das hat sich jetzt gelohnt, dafür eine Koalition einzugehen. Weil das Kröten für jede Seite dabei sein werden, kann man fast erwarten. Und das ist sicherlich auch etwas, was neu ist. Wir haben Erfahrungen mit Großen Koalitionen. Die gelten nicht als besonders attraktiv, nur für den Notfall gewissermaßen einzugehen, und darüber hinaus hatten wir bisher eigentlich immer Bündnisse von Parteien, die sich relativ eng beieinander gefühlt haben. Jamaika wird das nicht sein, kann das nicht sein. Deswegen wird es auch vermutlich das, was man bei Koalitionen häufig auch erwartet, so etwas wie eine große Perspektive, eine große Vision, das wird Jamaika vermutlich nicht haben, sondern ein Wort, das im Deutschen wie gesagt nicht so besonders wohl gelitten ist, wird in den Vordergrund rücken, nämlich der Kompromiss, die Tatsache, dass man tatsächlich auch sich an vielen Stellen nicht durchsetzen kann.
    "Erfolgsdruck wird drei Parteien jetzt zusammenschmieden"
    Heinlein: Ist das grundsätzlich, Herr Professor, auch ein gutes Zeichen dann für unsere Demokratie, dass man dem Bürger, dem Wähler zeigt, es gibt einen politischen Grundkonsens zwischen den demokratischen Parteien und man rauft sich zusammen zum Wohle des Landes?
    Knelangen: Das würde ich eigentlich uneingeschränkt so sehen. Weil in der Tat: Wenn diese Koalitionsverhandlungen beziehungsweise noch haben wir sie ja gar nicht, wenn sie scheitern sollten, dann sind natürlich eigentlich diejenigen bestätigt, die sagen, die kriegen ohnehin nichts mehr hin in Berlin. Von daher, glaube ich, ist das allen Beteiligten auch klar - so jedenfalls höre ich, was die Protagonisten sagen -, dass der Erfolgsdruck immens ist. Insofern: Was notwendig ist, ist ganz klar einige, auch gegenüber der Öffentlichkeit zu vertretene, gewissermaßen vernünftige Lösungen, und ich würde eigentlich erwarten, dass dieser Erfolgsdruck diese drei Parteien jetzt auch zusammenschmieden wird.
    "Die in Kiel kannten sich seit Jahren, seit Jahrzehnten"
    Heinlein: Kurz noch zum Schluss, Herr Professor Knelangen. In Kiel hatte man den Eindruck, zwischen den Akteuren funktioniert es auch persönlich, zwischen Kubicki und Habeck.
    Knelangen: Ja.
    Heinlein: Wie wichtig ist diese persönliche Komponente jetzt auch in Berlin?
    Knelangen: Offensichtlich ist das von großer Bedeutung. Es ist zwar nicht möglich, mit einem guten persönlichen Verhältnis politische Gräben gewissermaßen zu überschreiten, aber Sie kennen das mit dem halb vollen und dem halb leeren Glas. Sie können die Dinge von zwei Seiten betrachten und ich glaube, wenn grundsätzlich es auf der persönlichen Ebene stimmt, dann ist es wesentlich einfacher, tatsächlich auch zu einem Erfolgserlebnis zu kommen. Das war hier in Schleswig-Holstein der Fall und in Berlin ist das offensichtlich schwieriger, auch deshalb, weil es offensichtlich bisher nicht so viele Formate gegeben hat, wo die Beteiligten zusammengekommen sind. Die in Kiel kannten sich seit Jahren, seit Jahrzehnten.
    Heinlein: Der Kieler Politikwissenschaftler Wilhelm Knelangen heute Mittag bei uns im Deutschlandfunk. Ganz herzlichen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.
    Knelangen: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.