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Jean Echenoz: "Unsere Frau in Pjöngjang"
Lehrstück über die Abgründe internationaler Diplomatie

Der französische Autor Jean Echenoz spielt gerne mit den literarischen Genres. Er hat schon Krimis, Spionage-, Reise- oder Künstlerromane geschrieben, die doch keine waren. Auch mit "Unsere Frau in Pjöngjang" erweist er sich als raffinierter literarischer Spieler, bei dem man vorher nie weiß, worauf man sich einlässt.

Von Dina Netz | 07.12.2017
    French writer Jean Echenoz poses for the media as he attends Kosmopolis Literature Festival to present his latest novel Envoyee speciale , in Barcelona, northeastern Spain, 23 March 2017.
    Jean Echenoz dekonstruiert einmal mehr die Erwartungshaltungen der Leser (imago / Alejandro García)
    Jean Echenoz ist der Filou unter den französischen Gegenwartsautoren: Er jongliert mit den literarischen Genres, collagiert, fragmentarisiert, ironisiert. Nach einigen für seine Verhältnisse geradezu klassischen Romanbiografien, in denen er historische Entwicklungen auf ihre Essenz verdichtete, kehrt Echenoz mit "Unsere Frau in Pjöngjang" nun zurück zu den literarisch raffinierteren und deutlich amüsanteren, dafür aber inhaltlich ein wenig oberflächlichen Spielereien seines Frühwerks. Schon sein Debüt "Das Puzzle des Byron Caine" war angelehnt an das Genre Agententhriller.
    Bereits der Titel "Unsere Frau in Pjöngjang" oder im Original "Envoyée spéciale" ist ein Spiel mit dem Etikett, denn die so bezeichnete Hauptfigur Constance ist mitnichten Auslandskorrespondentin einer Zeitung oder eines Senders. Sie ist eine französische Spionin, die Erkundigungen über das nordkoreanische Regime einholen soll. Aber auch das ist sie erst im dritten Teil des Romans, denn die Vorbereitungen dieser Operation ziehen sich hin.
    Die Sache läuft etwas aus dem Ruder
    Zunächst planen zwei Geheimdienstler die Entführung von Constance und ihre Entsendung nach Nordkorea. Entführung deshalb, weil Constance bisher keinerlei Geheimdiensterfahrung hat und sie durch die Gefangenschaft mürbe gemacht werden soll für ihre wenig attraktive Aufgabe. Trotzdem halten die Entführer sie für die Idealbesetzung, weil sie hübsch ist, nicht dumm, aber auch nicht zu schlau, und weil sie in der Scheidung steckend ohnehin gerade keine konkreten Zukunftspläne hat.
    "Straff sitzende Bluse, anthrazitgraue Skinny-Jeans, flache Schuhe, ein Haarschnitt à la Louise Brooks und Kurven wie Michèle Mercier - das scheint nicht so recht zueinander zu passen, aber siehe da, es funktioniert sehr gut. Sie ist 34 Jahre alt, nicht sehr berufstätig und nicht sehr ausgebildet - gerade mal zwei Jahre Jura-Studium für die Verwaltungslaufbahn -, mit einem Mann verheiratet, dessen Geschäfte gut laufen oder wenigstens gut liefen, aber das Leben mit diesem Mann läuft nur soso: Materiell ist sie sanft gebettet, in Sachen Eheleben nicht."
    Constance wird auch umgehend verschleppt, aber dann läuft die Sache, die ja wie eine gewöhnliche Entführung aussehen soll, etwas aus dem Ruder: Der Ehemann weigert sich zu zahlen. Zu allem Überfluss vergucken die Handlanger der Entführung sich in Constance und versuchen, sie vor ihren Auftraggebern zu retten.
    Einem Agententhriller ähnelt "Unsere Frau in Pjöngjang" also weniger in der Handlung als vielmehr in der undurchsichtigen Figurenführung: Fast alle Figuren spielen im Roman mehrere Rollen, Echenoz stellt die Verbindungen zum Teil nur mit winzigen Hinweisen her - und sein Figuren-Tableau ist ziemlich üppig. Wer da als Leser nicht ausgeschlafen ist, verheddert sich im erzählerischen Netz. Worauf einen der etwas besserwisserische Erzähler, der bei besonders überraschenden Wendungen immer wieder in Erscheinung tritt, genussvoll hinweist. Jean Echenoz erweist sich mit diesem Buch mal wieder als raffinierter literarischer Spieler.
    Bewusst gewählte filmische Begrifflichkeiten
    Im letzten Teil des Romans reist Constance tatsächlich nach Nordkorea, wird verfolgt, schafft die Flucht nach Südkorea. Der ohnehin recht eigenwillige Erzähler klinkt sich dann eine Weile aus ihrer Geschichte aus, so dass der Leser eine Zeitlang nichts von Constance erfährt - so läuft das bei Echenoz. Der Handlungsfortgang ist einigermaßen willkürlich. Dafür enthält der Schluss des Romans noch ein Lehrstück über die Abgründe internationaler Diplomatie.
    Und das ist die große Kunst des Jean Echenoz: Er erzählt kenntnisreich von komplizierten politischen Verhältnissen, beschreibt sogar detailreich die entmilitarisierte Zone zwischen Nord- und Südkorea. Die Informationen liefert Echenoz aber nicht oberlehrerhaft, sondern wie in kurzen Flashs, aus denen er gleich wieder in die Handlung überblendet. Diese filmischen Begrifflichkeiten sind bewusst gewählt, die Nähe zum Film stellt der Erzähler selbst her, sie liegt in Sprache und Konstruktion: Die einzelnen Absätze haben etwas von Filmszenen. Echenoz schreibt in einer unkomplizierten Umgangssprache, dabei detailgenau und eben sehr visuell.
    "Die beiden Männer denken nach, beiderseits eines grünen Metall-Bürotischs sitzend, eines alten vorschriftsmäßigen Modells mit Schubladen, hinter dem der General seinen Platz hat. Auf der Fläche dieses Möbels befinden sich lediglich eine nicht angeschaltete Lampe, eine Schachtel Zigarillos der Marke Panter Tango, ein leerer Aschenbecher und eine sehr alte, äußerst abgenutzte Schreibunterlage aus Löschpapier, auf der seit, sagen wir, der Akte Ben Barka die Tinte zahlreicher Dokumente getrocknet und die Angelegenheiten damit abgeschlossen wurden."
    Man weiß vorher nie worauf man sich einlässt
    Hinrich Schmidt-Henkel, der Echenoz' Romane seit vielen Jahren übersetzt, gelingt es auch diesmal wieder bravourös, das Leichte und Verspielte des Originals ins Deutsche zu übertragen.
    Der Titel "Unsere Frau in Pjöngjang" weckt die Erwartung, tiefere Einsichten in die nordkoreanischen Verhältnisse zu gewinnen. Wer den Roman mit dieser Absicht in die Hand nimmt, wird vom politischen Gehalt womöglich enttäuscht. Er oder sie ist dann aber auch dem Autor auf den Leim gegangen. Denn Jean Echenoz ist der Dekonstrukteur von Erwartungshaltungen par excellence. Man weiß vorher nie, auf welche erzählerischen Abenteuer man sich mit einem seiner Bücher einlässt. Nur so viel ist sicher: Die Lektüre verläuft garantiert anders als erwartet. Man muss sich als Leser darauf einlassen, an der Nase herumgeführt und sogar vorgeführt zu werden. Falls man das erträgt, wird man viel Spaß an der literarischen Raffinesse, am hintersinnigen Witz und am Einfallsreichtum von Jean Echenoz haben.
    Jean Echenoz: "Unsere Frau in Pjöngjang"
    Aus dem Französischen von Hinrich Schmidt-Henkel, Verlag Hanser Berlin, Berlin 2017, 286 Seiten. 22 Euro