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Jemen-Experte: Präsident Saleh hat keinen Rückhalt mehr

Neben Libyen spitzt sich auch die Lage im Jemen zu. Teile der Armee haben sich am Montag von Präsident Saleh losgesagt. Günter Meyer, Nahost-Experte an der Universität Mainz, sieht noch weitere Länder im Umbruch.

Günter Meyer im Gespräch Silvia Engels |
    Silvia Engels: In Libyen halten die Kämpfe zwischen Aufständischen und Truppen des Diktators Gaddafi an. Auch die westlichen Alliierten haben weitere Luftangriffe geflogen. Das US-Militär bestätigte, dass über dem Nordosten des Landes ein US-Kampfjet abgestürzt ist. Beide Piloten seien gerettet worden, Ursache für den Absturz sei ein technischer Defekt. Neben Libyen spitzt sich auch die Entwicklung im Jemen zu. Die Proteste gegen Präsident Saleh sind in den vergangenen Tagen stärker geworden. Teile der Armee haben sich vom Machthaber gestern losgesagt. Heute gab es Meldungen über einen angeblichen bevorstehenden Rücktritt des Präsidenten. Zugeschaltet ist uns nun Professor Günter Meyer. Er leitet das Zentrum für Forschungen zur arabischen Welt an der Universität Mainz. Guten Tag, Herr Professor Meyer.

    Günter Meyer: Guten Tag, Frau Engels.

    Engels: Beginnen wir mit der Lage im Jemen. Dort wenden sich wichtige Führer, frühere Unterstützer von Präsident Saleh ab. Ist seine Zeit nun zu Ende?

    Meyer: Ja. Vor allem die Angehörigen seines eigenen Stammes, einschließlich seines Halbbruders, einer der wichtigsten Generäle des Landes, die haben ihm den Rücken zugekehrt. Das heißt, er hat keinerlei Rückhalt mehr. Seine Regierungszeit ist jetzt definitiv am Ende. Und selbst wenn er sich bereit erklärt, bis zum Jahresende zurückzutreten, damit wird sich die Bevölkerung nicht zufrieden geben. Das heißt, es droht hier im Jemen damit durchaus ein Zerfall. Nachdem die Zentralmacht in der Hauptstadt, in Sanaa, jetzt so zersplittert ist und im Süden die Bevölkerung die Abspaltung vom Jemen will und im Norden die schiitischen Rebellen ebenfalls eine Trennung wollen, sieht es also für die Zukunft des Staates sehr schwarz aus.

    Engels: Gibt es denn irgendeine Chance für einen geordneten Übergang, oder ist der Bürgerkrieg fast unvermeidbar?

    Meyer: Das ist zu weit fortgeschritten. Das heißt aber, die Kräfte gegen Saleh, die sind mittlerweile so stark, dass sie nicht nur jetzt schon die Oberhand haben, sondern in Kürze damit zu rechnen ist, dass tatsächlich Saleh auch aus allen Ämtern zurücktreten wird.

    Engels: Das wäre dann der letzte, der noch für eine Art von Zentralstaat zumindest zum Teil stand. Für diese Form der Staatsführung gibt es im Jemen keine Perspektive, dass irgendjemand aufsteht, der diesen Staat zusammenhalten könnte?

    Meyer: Es gibt durchaus solche Rufe. Nur die Opposition im Süden, die wieder eine selbstständige Teilrepublik des Jemen erreichen wollten, diese Gruppe ist vor allem im Süden wesentlich stärker.

    Engels: Herr Professor Meyer, dann schauen wir jetzt noch auf Libyen. Im vergangenen Monat hatten wir schon einmal in dieser Sendung gesprochen. Damals begannen erste zarte Proteste in Libyen. Sie hatten damals den Demonstranten wenig Chancen gegen Gaddafi eingeräumt, und ohne westliche Luftschläge wäre es wohl auch so weit gekommen. Was für Folgen kann diese Intervention jetzt für die politische Zukunft Libyens haben?

    Meyer: Nun, es bleibt das Faktum, dass die Aufständischen viel zu schwach sind. Wenn es nicht dazu kommt, dass massive Bodentruppen auch von Seiten der Allianz eingesetzt werden zur Unterstützung der Aufständischen, dann haben die kaum eine Chance, Gaddafi zu stürzen. Das heißt, es deutet alles darauf hin, dass angesichts der Machtverhältnisse in Libyen es zu einer Zweiteilung kommen wird: die Ostprovinz unter der Kontrolle der Aufständischen, der Westen unter der Kontrolle von Gaddafi.

    Engels: Wäre dann der von Ihnen beschriebene östliche Teil unter der Gruppe der Aufständischen auch ein Staat, der eine demokratische Form bekommen könnte, oder überschätzt man da die Demokratieneigung der Aufständischen?

    Meyer: Ich glaube, es ist ihnen durchaus zuzutrauen, dass sie tatsächlich demokratische Strukturen hier einführen werden. Selbstverständlich spielen nach wie vor die Stämme eine wichtige Rolle, aber es gibt sehr viele gut ausgebildete junge Leute, die durchaus demokratische Strömungen, demokratische Parteien und Bewegungen hier etablieren könnten.

    Engels: Sie sprechen, am Ende könnte die Spaltung Libyens stehen. Aber wird zuvor ein Bürgerkrieg stehen?

    Meyer: Gaddafi wird mit Sicherheit nicht freiwillig seine Macht aufgeben. Das heißt, er wird angesichts auch der militärischen Übermacht auf seiner Seite alles daran setzen, um sich nicht nur an der Macht zu halten, sondern auch seine Macht noch weiter auszudehnen. Das heißt, dass es jetzt bereits in Kürze zu einem Waffenstillstand, zu einem tatsächlichen Frieden kommt, das ist höchst unwahrscheinlich.

    Engels: Sie sagen, ohne Bodentruppen von den westlichen Alliierten können letztendlich die Aufständischen nicht gewinnen. Nehmen wir mal an, dazu ist keine der westlichen Alliierten bereit - und dafür spricht ja vieles -, was passiert dann?

    Meyer: Dann sind wir genau bei der Pattsituation, das heißt die Trennung in den von den Aufständischen kontrollierten Osten und die Machterhaltung von Gaddafi im Westen des Landes.

    Engels: Gibt es irgendeine Chance auf Stabilisierung in dieser Region, oder erleben wir jetzt von Land zu Land weitere Konflikte?

    Meyer: Der Bazillus der Demokratie, der schreitet weiter. Wir haben die Unruhen jetzt gerade auch in Syrien gesehen, wo es losging, Jordanien ist keineswegs stabil, auch in Saudi-Arabien, dem Hort der absoluten Herrschaft, selbst dort gärt es. Insofern: Dieses Thema wird uns noch lange weiter beschäftigen.

    Engels: Professor Günter Meyer. Er leitet das Zentrum für Forschungen zur arabischen Welt an der Universität Mainz. Vielen Dank für das Gespräch.

    Meyer: Vielen Dank, Frau Engels.