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Kampf um Aleppo
Die Zivilbevölkerung hofft auf eine Feuerpause

Mit ständigen Luftangriffen versuchen Syrien und Russland, den von Rebellen gehaltenen Ostteil von Aleppo sturmreif zu schießen. Diejenigen, die dort Widerstand leisten, sind aus Sicht der syrischen Regierung Terroristen. Das sehen westliche Beobachter anders. Zu Leiden hat aber vor allem die Zivilbevölkerung.

Von Anna Osius | 15.10.2016
    Ein Mann geht durch eine zerstörte Straße in Aleppo
    Ein Bild aus dem zerstörten Aleppo von Ende September (AFP / Karam al-Masri)
    Valid wurde getroffen. Der junge Soldat der syrischen Armee von Machthaber Assad lehnt mit nacktem Oberkörper in einem halbzerschossenen Haus in Aleppo und spricht mit dem syrischen Staatsfernsehen. Er trägt einen dicken Verband an Armen und Schulter. "Zwei Kugeln haben mich erwischt, glatte Durchschüsse. Ich kann immer noch meine Waffe halten. Also werde ich bleiben und solange mit meinen Kameraden kämpfen, bis wir unser Land befreit haben."
    Das Land befreien – von den Terroristen, wie der syrische Machthaber Assad sie nennt. Die Kämpfer auf der anderen Seite, im umzingelten Ostteil Aleppos, die Regierungsgegner. "Wir müssen die Gegend von den Terroristen säubern", so Assad diese Woche in einem Interview mit einer russischen Zeitung. "Entweder jagen wir die Terroristen zurück in die Türkei, oder wir töten sie. Wir haben keine andere Wahl."
    Assad will Aleppo zurückerobern – das ist sein Ziel: "Wir nennen Aleppo den Zwilling von Damaskus. Es ist die zweitgrößte Stadt. Wir müssen Aleppo erobern. Aleppo ist das Sprungbrett, um andere Gegenden von den Terroristen zu befreien."
    Ein Luftangriff nach dem anderen
    Die syrische Armee und die russische Luftwaffe haben deshalb das Bombardement auf den von Regierungsgegnern gehaltenen Ostteil Aleppos weiter verstärkt. Kampfflugzeuge flogen in den vergangenen Tagen einen Luftangriff nach dem anderen. Die Aufständischen antworten ihrerseits mit Beschuss.
    Zwischen den Fronten: immer noch Tausende Zivilsten. Beobachter sprechen von Dutzenden, wenn nicht Hunderten Toten, darunter zahlreiche Kinder. Videos ungesicherter Herkunft zeigen völlig zerbombte Straßenzüge, Blutlachen auf dem Boden. In den Trümmern graben Helfer nach Verschütteten.
    Ein Soldat läuft über Trümmerberge in Aleppo, im Hintergrund stehen die Ruinen mehrerer Häuser
    Ein Bild der Zerstörung: Aleppo. (imago / Xinhua)
    "Das hier war ein Markt, da drüben ist der Gemüsemarkt. Hier war die Straße, um Kleidung zu kaufen, das Gebäude hier rechts war eine Bäckerei. Das hier hat nichts mit Militär oder Armee zu tun – hier waren Zivilisten."
    Der junge Mann, der das in die Kamera sagt, steht auf einer völlig zerbombten Straße Ostaleppos und ist etwa so alt wie Valid – der angeschossene Soldat auf der anderen Seite. Landsleute, kaum 20 Jahre alt – nur wenige hundert Meter voneinander entfernt - in andere Ländern wären sie Studenten oder Kollegen. Hier wollen sie nur eines: sich gegenseitig töten.
    Die Gewalt in Syrien muss reduziert werden, so der UN-Sondergesandte Ramzy. Die Luftangriffe und der Beschuss vor allem auf Zivilsten, zivilen Einrichtungen, Krankenhäusern und dicht bevölkerten Gegenden muss aufhören. Nur dann können die Vereinten Nationen humanitäre Hilfe leisten.
    Wer kämpft aufseiten der Regierungsgegner?
    Um das tägliche Sterben in Ostaleppo zu beenden, haben die Vereinten Nationen erneut zu einer Sitzung einiger der entscheidenden Akteure im Syrienkrieg geladen: US-Außenminister John Kerry trifft in Lausanne in der Schweiz auf seinen russischen Amtskollegen Lawrow. Die Offensive in Aleppo hat zu einem großen Zerwürfnis zwischen den USA und Russland geführt. Auch Vertreter Saudi-Arabiens, Katars und der Türkei sitzen heute mit Tisch, sowie aus dem Iran, Ägypten und dem Irak.
    Kerry und Lawrow reichen sich hinter einem Rednerpult die Hand
    Frühere Gespräche sollen wieder aufgenommen werden: Kerry und Lawrow bei einem Treffen in Genf. (picture alliance / dpa / Martial Trezzini)
    Eine der strittigsten Fragen ist, wer wirklich in Aleppo aufseiten der Regierungsgegner kämpft. Sind es, wie Assad sagt, alles Terroristen – also größtenteils islamistische Kämpfer zum Beispiel der ehemaligen Al Nusra-Front, vergleichbar mit Al Kaida? Oder machen die Extremisten nur einen kleinen Teil der Aufständischen aus – wie des westliche Beobachter sagen?
    Die Gespräche in Lausanne heute gelten Beobachtern zufolge als winziger Hoffnungsschimmer, in Syrien doch noch einer Feuerpause zu erwirken – und vor allem den Zivilsten in Aleppo eine Chance zu geben.