Al-Mousllie lebt als Arzt in Deutschland. Er sagte im DLF, es gebe durchaus Alternativen zur gegenwärtigen Politik. So bestehe die Möglichkeit, mit Syriens Nachbarstaaten zusammenzuarbeiten und die Freie Syrische Armee mit Luftabwehrraketen zu versorgen. Dies müsse nicht massenweise geschehen und gehe durchaus koordiniert und transparent, "sodass die Russen merken, dass die nicht die alleinige Luftherrschaft haben".
Al-Mousllie betonte, man habe seit fünf, sechs Jahren versucht, Assad Einhalt zu gebieten. Nun müsse man einen Schritt weitergehen und den Menschen in Syrien qualitativ helfen. "Und qualitativ heißt nicht nur humanitär", so al-Mousllie. Diese Enstcheidung brauche Mut. Aber "Putin-Russland" verstehe es nicht anders. Indem er eine qualitativ hochwertige Bewaffnung der Rebellen verhindere, leiste der Westen zur Zeit Russland und dem Regime in Syrien stillschweigend Unterstützung: "Und wenn man nicht dagegen arbeitet, dann leistet man hier Beihilfe zum Mord einer Zivilbevölkerung in Syrien."
Das Interview in voller Länge:
Bettina Klein: Sadiqu Al-Mousllie ist Mitglied des syrischen Nationalrates, gehört also der syrischen Opposition an. Er lebt als Arzt hier in Deutschland, er hat die jüngsten Äußerungen verfolgt. Sieht er die gegenwärtige Politik auch als alternativlos an? Hier seine Reaktion:
Sadiqu Al-Mousllie: Die Meinung teile ich nicht. Ich finde schon, dass es Alternativen gibt. Es gibt die Möglichkeit, dass man auch mit regionalen Staaten arbeitet, die auch um Syrien herum sind. Und die sind in der Lage, und der Wille ist auch da, dass man die Freie Syrische Armee mit Luftabwehrraketen dann auch versorgt. Man muss das auch nicht massenweise machen, man kann das koordiniert machen und transparent, sodass die Russen merken, dass die nicht die alleinige Luftherrschaft haben – nicht nur in Aleppo, schon gar nicht in Syrien.
"Alle Möglichkeiten sind mittlerweile ausgeschöpft."
Klein: Also Sie plädieren ganz deutlich dafür, die Rebellen in Syrien aufzurüsten, verstehe ich Sie da richtig?
Al-Mousllie: Mittlerweile gibt es keinen anderen Weg. Man hat ja alle Wege versucht. Die Amerikaner selber stehen auch vor verschlossener Tür bei den Russen. Das heißt, alle Möglichkeiten sind mittlerweile ausgeschöpft. Dass man im Dialog bleibt mit den Russen, das ist wunderbar und das ist auch wichtig, und man möchte auch am Ende das erreichen, aber wie es scheint, ist die russische Mentalität die gleiche wie die Mentalität von Assad und seinen Gehilfen. Man muss merken, dass die andere Seite auch eine gewisse Stärke zeigt, damit man auch an einer politischen Lösung interessiert ist. Bis jetzt war es nicht der Fall, weil wir einfach zurückhaltend waren.
Klein: Ich würde gern mal auf die Argumente der Gegner eines solchen Kurses zu sprechen kommen. Befeuert man damit diesen Krieg nicht in unverantwortlicher Weise weiter? Denn man müsste ja die Rebellen und die Oppositionsgruppen soweit aufrüsten, dass die im Zweifel der russischen Armee gewachsen sind, und das ist ja eigentlich kaum möglich.
Al-Mousllie: Wissen Sie, das ist eine Möglichkeit, die man durchaus in Betracht ziehen müsste. Man hat jetzt fünf, sechs Jahre versucht, mit allen Mitteln Assad Einhalt zu gebieten, den Russen Einhalt zu gebieten, den Iranern Einhalt zu gebieten, aber das hat nicht geklappt. Irgendwann mal muss man einen Schritt weiter gehen, und die Menschen, die schon seit fünf Jahren in Syrien ausharren und nicht aus ihren Häusern sich vertreiben lassen und gleichzeitig die Fassbomben und die Bunker brechenden Bomben aus Russland dann auch aushalten, werden schon in der Lage sein, Russland und auch noch Assads Gehilfen dann zurückzuhalten. Man muss nur im Westen die Entscheidung treffen und qualitativ den Menschen da helfen. Und qualitativ heißt nicht nur humanitär. Mittlerweile sind wir einen Schritt weiter, und diese Entscheidung braucht Mut. Und das ist die Mentalität der Russen, Putin-Russland versteht es leider nicht anders.
"Zurzeit fungiert der Westen als ein Wächter für die Russen"
Klein: Aber die Frage ist ja, wer rüstet dort auf. Das heißt, es werden die Amerikaner sein oder es wird die Europäische Union sein, wer auch immer, und damit befinden wir uns automatisch im Krieg mit Russland, auch wenn das zunächst ein Stellvertreterkrieg sein würde. Sollte dieses Risiko Ihrer Meinung nach eingegangen werden?
Al-Mousllie: Wissen Sie, zurzeit fungiert der Westen, der auch natürlich Angst vor dieser Möglichkeit hat, als ein Wächter für die Russen. Denn gerade fungiert der Westen so, dass er alles, was an Bewaffnung für die Rebellen sein könnte, was qualitativ hochwertig wäre, um sich zu verteidigen gegen russische Bomben, verhindert. Das heißt, wir arbeiten auf der Linie der Russen, wir arbeiten gerade im Westen, in den USA, in Europa auf der Linie des Assad-Regimes. Das ist eine stillschweigende Unterstützung dieser Regime in Russland und in Syrien. Das muss man verstehen. Und wenn man nicht dagegen arbeitet, dann leistet man hier Beihilfe zum Mord einer Zivilbevölkerung in Syrien. Und das muss einem und jedem klar sein.
Klein: Es gibt ein weiteres Argument, dass natürlich sich auch radikale Gruppen unter den Oppositionellen, unter den Rebellen in Syrien befinden, die damit eben auch aufgerüstet werden würden und die ja von Russland und von Assad als Terroristen bezeichnet werden. Die zu unterstützen, kann dann aber eigentlich auch nicht im Interesse des Westens sein, oder doch?
Al-Mousllie: Ganz wichtig: Für Assad und für die Russen ist jeder Oppositionelle ein Terrorist, das haben sie immer wieder betont und gesagt. Aber die Angst, dass man auch Terroristen oder extremistische Gruppierungen mit bewaffnet, können auch die europäischen Geheimdienste und die amerikanischen Geheimdienste wunderbar abwehren, indem sie koordiniert auf dem Boden der Tatsachen arbeiten. Und das ist möglich. Die Angst ist nicht vor diesen Gruppierungen, Frau Klein, die Angst ist eher davor, wie die Russen reagieren werden. Und hier müssen wir einfach den Mut fassen und dieser Bevölkerung, die seit sechs Jahren leidet, auch machen. Ansonsten gehen wir und spielen wir in dem russischen Hof, und das darf nicht sein. Wir unterstützen damit die Politik von Putin, und das darf nicht sein.
Klein: Sagt Sadiqu Al-Mousllie. Er ist Mitglied des syrischen Nationalrates und fordert jetzt die Bewaffnung der Rebellen. Mit ihm habe ich kurz vor der Sendung gesprochen.
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