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Klimaschutz
Wider das neoliberale Märchen vom grünen Wachstum

Wenn es um den Kampf gegen die Erderwärmung geht, setzen viele Experten auf den Umbau der Wirtschaft zu einer Green Economy. Zu Unrecht, findet Kathrin Hartmann, Autorin des Buchs "Aus kontrolliertem Raubbau." Das, was als grünes Wachstum deklariert werde, habe schwerwiegende Nebenwirkungen.

Von Caspar Dohmen | 02.11.2015
    Sicht von oben auf Palmölplantagen und Urwald.
    Die Palmölplantagen in Indonesien verdrängen den Urwald (imago/stock&people/Xinhua)
    Wie weit Schein und Sein eines grünen Wachstums auseinanderliegen, zeigt der VW-Skandal. Dabei ist der Schaden durch den Ausstoß von mehr Gift aus angeblich umweltfreundlicheren Motoren geringfügig, verglichen mit den ökologischen und sozialen Folgen eines grünen Wachstums in Ländern des Südens. Mit denen beschäftigt sich die Journalistin Kathrin Hartmann in ihrem Buch "Aus kontrolliertem Raubbau". Für sie entpuppt sich grünes Wachstum als ein Heilsversprechen großer Teile unserer Elite in Wirtschaft und Politik mit verheerenden Auswirkungen für die Menschen im Süden. Die Autorin spricht von einem grünen Kolonialismus, der nur den Rohstoffhunger der westlichen Welt stillt. Sie sieht die Gesellschaft auf dem Holzweg und schreibt:
    "Auch im grünen Kapitalismus bleiben die altbekannten Macht-, Besitz- und Produktionsverhältnisse bestehen. Lange Zeit hat der reiche Westen diese Grenzen in die Länder des Südens ausgedehnt, um dort seinen zerstörerischen Rohstoffhunger zu stillen und die schmutzige Produktion seiner Konsumgüter mit all ihren Folgen dorthin zu verlagern. Jetzt bürdet er den Menschen dort auch noch die Lösungen seiner Energie- und Klimaprobleme auf."
    Monokulturen für den Biosprit
    Hartmann verdeutlicht dies am Beispiel des Palmöls, also jenes ziemlich universell einsetzbaren Pflanzenfetts, welches Menschen ernährt und Motoren antreibt. In Indonesien - einer der größten Anbauregionen von Palmöl – war Hartmann in den Gegenden unterwegs, wo sich Sägen in Wälder fressen, um neue Flächen für den Anbau von Palmen in Monokulturen zu schaffen. Weichen müssen nicht nur Orang-Utans, sondern Menschen, die oft über Generationen im Einklang mit der Natur gelebt haben, also eine wahrhaft nachhaltige Land- und Waldwirtschaft betreiben. Sie bauen dann anschließend Palmöl an, welches teilweise dem Biosprit beigemischt wird. Der Biosprit dient dazu, dass der Norden seine Klimaziele verfolgen kann, ohne dass die Menschen weniger Auto fahren beziehungsweise sonst ihre Lebensweise ändern müssen. Hartmann: "Mit unserem westlichen Wachstums- und Wohlstandsmodell schreiben wir ihnen exakt vor, wie sie zu leben haben, weil sie nämlich die Folgen unseres Handelns ausbaden müssen. Ethik und Verantwortung werden mit der Utopie des grünen Wachstums in ihr Gegenteil verkehrt. Denn es gibt eben kein Recht auf einen Lebensstil, der anderen schadet."
    Das Palmöldesaster haben schon andere Autoren beschrieben. Aber Hartmann macht es besonders anschaulich. Zu ihren Stärken gehören ihre Neugier und der Respekt, mit denen sie Menschen vor Ort begegnet. Sie setzt dies lebendig um, wovon ihre Leser profitieren, wie bei dem Gespräch mit Arbeitern und Aktivisten auf einer Palmölplantage, die mit dem Siegel RSPO als nachhaltig ausgezeichnet ist.
    Wenn Kinder nicht bezahlt werden, gibt es keine Kinderarbeit
    "'Wir müssen jeden Tag 60 Früchte ernten', sagt Hanif. '60 Früchte. Aber das ist ja mehr als eine Tonne!', frage ich ungläubig, 'das schafft doch kein Mensch.' 'Nein, das schafft niemand alleine', sagt Eddi, 'wir müssen unsere Frauen und Kinder dazu holen, damit sie uns helfen.' Acht Jahre seien die Kinder, wenn sie zum ersten Mal mit auf die Plantage kämen, um ihren Vätern bei der Ernte zu helfen. (…) 'Warum erhält eine Plantage das RSPO-Siegel, obwohl es dort gefährliche Kinderarbeit gibt?' frage ich Herwin. 'Welche Kinderarbeit', erwidert Herwin und lacht sein Ernie-Lachen. 'Es gibt keine Kinderarbeit, jedenfalls nicht auf dem Papier: Die Frauen und Kinder werden ja nicht bezahlt, sie helfen den Männern doch freiwillig. So einfach ist das.'"
    Die Sympathien der Autorin gehören den Menschen, die sich vor Ort gegen die Folgen des grünen Kapitalismus wehren. Hier schöpft Hartmann auch die Zuversicht auf einen möglichen Wandel, die ihr bisweilen angesichts der Missstände abhanden zu kommen droht.
    "Weil die Menschen, die ich dort kennengelernt habe, mit einer so großen Leidenschaft und Kraft, Liebe und Solidarität, Fantasie, Klugheit und Mut ganz selbstverständlich Widerstand gegen die Zumutung einer totalitären Gesellschafts- und Weltordnung leisten. Weil sie nicht an pragmatische Lösungen glauben, sondern an bedingungslose Gerechtigkeit. Für uns alle."
    Probleme des Westens werden ausgelagert
    Wütend ist Hartmann über Konzerne, Politiker und diverse NGOs. Für sie sei grünes Wachstum nur ein weiteres Kapitel im neoliberalen Märchen, welches die notwendige Debatte über alternative Systeme ersticke. Hartmann beschäftigt sich auch mit der Frage, warum die Vertreter des Status quo so erfolgreich sind. Aufschlussreich sind für den Leser ihre Hinweise zur Entpolitisierung des Problems Klimawandel gerade durch die Politik:
    "Die Erzählung des Klimawandels als Bedrohung von außen lässt die strukturelle Ursache der Katastrophe außen vor, nämlich den Kapitalismus mit seinem Wachstumsdiktat, seinem Energie- und Rohstoffhunger. Umgekehrt definiert diese Narration den Klimawandel als Eindringling, der das funktionierende Systems des Kapitalismus bedroht. (…) Psychologisch gesprochen: Die Probleme werden externalisiert, eine Abspaltung eingeleitet – bis zur Verdrängung ist es da nur ein kleiner Schritt. Anstatt die Ursachen des Klimawandels auch nur im Ansatz zu diskutieren, wird die dräuende Apokalypse immer wieder von Neuem beschworen – selbstverständlich als 'ausweglos'."
    Als Leser wünscht man sich, mehr solcher Argumente aus wissenschaftlicher oder historischer Perspektive für den Diskurs an die Hand zu bekommen. Hartmann hält es für notwendig, den Kapitalismus selbst infrage zu stellen. Sie ist nicht die einzige - reihenweise haben Autoren in den vergangenen Jahren dargelegt, warum der Kapitalismus vor die Wand fährt. Hartmann fügt dem nun noch eine Variante des grünen Scheiterns an. Eine überzeugende Alternative hat bislang niemand zur Hand. Hartmann spricht dies offen an und wehrt sich gegen eine vorschnelle Lösungsorientierung, die dann im systemerhaltenden Kleinklein stecken bleibe. Trotzdem - wer etwas ändern will - braucht Ansatzpunkte für sein Handeln – sonst wird er ohnmächtig. Und diese Gefahr besteht bei dem Buch von Hartmann, sei ihre Systemkritik auch noch so überzeugend vorgetragen.
    Kathrin Hartmann: Aus kontrolliertem Raubbau. Wie Politik und Wirtschaft das Klima anheizen, Natur vernichten und Armut produzieren, Karl Blessing Verlag, 448 Seiten, 18,99 Euro