Archiv

Klitschko zum Ukraine-Konflikt
"Sanktionen gegen Russland verstärken"

Der Kiewer Bürgermeister und frühere Boxer Vitali Klitschko hat die Verhängung des eingeschränkten Kriegsrechts in der Ukraine verteidigt. Es gebe eine nie dagewesene Konzentration von russischem Militär an der ukrainischen Grenze, sagte Klitschko im Dlf. Wenn Russland noch aggressiver werde, müsse Europa reagieren.

Vitali Klitschko im Gespräch mit Peter Sawicki |
    Vitali Klitschko, ukrainischer Politiker und ehemaliger Profiboxer. Er ist Gründer der Partei UDAR.
    Sanktionen seien ein wirksames Mittel gegen Russland, so Klitschko im Interview (picture-alliance / dpa / Mike Wolff)
    Jürgen Zurheide: Wir wechseln in die Ukraine, Vitali Klitschko ist Bürgermeister von Kiew und außerdem ist er Vorsitzender der Regierungspartei, also jener Partei, die mit Herrn Poroschenko, dem Präsidenten, nicht nur zusammenarbeitet, er gehört ihr auch an. Der Kollege Peter Sawicki hat ihn getroffen in Kiew zum Interview. Hier das Gespräch.
    Peter Sawicki: Herr Klitschko, vor drei Wochen war der Zwischenfall mittlerweile in der Nähe von Kertsch, die Konfrontation zwischen russischen Grenztruppen und ukrainischen Marinebooten, die politische Lage ist sehr angespannt seitdem. Und Präsident Petro Poroschenko befürchtet einen offenen Krieg der Ukraine mit Russland. Befürchten Sie das auch?
    Vitali Klitschko: Wir sprechen mehr und hier aggressiver von russischer Föderation, und heute, so sieht es aus, hat Russland auf solche Art und Weise den Eingang zum Asow-Meer privatisiert. Welche Wirkung das hat? Die Wirkung ist sehr tragisch. 30 Prozent der Leute, die im Hafen arbeiten von Mariupol und Berdjansk sind arbeitslos, sehr viele Unternehmen, die Bezug zum Hafen haben, arbeiten nur drei, vier Tage pro Woche maximal, weil die keine Arbeit haben. Wir müssen noch sagen, dass die Ukraine eine richtig schwierige Situation hat: Krim-Annexion, ein großer Teil des industriellen Donbass auch okkupiert und ich glaube, heute gibt es keine Zweifel, ohne die russische Propaganda, ohne finanzielle Unterstützung und ohne Waffenlieferung, würde diese Okkupation nicht funktionieren.
    Sawicki: Und glauben Sie, dass das noch zu offenen Kämpfen führen könnte, wie es der Präsident befürchtet, wie er es gesagt hat?
    Klitschko: Wir haben die Info von unseren Geheimdiensten, dass es unwahrscheinlich viele Militärkräfte an der Grenze der Ukraine gibt. So eine Konzentration von russischen Militärs gab es noch nie an der ukrainischen Grenze.
    Sawicki: An welcher Stelle?
    Klitschko: Zu Mariupol.
    Sawicki: Das heißt, haben Sie Sorge, dass das noch weiter eskaliert?
    Klitschko: Auf jeden Fall! Das müssen wir klar sagen, das ist ziemlich gefährlich.
    "Wir sind überzeugt, dass diplomatische Lösungen der einzige Weg sind"
    Sawicki: Was kann die Ukraine dagegen machen?
    Klitschko: Wir sind überzeugt, dass diplomatische Lösungen der einzige Weg sind. Ich glaube, keiner von uns will einen offenen Krieg gegen Russland, oder überhaupt Krieg. Viele leben sowieso jeden Tag in einer Kriegssituation seit fünf Jahren, weil jeden Tag Menschen, Soldaten sterben an der östlichen Grenze der Ukraine. Und deswegen hat Präsident Poroschenko nach internationaler Unterstützung gerufen, aber trotzdem verstehen wir, dass wir dafür verantwortlich sind für unser Land, kein anderer. Das war der Grund, das Kriegsrecht zu implementieren.
    Sawicki: Das wird aber auch innerhalb der Ukraine kritisiert. Das gilt ja jetzt nur für einen Monat, aber es gibt Politiker, die sagen, das könnte ja durchaus auch verlängert werden, und dass das die Demokratie in der Ukraine ...
    Klitschko: Das ist eine Demokratie, zu diskutieren. Ich bin ein Politiker, ich weiß, jeder deiner Schritte wird verschieden interpretiert. Es gibt Leute, die sagen, ja das ist richtig, es gibt Leute, die sagen, das stimmt nicht, weil es viele Hintergründe gibt. Das ist Fakt: Die Russen attackieren ukrainische Schiffe. Fakt, wir haben so viele Arbeitslose in der Region, dass es soziale Spannungen gibt. Fakt, es steht so viel Militär an der Grenze zu Russland, ja, was sollen wir machen?
    Sawicki: Finden die Präsidentschaftswahlen wie geplant im März statt?
    Klitschko: Das muss, muss sein, auf jeden Fall. Ich glaube, das ist ein wichtiger Schritt, dass wir eine nächste Wahl haben. Wir dürfen nicht vergessen, nächstes Jahr wird ein turbulentes Jahr, wir haben zwei Wahlen, eine Präsidentschaftswahl und im Herbst eine Parlamentswahl.
    Sawicki: Ja, aber die werden nicht verschoben? Weil das ja auch befürchtet wurde.
    Klitschko: Ich hoffe nicht!
    Sawicki: Aber Sie können das nicht garantieren?
    Klitschko: Das ist nicht mein Einfluss, das zu garantieren. Ich hoffe, es wird keine Hindernisse geben auf dem Weg, dann werden die Wahl zeitlich sein im Frühling und Herbst.
    "Sanktionen sind ein sehr wichtiges und wirksames Mittel"
    Sawicki: Nun hat ja die EU die bisherigen Sanktionen gegen Russland verlängert. Sind Sie zufrieden damit?
    Klitschko: Auf jeden Fall. Die Sanktionen sind ein sehr wichtiges und wirksames Mittel, weil es ist kein Geheimnis, Russland investiert sein Geld in die Armee. Deswegen, wenn man mehr finanzielle Unterstützung gibt, bedeutet das, die russische Armee zu stärken. Und sehr viele Leute sprechen hier über die nächste Phase vom Kalten Krieg, deswegen haben die Sanktionen eine Wirkung, sie sind sehr wirksam.
    Sawicki: Das sieht man in Deutschland aber zum Teil anders. Der Vorsitzende der deutsch-russischen Handelskammer, der hat vor ein paar Tagen gesagt, die Sanktionen wirken nicht so richtig. Und es gibt auch in der EU andere Kritiker, die nichts von den Sanktionen halten, und deswegen muss man dann nicht auch über andere Maßnahmen nachdenken?
    Klitschko: Ich glaube, das sind sehr wichtige Mittel, ich habe deutlich erklärt, warum das so ist.
    Sawicki: Die EU konnte sich jetzt auch nicht auf neue Sanktionen, erweiterte Sanktionen, was auch die Ukraine gefordert hat, einigen.
    Klitschko: Wenn Russland noch aggressiver wird, müssen auch die Sanktionen verstärkt werden. Wir sehen, die Krim-Annexion, zuerst hat Putin gesagt, dass es nichts wäre, und dann, ein paar Monate später, wurde das vergessen oder er hat schon offen gesagt, dass die Leute mit Militäruniform ohne Erkennungszeichen, von der russischen Armee waren. Und heute, glaube ich, hat keiner mehr Zweifel, dass alles, was in der Ostukraine passiert, dass das alles dirigiert von Russland ist.
    Sawicki: Was für neue Sanktionen haben Sie im Sinne, die dann auch beschlossen werden könnten? Weil jetzt sind ja neue Sanktionen, erweiterte Sanktionen nicht durchgekommen.
    Klitschko: Wir haben noch viele Mittel. Ich bin nicht bereit, über Details zu sprechen, auf jeden Fall ist ein wichtiger Schritt, Nord Stream, dieses Projekt ist kein wirtschaftliches Projekt, auch wirtschaftlich, aber mehr ein politisches Projekt. Und meiner Meinung nach muss man die Sanktionen verstärken.
    "Die Deutschen haben Glück mit Angela Merkel"
    Sawicki: Sind Sie denn darüber im Austausch mit Europa?
    Klitschko: Selbstverständlich. Die Sanktionen betreffen sehr viele Geschäftsleute und wir dürfen nicht vergessen, das ist heute auch ein wichtiges Thema. Ich bin in der Sowjetunion geboren und ich weiß, was Propaganda bedeutet. Jede Woche in unserer Schule haben wir einen politischen Unterricht. Jedes Kind muss aufstehen und sagen, erzählen, wie gut ist unser System, wie gut ist unser Land, wie schrecklich ist Kapitalismus, Deutschland, England, Amerika. Und damals haben wir fest geglaubt, dass es ein schreckliches System ist.
    Und Jahre später als Sportler habe ich selbst die Möglichkeit gehabt, selbst in andere Länder zu reisen und zu sehen und zu vergleichen, was Propaganda bedeutet. Alles, was wir gehört haben, war Lüge. Und genau das Gleiche läuft jetzt im Moment in Russland. Deswegen gibt es heute sogar in Deutschland sehr viele sogenannte Putin-Versteher, die sagen, nein, russische Föderation ist unser Freund, ja, Freundschaft ist eine Sache, aber die Politik, die aggressive Politik ist eine andere Sache und da müssen wir uns einigen und die richtigen Informationen bekommen.
    Sawicki: Was tut denn die Ukraine, um so einen Konflikt auch zu entschärfen. Wäre es nicht auch Zeit, direkte Gespräche mit Moskau zu führen?
    Klitschko: Das habe ich mitgekriegt, Putin will nicht direkt mit Poroschenko mehr sprechen. Und deswegen, wir möchten uns bei Angela Merkel bedanken, die schon seit vielen Jahren eine Funktion übernimmt, als sogenannter Referee am Tisch zu sein und alle Seiten zum Gespräch zu bringen.
    Sawicki: Aber Angela Merkel hat ja jetzt ihre letzte Amtszeit, das hat sie ja vor Kurzem gesagt. Haben Sie die Sorge, dass danach diese deutsch-ukrainische Freundschaft dann anfängt zu bröckeln?
    Klitschko: Ich möchte mich auf keinen Fall in die innere Politik von Deutschland einmischen, aber ich meine, das ist meine persönliche Meinung – und Deutschland ist kein fremdes Land für mich, da habe ich einen großen Teil meines Lebens verbracht. Ich möchte sagen als Ausländer, die Deutschen haben Glück mit so einer Person wie Angela Merkel. Sie hat sehr viel gemacht für Deutschland und hat sehr viel für die Ukraine gemacht. Und wir möchten uns sehr bedanken für die große Unterstützung durch die deutsche Regierung und die deutsche Republik.
    Sawicki: Glauben Sie, dass das dann weniger wird?
    Klitschko: Ich hoffe nicht, ich hoffe die Politik bleibt gleich in Zukunft.
    Sawicki: Sie waren ja auch auf dem CDU-Parteitag neulich, also die Nachfolgerin von Angela Merkel als Parteivorsitzende gewählt wurde, Annegret Kramp-Karrenbauer. Hatten Sie Gelegenheit, mir ihr zu sprechen?
    Klitschko: Das war so hektisch, ich war nur einen Tag dort, genau an dem Tag, als AKK gewählt wurde, habe ich mit ihrem Büro gesprochen. Ich bin sehr dankbar, sehr glücklich, dass in dem Büro auch Nico Lange ist, er war Vertreter von der Konrad-Adenauer-Stiftung in der Ukraine, hat sehr viel in der Ukraine gearbeitet, damals in Janukowytschs Zeit war er sogar verhaftet. Er kennt die Ukraine, er spürt Ukraine und ich hoffe, er und AKK und sein Büro werden weiter die Ukraine unterstützen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.