Archiv


"Koalition steht geschlossen hinter NATO-Einsatz im Kosovo - Gewaltmonopol der UN darf nicht infrage gestellt werden"

Adler: Deutschland hat acht ECR-Tornados von Lechfeld in Bayern nach Piacenza in Italien verlegt. Dieses Näherrücken an den Krisenherd Kosovo ist Teil der erhöhten Alarmbereitschaft der NATO, die auch die Vorwarnzeit für eventuelle Einsätze von 96 Stunden auf 48 halbiert hat. Unterdessen hat der internationale Druck auf den jugoslawischen Präsidenten Milosevic bewirkt, daß er die Ausweisung des OSZE-Leiters im Kosovo, Walker, auf unbestimmte Zeit ausgesetzt hat. - Am Telefon ist jetzt die verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Angelika Beer. Guten Morgen Frau Beer!

    Beer: Schönen guten Morgen!

    Adler: Frau Beer, steht die Koalition geschlossen hinter einem möglichen Militäreinsatz der NATO im Kosovo?

    Beer: Die Koalition steht geschlossen dahinter, wenngleich auch sicherlich mit unterschiedlichen Bedenken, die insbesondere bei den Grünen eine Rolle spielen, nämlich es wird das erstemal sein, daß ein solcher Einsatz dann ohne völkerrechtliche Grundlage mit deutscher Beteiligung stattfindet. Ich muß aber auch sagen, daß dort die Einigkeit auch nicht gebrochen werden kann, denn wir sind uns einig in der gemeinsamen Ablehnung, daß jene, die bisher selbst sehr vorsichtig waren, wenn es um Kampfeinsätze ging - ich nenne den ehemaligen Verteidigungsminister Rühe -, die jetzt nur noch populistisch sagen, ihr müßt draufhauen, Gesichtswahrung der NATO, die also überhaupt kein Interesse daran haben, das Leiden der Menschen im Kosovo zu beenden, sondern Polemik in der Opposition mit der Frage Krieg ja oder nein betreiben. Wir sind uns übrigens auch sicherlich einig in den Bedenken. Das klingt vielleicht so einfach oder unverständlich. Wir haben gesehen, welche fatalen Auswirkungen ezum Beispiel in der Konsequenz die Luftschläge der Amerikaner und der Briten auf den Irak haben kann, wo ja durchaus Parallelen bestehen, auch wenn es darum geht, darf untersucht werden oder nicht, daß ein Regime der menschenverachtendsten Art wie unter Hussein nach diesen Luftschlägen quasi gestärkt dasteht. Das heißt, es gab seitens der Amerikaner kein politisches Ziel, und das ist auch das, was im Rahmen der NATO und natürlich auch der Koalition besprochen wird. Es muß ein politisches Ziel geben, wenn man sagt, ultima ratio wird eingesetzt, denn ultima ratio heißt ja wirklich, wenn es denn keine andere Möglichkeit gibt und Milosevic sein Katz und Maus-Spiel weiterbetreibt, wenn weiter Massaker stattfinden, wenn auch die UCK sich weiterhin nicht an Vereinbarungen hält, die getroffen sind, und militärische Operationen der Serben provoziert, um die NATO parteiisch auf seiten der Kosovo-Albaner zu bekommen. Diese ganzen Bedenken tragen wir gemeinsam. Es ist eine sehr schwierige Situation für alle, aber im Zweifel wird es dann auch eine sehr geschlossene Haltung geben.

    Adler: Frau Beer, wir können uns alle noch ganz gut erinnern an den Parteitag in Magdeburg. Sie gehörten dort ja auch zu den Parteimitgliedern der Grünen, die gegen einen Bundeswehreinsatz gestimmt haben. Das hat für einige Schlagzeilen gesorgt, vielleicht auch für ein paar Stimmenverluste bei den Bundestagswahlen, zumindest aber bei den Landtagswahlen in Magdeburg. Ist die Haltung der Grünen in dieser Frage jetzt einheitlicher und geschlossener?

    Beer: Wir sind geschlossen, weil wir die Bedenkenträger sind gerade wenn es um die Weiterentwicklung der NATO-Strategie geht. Im April diesen Jahres wird der Gipfel stattfinden, und es gibt Versuche von NATO-Partnern, grundsätzlich festzulegen, daß man auf ein Mandat der Vereinten Nationen verzichtet. Das heißt also: Selbstmandatierung der NATO. Dort gibt es eine klare Position der Grünen, egal ob der Partei oder auch der Bundestagsfraktion.

    Adler: Die wie aussieht?

    Beer: Die alles versucht, um dies zu verhindern, denn das würde bedeuten, daß man das Gewaltmonopol der Vereinten Nationen in Zweifel zieht, und würde bedeuten, daß zukünftig auch auf anderen Erdteilen andere Länder für sich dieses Recht in Anspruch nehmen können. Das heißt also, daß die Hemmschwelle für Kriege gesenkt wird, und das kann nicht der Weg einer neuen europäischen Sicherheits- und Außenpolitik sein. Wir brauchen eine bessere gemeinsame Abstimmung im europäischen Bündnis, auch innerhalb der NATO. Es darf nicht mehr passieren, daß Konfliktprävention, wie sie im Kosovo ja vor zehn Jahren hätte anfangen müssen, auf nationalstaatlichen Interessen belassen und erlassen wird, und dort sind wir der treibende Motor in dieser Koalition. Ich denke, das ist richtig so. Daran gibt es auch nichts zu zweifeln.

    Adler: Frau Beer, verstehe ich Sie richtig, daß das heißen würde, daß Bundesverteidigungsminister Scharping in der Frage der neuen Strategie der NATO, die ja in diesem Frühjahr verabschiedet werden soll, verabschiedet werden wird, nicht auf Unterstützung der Grünen rechnen kann, wenn es denn dabei bleibt, daß die NATO sich Sicherheitseinsätze beziehungsweise Militäreinsätze, wenn sie es für nötig hält, auch außerhalb ihres Gebietes selbst verordnet?

    Beer: Es gibt dort keine Differenz zu Herrn Scharping. Wir haben einen Koalitionsvertrag, der festhält, daß diese Regierung darauf achten wird, daß die völkerrechtlichen und rechtlichen nationalen Grundlagen gegeben sind. Das ist übrigens eine Selbstverständlichkeit, denn auch Soldaten haben das Recht zu wissen, daß wenn sie einen Einsatzbefehl bekommen das auf einer klaren völkerrechtlichen und rechtlichen Grundlage passiert und nicht nach Beliebigkeit, das heißt Instrumentalisierung als Kriterium die Entscheidung fällt.

    Adler: Das neue Strategiepapier der NATO sieht im Moment so aus, wenn es denn im Frühjahr so verabschiedet werden sollte, daß Militäreinsätze notfalls auch ohne das Mandat des Weltsicherheitsrates passieren dürfen. Wie steht dann die Koalition dazu?

    Beer: Erstens gibt es dieses Papier noch nicht; zweitens gibt es im Bündnis eine Diskussion. Insbesondere die Franzosen würden so etwas wahrscheinlich nicht mittragen. Es steht gerade Deutschland gut an, die Diskussion dort zu führen. Deswegen haben wir diese Diskussion auch bewußt angeregt. Eine Sache ist allerdings zu unterstreichen, die auch die Grünen beantworten müssen, und die ist sehr schwierig: Was machen wir, wenn Regime wie etwa Milosevic oder der Irak bewußt gegen die eigene Bevölkerung einen Krieg provozieren. Dort kann man nicht einfach sagen, wir berufen uns auf irgendwelche Artikel, sondern wir brauchen neue Instrumente. Es zeigt sich, daß die jetzigen Instrumente, selbst der ultima ratio der NATO, als Abschreckung offensichtlich nicht ausreichen. Und dann gibt es nur einen Weg zurück: weg von egoistischer nationalstaatlicher Politikbereitschaft, und das ist auch die Lehre aus dem OSZE-Einsatz im Kosovo. Wir müssen sehr viel schneller in der Lage sein, wenn man denn noch unbewaffnete Einsätze durchsetzen kann, daß diese auch sofort greifen und man nicht monatelang mühsam suchen muß, wo ist denn ein ausgebildeter Politist oder dergleichen, der diese Aufgabe übernehmen kann. Wir haben heute erst 700 Beobachter von beschlossenen 2000 im Kosovo. Das ist eigentlich ein Armutszeugnis. Deswegen wird es von den Grünen ganz klar sein. Wir werden versuchen, uns klar zu positionieren. Die Voraussetzung aber ist, daß man zukünftig im Rahmen einer präventiven Sicherheitspolitik tatsächlich sagen kann: wir haben alle Instrumente unterhalb der militärischen Schwelle benutzt und eingesetzt, sie sind gescheitert. Dann werden sich auch die Grünen dazu verhalten wie jetzt im Kosovo, daß man sagen muß, es gibt keine einfache Antwort. Auch Militär ist möglicherweise keine Antwort und Lösung, aber die Menschen dort haben das Recht, in Frieden zu leben.

    Adler: Die OSZE-Beobachter, die jetzt im Kosovo stationiert sind, konnten das Massaker natürlich nicht verhindern. Daraus ist ihnen natürlich auch kein Vorwurf zu machen. Sie haben selbst auf die Schwierigkeiten hingewiesen, die überhaupt zum Zustandekommen dieser Mission geführt haben. Ist denn unter diesen Vorzeichen, unter diesen Schwierigkeiten die OSZE tatsächlich ein adäquates Mittel, um Frieden im Kosovo zu erwirken, oder muß man sagen, es reicht nicht? Wir sehen, es reicht nicht, wir kriegen es organisatorisch nicht hin und wir kriegen es auch nicht hin, daß die OSZE als eine Kraft anerkannt wird, die tatsächlich auch Autorität im Land genießt.

    Beer: Mit Sicherheit ist die OSZE heute und morgen noch das adäquate Mittel. Wir konnten durchsetzen, daß Walker dort bleibt. Man muß auch klar sagen, die Situation im Kosovo heute ist eine vollkommen andere als damals in Bosnien. Man darf das nicht vergleichen. Die Erkenntnisse, die wir jeden Tag bekommen, bekommen wir nur durch die OSZE-Präsenz im Kosovo selbst.

    Adler: Das ist aber das aufklärerische Moment. Das ist wohl wahr, das bestreitet auch niemand. Es geht aber wirklich auch um das friedensstiftende Moment.

    Beer: Richtig, aber wir brauchen die Aufklärung, um Frieden stiften zu können, und deswegen betone ich noch einmal: Die Situation ist eine andere. Wir haben dort nicht eine militärische Macht, die gewaltsam gegen den Rest vorgeht, sondern wir haben zwei Konfliktparteien. Nur durch die Präsenz der OSZE vor Ort können wir überhaupt herausfinden, von wem ist das Massaker verursacht worden. Wir dürfen nicht in die Situation kommen, daß wir uns einseitig positionieren und falschen Angaben möglicherweise auch der UCK unterliegen. Das würde bedeuten, daß man weitere Schritte überlegt und sich einseitig positioniert. Und ich sage Ihnen ganz klar: Die Guerilla-Taktik der UCK zu sagen, wir provozieren, wir ziehen uns zurück und wir wissen, daß die Racheaktion der serbischen Einheiten gegen die Bevölkerung läuft, ein solches Vorgehen ist ebenfalls massiv zu kritisieren. Deswegen brauchen wir unabhängige Menschen im Kosovo, und ich hoffe, daß diese Mission trotzdem noch erfolgreich ist. Ich sage noch einmal: Wer jetzt nach Militäreinsätzen schreit, der ist nicht nur unverantwortlich was den politischen Lösungsansatz betrifft, sondern der gefährdet direkt das Leben derjenigen Unbewaffneten, die heute noch versuchen, friedensstiftend einzugreifen.

    Adler: Frau Beer, letzte Frage: Würden Sie sagen, daß sich Ihre Partei in Punkto Militäreinsätze bewegt hat?

    Beer: Ich glaube, daß wir uns verantwortlich bewegt haben. Wir können nicht sagen, wir haben die besseren Vorschläge, wir haben es immer kritisiert. Wir sind jetzt in der Verantwortung und wir haben unsere alternativen Vorstellungen, das heißt das ganze Feld der Konfliktprävention, durch den Druck sehr qualifiziert aufgebaut. Deswegen wird in dieser Koalition der zukünftige Weg sein, daß man Situationen wie im Kosovo oder damals in Bosnien, man drückt die Augen zu, solange es einen nicht unmittelbar berührt, anders behandelt. Die Menschenrechtsfrage wird immer die erste sein. Deswegen glaube ich, daß die Grünen richtig daran getan haben, sich mit an der Realität zu messen, möglicherweise aber auch schwere Verantwortung zu übernehmen - auch mir fällt das sehr schwer -, aber damit auch zu erwirken, daß wir Instrumente aufbauen, die eine Wiederholung möglicherweise verhindern.

    Adler: Angelika Beer war das, verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag. Frau Beer, vielen Dank für das Gespräch!