Samstag, 27. April 2024

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Kochbuch-Reihe der Stiftung Warentest
Im Gewand einer kulinarischen Mogelpackung

Die unter dem Titel "Perfektion" in drei Bänden angekündigte Einführung in die Wissenschaft des guten Kochens ist eine Übersetzung des 2012 erschienen Kochbuchs des promovierten Lebensmittelchemikers Guy Crosby. Die Übersetzung aus dem Amerikanischen treffe auch auf die Kulinarik zu, meint Eva Gritzmann.

Von Eva Gritzmann | 10.06.2016
    Alte Holzlöffel schauen aus einem Topf heraus.
    Kochlöffel aus Holz (dpa/Romain Fellens)
    "Fleisch" verspricht der Auftaktband eines dreibändigen Werks zur Kochkunst der Stiftung Warentest im Titel. Wer im Register hingegen nach Hirn und Zunge, Leber und Lunge, Milz und Niere sucht, wird nicht fündig. Für Freunde der Innereien-Küche haben die Autoren buchstäblich kein Herz. Auch nicht für die wachsende Zahl derer, die aus ethischem Unwohlsein mit Fleisch aus Massentierhaltung auf Wild umsteigen: Kein einziges Rezept für Hirsch, Reh, Rebhuhn oder Hase findet sich in diesem Buch. Statt dessen verstehen die Autoren unter "Fleisch" in etwa das, was auf der Speisekarte eines durchschnittlichen amerikanischen Flughafenrestaurants steht:
    Rinderfilet vom Grill, Steaks aus dem Ofen und der Pfanne, klassische American Burger, Teriyaki-Rindfleischpfanne, Schwedische Fleischbällchen, Hühnchen-Fajitas, Spareribs vom Grill, Lachsfilet vom Grill.
    Fischrezepte im Fleisch-Kochbuch
    Moment: Lachsfilet vom Grill? In einem Buch, das den Titel "Fleisch" trägt? Neben einem einzigen Lammrezept sowie Kochanleitungen für sechs Eierspeisen finden sich in dem Stiftung-Warentest-Band "Fleisch" auch sage und schreibe elf Fischrezepte, aus denen man unter anderem erfährt:
    "Die größte Herausforderung beim Braten von Thunfischsteaks ist die Kruste. Restaurantköche lösen das Problem, indem sie extradicke Thunfischsteaks verwenden. In den meisten Supermärkten werden Sie jedoch keine fünf Zentimenter dicken Steaks bekommen, sondern nur Stücke mit der üblichen Dicke von etwa zwei [Anm.: Von der Redaktion korrigiert] Zentimetern. Diese Stücke können Sie, wenn Sie den Thunfisch blutig wollen, höchstens drei Minuten in der Pfanne lassen – zu kurz, um das zarte Innere mit einer knusperigen Kruste zu umhüllen."
    Spätestens an dieser Stelle wird manchem Leser der Kochbuchreihe "Perfektion" einiges Spanisch oder eben Amerikanisch vorkommen. Thunfischsteaks gleich welcher Dicke zählen in den meisten deutschen Supermärkten nach wie vor nicht zum Standardangebot. Und beim Gargrad eines nicht ganz durchgebratenen Fischs würde man im Deutschen wohl nicht von "blutig", sondern eher von "glasig" oder "roh" sprechen. Die unter dem vollmundigen Titel "Perfektion" in drei Bänden angekündigte Einführung in die "Wissenschaft des guten Kochens" ist eine Übersetzung aus dem Amerikanischen. Trifft also auch auf die Kulinarik zu, was der Dichter Robert Frost einmal von der Lyrik behauptete: Poetry is what is lost in translation? Löst sich kulinarisches Know-how im Sprachtransfer auf wie Salz in Wasser?
    Mogelpakung kommt durch das Lektorat
    Paradoxerweise hat der Übersetzer Michael Schickenberg sehr solide Arbeit geleistet. Dass die deutsche Öffentlichkeit die Kochbuchreihe "Perfektion" im Gewand einer kulinarischen Mogelpackung erreicht, liegt einzig am Lektorat des Verlags der Stiftung Warentest. Dort hat man die Übersetzungslizenz erworben für ein im US-amerikanischen Original 2012 erschienenes Buch mit den Titel:
    "The Art of Good Cooking: Master 50 Simple Concepts and Enjoy a Lifetime of Success in the Kitchen"
    Als Herausgeber dieses gewichtigen einbändigen Werks firmiert der promovierte Lebensmittelchemiker Guy Crosby, der seit 2005 als Wissenschaftsredakteur bei der Zeitschrift "Cook’s Illustrated" arbeitet und gelegentlich in deren erfolgreichem TV-Ableger "America’s Test Kitchen" auftritt. Das Format dieser Fernsehsendung steckt auch hinter der Konzeption des Aufbaus dieser im Original 504 Seiten langen Kochbibel: Anhand von 50 naturwissenschaftlichen Prinzipien sollen Grundlagen der Kochtechnik im Experiment überprüft und durch Versuche erläutert werden. Die als Kapitelüberschriften formulierten Prinzipien lauten beispielsweise:
    "Salz entzieht Gemüse das Wasser", "Sanftes Garen macht Fleisch zart", "Mit Natron garen Bohnen und Getreide schneller", "Fett macht Eierspeisen stark" oder "Alkohol verdampft beim Kochen – oder nicht?"
    Das Lektorat des Verlags der Stiftung Warentest hat sich nun entschieden, die einbändige Originalausgabe von "The Art of Good Cooking" auf drei deutsche Bände zu verteilen und diese recht willkürlich unter den Titeln "Fleisch", "Gemüse" und "Backen" zu vermarkten. Verlegerische Perfektion sieht anders aus. Leider hat sich der Verlag auch dazu verleiten lassen, den amerikanischen Schlüsselbegriff "concept" statt mit "Prinzip" mit "Konzept" zu übersetzen, was weiter zur Verwirrung des deutschen Lesers beiträgt. Hier wurde unnötigerweise eine Suppe versalzen, die durchaus zu goutieren wäre.
    Ein didaktischer Aufbau, drei Bücher
    Der didaktische Aufbau der fünfzig Einzelkapitel ist immer derselbe: Das eingangs formulierte Prinzip wird unter der Überschrift "Die Wissenschaft dahinter" erläutert und in einem zweiten, mit "Das Experiment" überschriebenen Unterkapitel im Versuch überprüft, dessen "Ergebnis" dann in eine kulinarische "Erkenntnis" mündet. Es folgt ein Rezeptteil, in dem das Gelernte in die Küchenpraxis umgesetzt wird. Und hierin liegt denn auch die Stärke von Guy Crosbys Kochbuch: in der populär aufbereiteten naturwissenschaftlichen Erklärung vermeintlich banaler Küchenfragen. Was ist die ideale Zubereitungsweise für Reis? Warum genau müssen grüne Gemüse nach dem Blanchieren in einem Eisbad abgeschreckt werden, um graue Verfärbungen zu vermeiden? Oder in welchem Teil einer Chilischote steckt eigentlich die Schärfe?
    "Die Trennwände sind reinste Capsacin-Bomben, dort ist die Konzentration am höchsten. Schnell erklärt ist, warum auch die Samen mehr Capsacin enthalten als das Fleisch: Sie sind eingebettet in die Trennwände und nehmen von dort Capsacin auf. Wenn Sie Chili-Schoten "entschärfen" wollen, entfernen Sie vor allen die Trennwände – die Samen sind weit weniger feurig."
    Wird ein besserer Koch, wer weiß, dass ein Azeotroop "ein Gemisch aus zwei flüssigen Stoffen" ist, "das sich wie ein einziger Stoff verhält"? Gut 35.000 Jahre, nachdem die Menschen der Steinzeit die erste Suppe in ihren Höhlen gekocht haben, lässt sich diese Frage nach dem Sinn kulinarischer Aufklärung mit einem glasklaren, bildungsfrohen Ja! Beantworten.
    Guy Crosby:
    Perfektion. Die Wissenschaft des guten Kochens:
    Band 1: Fleisch,
    Aus dem Englischen übersetzt von Michael Schickenberg;
    Stiftung Warentest; 270 Seiten; 29,90 Euro
    Band 2: Gemüse
    Aus dem Englischen übersetzt von Michael Schickenberg;
    Stiftung Warentest; 240 Seiten; 29,90 Euro; ISBN: 978-3-86851-430-83