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Kolonisation
"Den 'armen Heidenkindern' die Zivilisation bringen"

Die europäischen Kolonialmächte hätten ganz selbstverständlich die Grundüberzeugung gehabt, dass sie als Weiße Teil einer höheren Zivilisation seien, sagte die Historikerin Rebekka Habermas im DLF. Das habe bedeutet, alle schwarzen Personen seien minderwertig. Es habe gar keine moralische sowie juristische Hemmschwelle hinsichtlich Gewalt gegenüber Afrikanern gegeben.

Rebekka Habermas im Gespräch mit Britta Fecke |
    Adolf Friedrich Herzog zu Mecklenburg-Schwerin war der letzte Gouverneur der Kolonie Togo, hier bei einem Besuch 1960.
    Adolf Friedrich Herzog zu Mecklenburg-Schwerin war der letzte Gouverneur der Kolonie Togo, hier bei einem Besuch 1960. (picture alliance / dpa / Dr. Mummendey)
    Neben ökonomischen Interessen haben die Kolonialmächte auch missioniert und den christlichen Glauben verbreiten wollen, der mit der Vorstellung, alle Menschen sind gleich, verbunden ist. Das Paradoxe dieser Mission sei, so die Historikerin, dass die indigene Bevölkerung irgendwann diese Vorstellung übernommen habe und aufgrundessen in den Unabhängigkeitskampf gegangen sei. "Das ist ungewollt, wenn man so möchte, ein sehr, sehr positives Ergebnis der Mission."

    Das Interview in voller Länge:
    Britta Fecke: Erst vor Kurzem wurde auch Deutschland wieder an sein koloniales Erbe - an seine Schuld - erinnert und das ausgerechnet von dem in rechtsstaatlichen Fragen wenig geschätzten türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Nach der Resolution des Bundestages zu dem Völkermord an den Armeniern durch die Türken, wies Erdogan darauf hin, dass Deutschland sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmern soll. Wie den Völkermord an mehr als 100.000 Herero in der ehemals deutschen Kolonie in Südwestafrika, dem heutigen Namibia. Ein lange Zeit verdrängtes Kapitel in der deutschen Kolonialgeschichte. Doch nicht nur die deutschen Gräueltaten während des Imperialismus holen uns heute wieder ein.
    Ich bin verbunden mit Professor Rebekka Habermas vom Lehrstuhl für Mittlere und Neuere Geschichte an der Universität zu Göttingen. Ihr Buch "Skandal in Togo – ein Kapitel deutscher Kolonialherrschaft" ist in dieser Woche erschienen. Frau Habermas, viele aktuelle Konflikte und Kriege im Nahen Osten oder Afrika lassen sich auf Verbrechen und Willkür, zum Beispiel bei der Grenzziehung der ehemaligen Kolonialmächte zurückführen. In den aktuellen Kriegsgebieten scheinen das aber häufiger Bezüge zu den ehemaligen britischen und französischen Kolonialgebieten herzustellen zu sein – oder täuscht dieser Eindruck?
    Rebekka Habermas: Das ist, glaube ich, eine Frage, die etwas schwieriger zu beantworten ist, weil Deutschland hat ja 1914 beziehungsweise 1918 seine Kolonien alle verloren. Und danach sind diese deutschen Kolonien unter englische und französische Herrschaft in der Regel gekommen und insofern sind diese Vergangenheiten der Engländer und Franzosen schon wesentlich präsenter. Was man aber ganz eindeutig sagen kann und wo das sehr klar irgendwie nachzuvollziehen ist, ist in der Beziehung zum heutigen Namibia, wo es ja den sogenannten Herero-Nama-Krieg unter den Deutschen gab, der häufig auch als erster Genozid bezeichnet wird und wo es ohne jeden Zweifel so war, dass die deutschen Kolonialtruppen wirklich gewütet haben. Und es lässt sich heute sehr gut nachvollziehen, dass die Staatsgründung Namibias nicht nur was die Erinnerungskultur anbelangt, sondern auch aus anderen Gründen auf diesen Herero-Nama-Krieg zurückgeht. Das heißt, überhaupt der ganze Staatskörper des modernen Namibias verdankt sich dieser sozusagen kolonialen Untat, und insofern kann man auch davon sprechen, dass da sehr deutlich deutsche Spuren zu sehen sind.
    Fecke: Sie sprechen in Ihrem Buch von der omnipräsenten Gewalt im kolonialen Alltag. Wie muss ich mir das vorstellen?
    Habermas: Die Omnipräsenz der kolonialen Gewalt sah einfach so aus, dass es eine von allen Europäern selbstverständlich geteilte Grundüberzeugung gegeben hat, dass sie Teil einer höheren Zivilisation sind, weil sie eine weiße Hautfarbe haben. Das heißt, dass automatisch alle die Deutung hatten, schwarze Personen sind minderwertig. Das senkt natürlich die Gewaltschwelle Afrikanern gegenüber. Das ist das eine und das Zweite ist, dass ein Distriktleiter, also die lokalen Beamten vor Ort faktisch das Recht hatten, Personen zu prügeln als Strafe, und es auch niemand gab, der sie kontrolliert hat. Das heißt, es gibt gar keine moralische Hemmschwelle, weil die Personen als minderwertig gelten, und es gibt auch keine juristischen Schwellen, die Gewalt verbieten oder sie einhegen. Und die Folge ist, dass es zu wirklich sehr vielen unkontrollierten, und zwar ganz alltäglichen Gewaltakten kam, aber nicht nur körperliche Gewalt im engeren Sinne, sondern vielleicht mindestens so brutal einfach auch sexuelle Gewalt. Das heißt, dass Formen von Vergewaltigungen kleineren und auch größeren Ausmaßes an der Tagesordnung waren. Die Afrikaner und Afrikanerinnen waren einfach weitgehend rechtlose Personen, die sich natürlich entziehen konnten und die auch ihre Taktiken des Widerstandes hatten. Aber es gab keine Schutzmechanismen und sie waren nicht als gleichwertig akzeptiert. Das ist, glaube ich, das Wichtigste dabei.
    Der Begriff Rassenhygiene "ist keine Erfindung der Nationalsozialisten"
    Fecke: Sie sprechen in Ihrem Buch "Skandal in Togo" von "Rassenhygiene". Das ist ein Terminus, den ich eher im Dritten Reich vermutet hätte.
    Habermas: Rassenhygiene ist ein älterer Begriff, der im Kaiserreich schon geprägt worden ist, und die Vorstellung ist die und es ist eine große Debatte, die zu dieser Zeit über die sogenannten Mischehen geführt wird, nämlich darüber, wie Weiße und Schwarze, wenn sie zusammen Kinder haben, was aus diesen Kindern werden soll und warum diese Kinder eine minderwertige Rasse sind und warum es insbesondere die Aufgabe der deutschen Frauen ist, eben in die Kolonien zu gehen und dafür Sorge zu tragen, dass weiße Kinder gezeugt werden. Das ist die Vorstellung, weil damit natürlich die weiße Rasse erhalten bleiben kann. Und Rassenhygiene heißt, dass es insbesondere Aufgabe der weißen Frauen gewesen ist, sich um die Hygiene und "Reinheit" zu kümmern und dafür Sorge zu tragen, dass ihre Männer in den Kolonien nicht mit Afrikanerinnen ins Bett gehen. Rassehygiene ist ein Begriff aus dem Kaiserreich und der Nationalsozialismus kann da an eine lange Diskussion, auch eine medizinische Diskussion vor allem anschließen. Das ist keine Erfindung der Nationalsozialisten.
    Fecke: Sie haben, um die deutsche Kolonialherrschaft zu schildern, Togo gewählt. Warum?
    Habermas: Ich habe Togo gewählt aus einem ganz einfachen Grund, weil in Togo es zu einem sehr großen Skandal gekommen ist, der im Reichstag sehr prominent verhandelt worden ist, und es einfach sehr viele Zeitungsberichte und sehr viele Quellen über diesen Fall gegeben hat und man da einfach sehr schön illustrieren kann, wie einfach ein kolonialer Alltag aussieht. Man hätte auch andere Quellen nehmen können, einen anderen Vorfall, aber dieser hat sich aufgrund der Fülle und der Plastizität des Materials angeboten.
    "Das ist natürlich moralisch hoch verwerflich, aber es ist der ganz normale Alltag des Kolonialismus gewesen"
    Fecke: Dieser Skandal eines Kolonialbeamten, ist der typisch? Spricht sein Schicksal für viele?
    Habermas: Dieser Kolonialbeamte, dem vorgeworfen wird, mit schwarzen Frauen sexuelle Gewalttatbeziehungen zu haben und Schwarze umgebracht zu haben, dieser Kolonialbeamte ist alles andere als untypisch, was nicht heißen soll, dass jeder Kolonialbeamte automatisch so gewalttätig war. Aber es war durchaus so, dass es an der Tagesordnung war, dass Kolonialbeamte sexuell übergriffig gewesen sind und sehr gewalttätig vorgegangen sind. Und es ist eher - wie soll ich sagen - problematisch, dass das Kaiserreich just dieses Verhalten dieses Beamten herausgegriffen hat und gesagt hat, das ist ein Skandal, das ist moralisch hoch verwerflich. Das ist natürlich moralisch hoch verwerflich, aber es ist der ganz normale Alltag des Kolonialismus gewesen. Insofern war es zeitgenössisch weniger ein Skandal als der Alltag.
    Fecke: Aber das Kaiserreich oder Berlin hat darauf reagiert. Warum gerade auf diesen einen Fall?
    Habermas: Berlin hat auf diesen einen Fall reagiert, weil so vor Ort in den Kolonien gab es ja die Kolonialbeamten und es gab die Mission und es gab Kaufleute. Und in diesem konkreten Fall war es eben so, dass die katholische Mission in dem Fall sich zum Anwalt der Afrikaner gemacht hat, die hier gewalttätig malträtiert worden sind, und diesen Vorfall an die Presse, an die katholische Presse im Reichstag kolportiert hat, und die hat daraus einen politischen Skandal gemacht, weil die Zentrumspartei, die katholische Partei und die SPD diesen Fall aufgreifen konnten und sich da gegenüber den Konservativen profilieren konnten mit dem Vorwurf: Schaut mal, ihr habt ja eure Kolonien gar nicht im Griff.
    "Die erste Generation von Unabhängigkeitskämpfern in den 50er-, 60er-Jahren waren alles Schüler aus Missionsschulen"
    Fecke: Was war denn die Rolle der deutschen Missionare eigentlich?
    Habermas: Eigentlich ist die Rolle der deutschen Missionare im Selbstverständnis, den "armen Heidenkindern" die Zivilisation und den christlichen Glauben zu bringen, das heißt, sie von ihren religiösen Grundüberzeugungen, die sie hatten, die afrikanische Bevölkerung abzubringen und zu konvertieren. Faktisch ist ihnen das im Grunde genommen eigentlich nicht sehr häufig gelungen. Was sie aber faktisch wirklich getan haben und was sehr einflussreich und bis heute spürbar ist in den Kolonien ist: Sie haben Schulen aufgebaut und sie sind diejenigen, die in den deutschen Kolonien im Grunde genommen für die Vermittlung von Lesen und Schreiben zuständig waren. Das ist auch etwas, was man bis heute sehen kann, und die erste Generation von Unabhängigkeitskämpfern in den 50er-, 60er-Jahren waren alles Schüler aus Missionsschulen.
    Fecke: Das heißt, da könnte man einmal eine positive Bilanz ziehen?
    Habermas: Ja! Auf eine geradezu paradoxe Art und Weise kann man sagen, dass die Mission … Der christliche Glaube hat ja die Vorstellung, alle Menschen sind gleich, und das Paradoxe der missionarischen Wirkung ist, dass sie diese christliche Grundbotschaft nach Afrika gebracht haben und irgendwann die lokale Bevölkerung gesagt hat, ja, alle Menschen sind gleich, und deswegen gehen wir in den Unabhängigkeitskampf. Da kann man sehen, wie bestimmte Botschaften dann gegen diejenigen auch instrumentalisiert werden oder genutzt werden, um dann für die eigene Unabhängigkeit zu kämpfen. Und da kann man sagen: Das ist ungewollt, wenn man so möchte, ein sehr, sehr positives Ergebnis der Mission.
    "Faktisch waren diese Kolonien, die deutschen zumindest ökonomisch ein Desaster für Europa"
    Fecke: Ist das auch einer dieser inneren Widersprüche, von denen Sie öfter sprechen in Ihrem Buch?
    Habermas: Ja. Das ist in jedem Fall einer der inneren Widersprüche, weil der Kolonialismus war geprägt von zahlreichen inneren Widersprüchen: zum einen von der Vorstellung, Europa bringt die Zivilisation, andererseits ist das Vorgehen äußerst gewalttätig gewesen. Das ist einer der Widersprüche. Ein anderer ist genau das, was ich mit den Missionaren schon angesprochen habe, wir bringen den christlichen Glauben und erlösen euch vom Heidentum. Das ist ja die Vorstellung. Und die Kinder sind in den Schulen teilweise sehr malträtiert worden und es gibt eine ganze Reihe von solchen Widersprüchen: Wir nutzen die Kolonien, um ökonomisch in Europa weiterzukommen; faktisch waren diese Kolonien, die deutschen zumindest ökonomisch ein Desaster für Europa. Es gibt eine ganze Reihe von Widersprüchen. Das heißt, was man im Kaiserreich propagiert hat, was faktisch vor Ort passiert ist, sind zwei ganz, ganz, ganz verschiedene Paar Schuhe.
    "Es wird nicht auf ein lokales Wissen zurückgegriffen"
    Fecke: Warum waren denn diese Baumwoll-, Kautschuk- und Kakao-Plantagen in den deutschen Kolonien ökonomisch so extrem erfolglos?
    Habermas: Sie waren erfolglos, wobei man dazu ja immer sagen muss: Erfolgreich und erfolglos aus der Perspektive der deutschen Wirtschaft - das muss man schon mal irgendwie auch betonen - waren sie, weil man versucht hat, bei der Baumwolle ist das ein klassisches Beispiel, man hat nicht die lokalen Baumwollsorten genommen, man hat sich nicht auf das lokale Wissen von Baumwollanbau-Techniken verlassen, sondern man hat gesagt, wir haben die besten Baumwollsorten und wir wissen, wie die Baumwollplantagen zu etablieren sind. Und natürlich haben die Deutschen nicht gewusst, unter welchen klimatischen Bedingungen, welche Baumwollsorten wie funktionieren. Das ist das eine. Das heißt, das war faktisch die falsche Auswahl, die falsche Technik. Und dann haben sie die lokale Bevölkerung nicht davon überzeugen können, dass das eine Wirtschaft ist, die der lokalen Bevölkerung Profit bringt. Das heißt, sie hat das torpediert an jeder nur möglichen Stelle. Das Grundproblem ist - und das ist eines der Grundprobleme bis heute -, es wird nicht auf ein lokales Wissen zurückgegriffen, sondern es werden Techniken verwandt, die in Europa vielleicht funktionieren können, aber woanders eben nicht.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.