Montag, 13. Mai 2024

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Kolumbianisches Theaterprojekt
Bühne frei für frühere Feinde

Ende Juni haben sich die kolumbianische Regierung und die FARC-Rebellen auf einen Waffenstillstand geeinigt. Nun warten alle auf den Friedensvertrag, der in den nächsten Wochen unterschrieben werden könnte. Doch Frieden schaffen ist das eine - ihn zu bewahren und mit ihm auch Versöhnung zu schaffen ist das andere. Ein Theaterprojekt in Bogotá will genau das erreichen.

Von Johannes Kulms | 03.08.2016
    Die SchauspielerInnen Ferley, Raúl, Alexandra zusammen mit der Regisseurin Alejandra Borrero
    Die SchauspielerInnen Ferley, Raúl, Alexandra zusammen mit der Regisseurin Alejandra Borrero (von links nach rechts) (deutschlandradio.de / Johannes Kulms)
    Das Theatercafé am Fuße der Freitreppe ist improvisiert: Es ist etwas düster, rundherum wird gerade gebohrt und geschraubt und auf dem Tisch stehen Pappbecher mit Kaffee – nebenan gekauft. Hier, im Theater Casa E sitzen an einem kleinen Tisch drei junge Menschen beieinander: Sie kabbeln sich, kichern gemeinsam, verstehen sich sichtlich gut.
    Vor wenigen Jahren wäre diese Runde undenkbar gewesen: Mindestens zwei dieser jungen Menschen hätten wohl versucht, sich gegenseitig umzubringen.
    "Ich war ein Ultrarechter. Ich konnte nichts ausstehen, was links war. Schon das Wort Guerilla hat mich zittern lassen - vor Zorn", sagt Ferley. Der 30-Jährige hat ein fröhliches Gesicht und gewinnendes Lächeln - es fällt in diesem Moment schwer zu glauben, dass er fast seine gesamte Jugend bei den rechtsgerichteten Paramilitärs verbracht hat - zwangsrekrutiert, als er 13 Jahre alt war, erst mit 17 gelang ihm die Flucht. Seine Schwester war zuvor im Alter von zehn Jahren umgebracht worden.
    Traumatische Erfahrungen auf beiden Seiten
    Direkt neben Ferley sitzt Alexandra - eine kleine Frau mit sehr jungem Gesicht. Die 27-Jährige trommelt zu Beginn des Gesprächs immer wieder mit den Fingern auf die Tischplatte. Mit 14 Jahren kam Alexandra zur FARC-Guerrilla, erst vor fünf Jahren verließ sie die Gruppierung.
    "Zwei Ereignisse haben mein Leben sehr geprägt und prägen es weiterhin. Das eine ist die Ermordung meines Bruders, der ebenso bei den FARC war. Das hat mich dazu gebracht, die Guerilla zu verlassen. Das andere ist eine Abtreibung, die ich hatte: Ein Mädchen war es, ich war im siebten Monat."
    Immer wieder gibt es Berichte über Zwangsabtreibungen bei den FARC – die Guerilla hat dies Anfang Januar dementiert.
    Mit solchen und anderen Traumata umzugehen - aber auch mit früheren Feinden - das ist das Ziel von "Victus". Das Theaterprojekt bringt seit April rund 20 vor allem junge Leute aus allen möglichen Landesteilen und sämtlichen Konfliktgruppen zusammen in das Theater Casa E. Social im Stadtviertel La Soledad - nur wenige Kilometer entfernt vom Präsidentenpalast in Bogotá.
    Jeder Teilnehmer von "Victus" hat eine kleine Kiste mit Gegenständen gefüllt, die ihm wichtig sind: Hier die Box von Raúl, der als Militärsanitäter auf eine Personenmite trat und dabei sein rechtes Bein verlor.
    Jeder Teilnehmer von "Victus" hat eine kleine Kiste mit Gegenständen gefüllt, die ihm wichtig sind: Hier die Box von Raúl, der als Militärsanitäter auf eine Personenmite trat und dabei sein rechtes Bein verlor. (deutschlandradio.de / Johannes Kulms)
    Wer auf welcher Seite für wen gekämpft hat, wussten die Teilnehmer des Theaterprojekts zu Beginn nicht. Erst nach ein paar Wochen fanden sie es allmählich heraus. Vor allen aber wurde ihnen klar: Opfer eine jahrzehntelangen Wahnsinns sind wir irgendwie alle:
    "Der Krieg ist eine totale Barbarei - egal von welcher Seite du schaust. Das haben wir hier gemerkt, das uns das alle verbindet: Das Chaos, die Katastrophe, der Terror - das ist überall", sagt Raúl, der dritte am Tisch. Der 34-Jährige ist klein und trägt eine Zahnspange. 14 Jahre lang hat Raúl als Rettungssanitäter beim kolumbianischen Militär gearbeitet. Vor zwei Jahren trat er auf eine Personenmine und verlor dabei sein rechtes Bein.
    Friedensabkommen als Grundlage für die Aussöhnung
    Mehr als 250.000 Tote hat der Bürgerkrieg in Kolumbien gefordert, Millionen Menschen wurden vertrieben. Nun könnte mit dem Friedensabkommen zwischen der Regierung und den FARC ein ganz wichtiger Schritt in Richtung Frieden gemacht werden. Doch je länger die Verhandlungen dauern, desto größer wird die Ungeduld in der Bevölkerung. Zumal nicht wenige das Abkommen ablehnen und meinen, den Rebellen seien viel zu viele Zugeständnisse gemacht worden.
    Klar ist: Wenn es Frieden in Kolumbien geben soll, dann wird dies Jahrzehnte dauern. Dies gilt erst Recht für Versöhnung. Das Theaterprojekt "Victus" ist ein Beispiel dafür, was möglich ist. Auch wenn auch hier die Konflikte immer wieder offen zutage treten: Schon nach wenigen Wochen haben die Übungen und Workshops die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zusammengeschweißt.
    "Das Unglaubliche ist: Es gibt kein Foto von der letzten Woche, auf dem jemand alleine zu sehen ist! Alle lagen sie eng umschlungen!"
    Alejandra Borrero ist eine bekannte Schauspielerin in Kolumbien. Sie ist gleichzeitig die Intendantin des Theaters Casa E und Regisseurin von "Victus".
    Was genau da im November auf die Bühne kommen wird, sei noch gar nicht klar, sagt Borrero. Doch sie hofft darauf, dass das Projekt danach durch's Land und auch in die Welt reisen kann. Aber sie weiß auch um die Besonderheit des Theaters als Versöhnungsraum:
    "Dieses Projekt ist ein Labor, es ist eine Blase. Victus ist das Kolumbien in 50 oder 100 Jahren - ich hoffe in 50 Jahren. Ein Land, in dem wir alle Platz haben - trotz der Unterschiede."
    Theaterspiel setzt unbekannte Gefühle frei
    Uns alle hat dieses Projekt schon jetzt verändert, erzählen Ferley, Raúl und Alexandra. "Das Tolle ist: Hier stehen wir auf der Bühne und erzählen Geschichten, die nicht erfunden, sondern unsere eigenen sind", erzählt die 27-Jährige Mutter dreier Kinder. "Meine eine Tochter ist vier Jahre alt und dann habe ich noch Zwillinge die sind zweieinhalb. Meine älteste Tochter kommt jetzt zu mir und sagt: Mama, ich bin stolz auf dich! Und diese Veränderungen bei mir laufen, seitdem ich bei Victus mitmache. Ich habe gelernt, liebevoller mit meinen Kindern umzugehen, Mutter zu sein. Davor war es anders: Ich habe mich darum gekümmert, dass meine Kinder zu essen bekommen. Aber nicht darum, sie zu umarmen, sie zu küssen oder sie zu fragen, wie es im Kindergarten war."
    Ähnlich geht es auch dem 30-Jährigen Ferley, der eine Tochter hat. Der frühere Paramilitär sagt: Erst seit Victus glaubt er an den Friedensprozess. Im August will er einen Master für Friedens- und Konfliktforschung an einer der renommiertesten Universitäten des Landes beginnen. Dafür hat er eines von drei Stipendien ergattern können. Und Rául - der frühere Militärsanitäter meint:
    "Das schöne an diesem Projekt ist: Wir konnten nicht 20 Leute zusammenbringen, die ähnlich denken. Das wäre eine Lüge geworden und es wäre auch langweilig geworden. Es ist eben wichtig, dass es Konflikte gibt, den so erst entdeckt man die Menschlichkeit beim Gegenüber."