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Konservativer Nachwuchs
Die junge CDU scharrt mit den Hufen

Männlich, machtbewusst, wirtschaftsliberal: An einer jungen Generation von CDU-Politikern kommt Parteichefin Angela Merkel nicht mehr vorbei. Jens Spahn (37), Carsten Linnemann (40), Paul Ziemiak (32) und andere laufen sich warm für die Post-Merkel-Ära. Doch wie wollen sie die Politik gestalten?

Von Katharina Hamberger und Bastian Brandau |
    Paul Ziemiak, Vorsitzender der Jungen Union (l.), spricht mit CDU Präsidiumsmitglied Jens Spahn, nach der Sitzung des CDU-Bundesvorstands; Aufnahme vom 16. Oktober 2017
    Paul Ziemiak, Vorsitzender der Jungen Union (l.), spricht mit CDU Präsidiumsmitglied Jens Spahn, nach der Sitzung des CDU-Bundesvorstands; Aufnahme vom 16. Oktober 2017 (picture alliance / Michael Kappeler/dpa)
    Sächsischer Landtag, 19. Oktober. In Sachsen hat gerade die Erde ein wenig gebebt – politisch. Ministerpräsident Stanislaw Tillich hat tags zuvor seinen Rückzug verkündet und erklärt, er wünsche sich seinen langjährigen Generalsekretär Michael Kretschmer als Nachfolger. Nun tritt Kretschmer vor die Presse:
    "Ich habe mir die Entscheidung, dafür ja zu sagen, nicht leicht gemacht. Die Umstände sind nicht einfach, die Herausforderungen sind groß. Es ist auch, wenn man die Geschichte dieses Landes der letzten 27 Jahre anschaut, und sich überlegt, was ist hier alles geworden, wo standen wir, und welche Herausforderungen kommen jetzt. Und kann man diese Sachen noch mal toppen, kann man noch einmal darüber hinausgehen, dann muss man auch mit sehr viel Demut an diese Aufgabe gehen."
    Das Erbe, das Kretschmer übernimmt, hat mehrere Seiten. Einerseits ist die wirtschaftliche Entwicklung Sachsens beträchtlich. Ausgebaute Straßen, schick restaurierte Städte, die Arbeitslosigkeit auf einem Rekordtief. Leipzig und Dresden ziehen gerade junge Menschen an. Auf der anderen Seite stehen niedrige Löhne. Besonders auf dem Land herrscht das Gefühl, abgehängt zu sein. Rassismus und Fremdenfeindlichkeit spalten die sächsische Gesellschaft. Umfragen ergeben ein negatives Zukunftsbild in den Köpfen der Menschen, das sich durch wirtschaftliche Daten nicht decken lässt.
    Kritiker machen dafür auch die CDU verantwortlich, sie habe falsche Erwartungen geweckt und dem Land durch einen rigiden Sparkurs geschadet. Rassismus habe sie jahrelang kleingeredet.
    Die Wahlniederlage und das Abrutschen hinter die AfD haben Ministerpräsident Tillich und seine CDU offenbar völlig überrascht. Kündigte Tillich zunächst in Interviews an, seine Partei weiter nach rechts zu rücken, zieht er am 18. Oktober die Konsequenzen und kündigt seinen Rückzug an.
    "Viele Ereignisse der vergangenen Jahre, kritische Beiträge und intensive Diskussionen um den inneren Zustand im Freistaat Sachsen beschäftigen uns. Beschäftigen mich ganz persönlich sehr. Das hat mich nachdenklich gemacht. Was heißt das für mich? Was wird von mir erwartet?
    Ich bin davon überzeugt: Für eine gute Zukunft Sachsens sind auch neue Antworten wichtig. Es braucht den Mut, gewohnte Bahnen zu verlassen. Wir dürfen nicht im Gestern und Heute gefangen sein. Nach 27 Jahren in aktiver Verantwortung fällt mir das schwer. Ich weiß, dass es dafür frische Kraft braucht und neue Kraft braucht."
    Tonlage, die über Merkel hinausweist
    Bei der Bundestagswahl am 24. September hatte die sächsische CDU, die hier seit 1990 durchgehend den Ministerpräsidenten stellt, eine krachende Niederlage erlitten. Im Vergleich zur Wahl vor vier Jahren ist sie von 42,6 auf 26,9 Prozent abgestürzt. Überholt und knapp geschlagen von der Afd, die auch drei Direktmandate gewonnen hat. An der Rettung der so lange so stolzen Sachsen-CDU will Tillich jedoch nicht mehr mitwirken:
    "Ich habe meine engsten politischen Wegbegleiter darüber informiert, dass ich auf dem Landesparteitag der Sächsischen Union am 9. Dezember nicht mehr für das Amt des Landesvorsitzenden kandidieren werde."
    Kretschmer mit seinen 42 Jahren ist auch von der Opposition als Strippenzieher respektiert. Als Generalsekretär hatte er sich regelmäßig Rechtsaußen positioniert. Zum Beispiel in Papieren zur Leitkultur oder als er Viktor Orban für den Grenzzaum in Ungarn lobte. Sein Bundestagsmandat hat er jedoch an am 24. September an den AfD-Kandidaten Tino Chrupalla im Wahlkreis Görlitz verloren.
    Kretschmer ist einer der Köpfe der jüngeren CDU in den Bundesländern, die eine Post-Merkel-Ära in der Union gestalten sollen – und wollen. Denn auch in den Bundesländern beginnt eine Generation sich zu regen, die Merkel einerseits nicht mehr direkt gefährlich wird – andererseits aber schon die Tonlage sucht und vielleicht auch trifft, die über Angela Merkel hinausweist.
    Wenige Tage nach der Entscheidung stellt sich das Duo Tillich/ Kretschmer der Parteibasis. Amts- und Mandatsträger sind zusammengekommen, um über die Konsequenzen aus der Bundestagswahl zu beraten. Diese Bundestagswahl sei eine Abstimmung über die Flüchtlingspolitik der vergangenen zwei Jahre gewesen, mit der viele Menschen nicht einverstanden seien, analysiert Kretschmer.
    "Ich glaube es wäre richtig gewesen, hier auch von Seiten der Bundespartei, zu erkennen und auch deutlich zu machen: Naja, 2015 haben wir Fehler gemacht, die hätten wir so nicht machen sollen, alleine diese Aussage hätte schon viel geholfen dabei, dass der Druck rausgegangen wäre."
    Dennoch, so Kretschmer, habe diese Wahlniederlage auch eine sächsische Komponente. Die CDU habe Fehler gemacht, zu allererst in der Bildungspolitik.
    Neben Zustimmung für die Parteiführung in Sachsen und im Bund entlädt sich auch Unmut. Vereinzelt wird ein Rücktritt Angela Merkels gefordert. Auch die geplante Amtsübergabe von Stanislaw Tillich zu Michael Kretschmer stößt auf Kritik, etwa beim CDU-Mitglied Stephan Degen aus Nossen. Michael Kretschmer sei ein guter Kandidat, aber es müsse einen Wettbewerb geben um den Posten an der Spitze der sächsischen CDU:
    "Genau dieses Signal, was eben heute, wo ich eigentlich versuche, ein wenig anzukämpfen, dass wir eben doch nochmal demokratisch doch noch mal untereinander suchen, und nicht jemanden schicken, der schon die ganze Zeit eigentlich in meinen Augen als Generalsekretär verantwortlich war, auch für dieses Wahlergebnis. Das hat keiner in die Hand genommen und gesagt: Lieber Michael, bei aller Liebe, Du bist die ganze Zeit auch in diesem Verein mit dabei. Mit entsprechender Verantwortung. Du bist Bundestagsmitglied gewesen. Du hast die Möglichkeiten gehabt."
    Michael Kretschmer, CDU
    Michael Kretschmer vom CDU-Landesverband Sachsen: "Es gibt ein breites Netzwerk hier in Dresden und in Berlin." (imago stock&people)
    Niederwartha an der Elbe, gelegen zwischen Dresden und Meißen. Etwa 60 Menschen, CDU-Mitglieder oder Interessierte, sind gekommen, um Michael Kretschmer zu hören und mit ihm zu sprechen. Im Spiegelsaal der örtlichen Gaststätte bleiben an diesem Abend viele Stühle frei.
    Mehr Lehrer, mehr innere Sicherheit, dazu Kritik an der Energiewende. Routiniert spult Kretschmer, der seit Wochen durch die Ortsvereine tourt, sein Programm ab. Ein mitreißender Redner ist er nicht, seine Gesten wirken bisweilen künstlich, wenn er etwa mit der Faust auf den Tisch schlägt. Die erste Frage aus der Basis betrifft seinen Körperbau: Ob er sich angesichts seiner mageren Statur dieses Amt überhaupt zumuten wolle, fragt ein sichtlich wohlgenährter Mann.
    "Ich bin immer der Jüngste gewesen, bei den meisten Dingen. Und das habe ich immer dafür genutzt, mir anzuschauen, was die Älteren machen. Bei Georg Milbradt, Stanislaw Tillich, in der Bundestagsfaktion. Und ich glaube, dass ich da sehr, sehr viel gelernt habe. Das andere ist, es gibt ein breites Netzwerk hier in Dresden und in Berlin, auf das ich aufbauen kann. Und deswegen glaube ich: Wir haben viele Möglichkeiten, wenn wir sie nutzen wollen und wenn wir wirklich auch voran wollen. Und ich will das."
    "Die Bundeskanzlerin ist der Stabilitätsanker"
    Lehrermangel, Kita-Plätze, Umstrukturierungen in der Lausitz, aber auch Infrastrukturprojekte wie ein Ausbaggern der Elbe – die Themen ziehen weite Kreise an diesem Abend. Kritik an der sächsischen CDU und an Kretschmer selbst bleibt weitgehend aus. Mehrfach wird Kretschmer schon als Ministerpräsident angesprochen.
    Er selbst spricht darüber, wie 2020 neu über Polizeistellen zu entscheiden sein werde – als sei es sicher, dass die CDU auch dann in Sachsen an der Regierung sein wird. Das Scheitern der Jamaika-Sondierung und die Sorge, wie es weitergeht in Berlin, hätten die Diskussion an diesem Abend geprägt, sagt Kretschmer nach der Veranstaltung:
    "Die Bundeskanzlerin ist in dieser schwierigen Situation der Stabilitätsanker. Und ich finde es schon beeindruckend, wie sie auch nach diesen vier Wochen intensiven Verhandelns, Sich-Bemühens um eine Lösung, und dann diese riesige Enttäuschung durch die FDP, jetzt trotzdem den Willen hat, für unser Land etwas zu erreichen."
    Sich hinter die Parteichefin zu stellen, wie es Kretschmer tut, ist im Moment die Regel in der CDU. Die Partei braucht für mögliche Koalitionsverhandlungen eine starke Verhandlungsführerin.
    Unter der Oberfläche der Partei allerdings scheint es zu gären – das zeigt sich bei Veranstaltungen, wie sie Kretschmer in Sachsen besucht hat.
    Keine unwichtige Rolle spielen dabei einige junge Christdemokraten - auch Kretschmer wird zu dieser Gruppe gezählt. Auf seine Arbeit als Ministerpräsident werden deshalb viele von Berlin aus schauen. Es ist eine Generation, die zum Teil nur wenige Jahre jünger ist, als Angela Merkel es war, als sie im Februar 2000 den Parteivorsitz der CDU übernommen hat – sie war damals 45 Jahre alt.
    Der Vorsitzende der Mittelstandsvereinigung der Union, Carsten Linnemann
    Der Vorsitzende der Mittelstandsvereinigung der Union, Carsten Linnemann: "Eine Volkspartei muss sich immer von Mitte nach rechts aufstellen." (picture alliance/dpa - Karlheinz Schindler)
    Dabei fallen vor allem diejenigen auf, die sich als Gegenangebot zur oft als alternativlos beschriebenen CDU-Chefin, Merkel, positionieren, ohne sie direkt anzugreifen. Das tun sie, indem sie den Finger in eine vermeintliche Wunde der Christdemokraten legen:
    "Die CDU ist eine Volkspartei – und eine Volkspartei muss sich immer von Mitte nach rechts aufstellen. Rechts im Sinne von Franz Josef Strauß. Nicht, dass man mich da falsch versteht, aber ich glaube schon, dass wir ein bisschen Federn gelassen haben, gerade im Bereich innere Sicherheit, Rechtsstaatlichkeit. Und da müssen wir auffüllen, da müssen wir wieder PS auf die Straße bringen."
    Sagt Carsten Linnemann. Der 40-jährige ist Chef der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung, kurz MIT, dem einflussreichen Wirtschaftsflügel der Union. Er stellt sich damit auf die Seite derjenigen, die vom Schließen der rechten Flanke sprechen. Aus Sicht mancher in der Union hat sich genau dort die AfD breit gemacht.
    "Angela Merkel hat diesen Pragmatismus perfektioniert"
    Aber dass die CDU gerade wegen der Kanzlerin und ihrer Politik seit Jahren die stärkste Kraft ist, erschwert die Debatte über eine Neuausrichtung.
    "Angela Merkel ist so machtbewusst und aktuell so fest im Sattel, weil sie diesen Pragmatismus so perfektioniert hat. Und dieser Pragmatismus muss natürlich dann andere Positionen programmatisch, inhaltlich gewissermaßen opfern, damit sie den Machterhalt sichern kann."
    Meint Florian Finkbeiner Politikwissenschaftler am Institut für Demokratieforschung an der Universität Göttingen. Potenzielle Nachfolger können sich also nur profilieren, wenn sie sich inhaltlich auf diese geopferten Positionen konzentrieren. So lobt Wirtschaftspolitiker Linnemann zwar die Person Merkel:
    "Meine Partei hat doch jahrelang Erfolg gehabt und heute noch. Angela Merkel hat dieses Land durch diese Finanzkrise geführt, wir stehen heute besser da als viele, viele andere Länder. Das heißt, die Spitzenkandidatin ist ein gutes Argument, sie darf aber nicht das alleinige Argument sein, sondern wir müssen uns auch in der Sache unterscheiden."
    Auch der Vorsitzende der Jungen Union, Paul Ziemiak sagt, wie MIT-Chef Linnemann, die Union müsse der Aufgabe nachkommen, Menschen von der Mitte bis Rechts zu integrieren. Auf die Frage ob Merkel dabei in den vergangenen Jahren etwas versäumt habe, antwortet er aber weder mit ja noch mit nein:
    "Wir hatten eine große Koalition, die sehr, sehr schwierig war, weil die Menschen das Gefühl hatten, dass es weniger Unterschiede zwischen SPD und Union gibt, als sie sich wünschen würden, und da müssen wir wieder hin. Wir brauchen eine Polarisierung in der Mitte."
    Linnemann, Ziemiak – in der Aufzählung von Nachwuchspersonal, dass als Merkel-kritisch wahrgenommen wird, fehlt noch einer: Jens Spahn. Auch er greift die CDU-Vorsitzende nur indirekt an:
    "Und deswegen ist es gut, dass sie Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland bleibt. - Andererseits haben wir fast drei Millionen Wähler verloren. In manchen Wahlkreisen sind wir nahezu implodiert. und ein solches Ergebnis, da kann man nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, da wird man weiter drüber diskutieren müssen, was da passiert ist."
    Sagt Jens Spahn im Oktober beim Deutschlandtag der Jungen Union. Darin verbirgt sich wohl auch ein Seitenhieb auf die Kanzlerin, von der sich nach der Bundestagswahl so mancher eine deutlichere Analyse des Wahlergebnisses erhofft hat.
    Euphorischer Applaus für Jens Spahn bei der Jungen Union
    Hier, bei der Jugendorganisation der Unionsparteien, ist es ein Heimspiel für Spahn. Der Applaus für ihn fällt deutlich euphorischer und länger aus als für die Kanzlerin.
    "Liebe Freundinnen, liebe Freunde, lieber Paul, es tut gut bei der jungen Union zu sein. Jetzt lasst mich erst mal anfangen."
    Der 37-jährige Staatssekretär im Finanzministerium ist im Moment einer der bekanntesten Christdemokraten, der keinen Hehl aus seinen Machtambitionen macht. Spahn ist seit 2002 im Bundestag, auch Kretschmer zog in dem Jahr ins Parlament ein. 2014 setzte er sich gegen parteiinternen Widerstand durch – und wurde mit 34 Jahren ins Präsidium gewählt. Aus diesem Gremium ist immer wieder zu hören, dass er auch kritische Worte findet.
    "Jens Spahn ist ja quasi der große Hoffnungsträger für Konservative in der CDU geworden, als auch für die JU für sich."
    Sagt der Göttinger Politikwissenschaftler Finkbeiner. "Die Konservativen" – das ist allerdings keine homogene Masse. Denn was sich dahinter verbirgt, ist nicht eindeutig definiert.
    "Der Begriff ist sowohl historisch als auch theoretisch ein schillernder Begriff, jeder kann da für sich so selbst hineindefinieren, was ihm daran vermeintlich konservativ gefallen würde."
    Paradoxerweise würde sich auch keiner der jungen CDU-Politiker als konservativ bezeichnen. So sagt Linnemann auf die Frage, wo er sich einordnen würde:
    "Es ist schwierig sich festzulegen. Aber ich glaube: Was viele eint, ist … - gerade auch die jüngeren Politiker, die sind in die Politik gegangen, um Reformen auf den Weg zu bringen."
    Dennoch werden vor allem die, die als Gegenpol zu Merkel gelten, als konservativ bezeichnet. Der Begriff ist zur Projektionsfläche geworden – und eignet sich deshalb zur Profilierung.
    Vor allem ein Themenbereich wird immer wieder als vernachlässigter Markenkern genannt, den auch Wirtschaftspolitiker Linnemann schon hervorgehoben hat: die Innen- und Sicherheitspolitik. Hier ist tatsächlich auch personell Platz geworden. Allein die innenpolitische Gruppe der CDU/CSU-Fraktion braucht neun neue Mitglieder – mehr als die Hälfte. Zu denjenigen, die nicht mehr dabei sind, zählen auch prominente Konservative wie Wolfgang Bosbach.
    Wie sehr die Jungen versuchen sich zu profilieren, bekommt die CDU-Vorsitzende immer wieder zur spüren: Schon 2015 forderte die Junge Union eine Obergrenze – stellte sich damit gegen die Position von Merkel. Selbstbewusst sagt deren Vorsitzender Ziemiak über den Einfluss der Jungen Union:
    "Also ich finde, die Junge Union braucht sich nicht zu verstecken."
    Auf dem CDU-Parteitag 2016 in Essen testen die jungen CDU-Politiker in der direkten Konfrontation mit ihrer Vorsitzenden ihre Grenzen. Allen voran: Spahn, Linnemann, Ziemiak. Gegen den Willen Merkels bringen sie einen Antrag gegen den Doppelpass ein – sie wollen zurück zur alten Regelung, vor der großen Koalition. Und kommen damit durch.
    "Unsere Aufgabe in der Partei und in der Politik ist es Probleme zu lösen"
    Die CDU-Chefin und ihr Innenminister: brüskiert. Zunächst versucht Merkel die Niederlage noch abzufangen. Sie glaube nicht, dass die CDU einen Wahlkampf über den Doppelpass führen sollte, sagt sie zum Ärger der Gegner der doppelten Staatsbürgerschaft direkt nach dem Parteitag. Auf Druck von Teilen der Partei, unter anderem ihrer eigenen Stellvertreter, landet das Thema dann doch im Wahlprogramm, wenn auch mit einem von Innenminister Thomas de Maiziere vorgeschlagenen Kompromiss. Spahn, Linnemann und Ziemiak haben der Partei gezeigt, dass sie sich durchsetzen können.
    "Wir haben auf diesem Parteitag in Essen bewiesen, dass wir das auch ansprechen, was viele Menschen in diesem Land bewegt."
    Sagt Ziemiak. Es gibt allerdings nicht nur Begeisterungsrufe, für den Kurs von Linnemann, Spahn und Ziemiak:
    "Ja, ich glaube nicht, dass es unsere Aufgabe ist, Flanken zu schließen, egal auf welcher Seite, sondern unsere Aufgabe in der Partei und in der Politik ist es Probleme zu lösen."
    Sagt Kai Whittaker. Für den 32-Jährigen beginnt gerade die zweite Legislaturperiode. Beim Parteitag 2016 hat er sich in der Doppelpass-Abstimmung gegen seine jungen Kollegen gestellt. Aus seiner Sicht gibt es hinsichtlich der Ausrichtung der Partei eine falsche Wahrnehmung. Denn die Bevölkerung würde die CDU immer noch als eine Partei rechts der Mitte sehen – im Gegensatz zu den eigenen Mitgliedern:
    "Das liegt daran, dass unsere Mitglieder sich bürgerlicher einschätzen. Wir haben eine Mitgliederstruktur, die männlicher ist, die älter ist und weniger Migrationshintergrund hat als die Durchschnittsbevölkerung. Und das erklärt, warum wir eine Diskrepanz haben zwischen der eigenen Wahrnehmung und der, wie die Menschen uns wahrnehmen."
    Was sie allerdings alle eint, ist der Wunsch, nach einer tieferen inhaltlichen Auseinandersetzung in der CDU. Und sie machen deutlich: An ihrer Generation kommt Angela Merkel nicht mehr vorbei.
    "Ich finde nicht nur die Regierung, sondern auch innerhalb der Fraktion, innerhalb der Partei brauchen wir immer eine Erneuerung. Das muss auch eine Volkspartei wie die Union verstehen und sie versteht es auch."
    Dass es diese Erkenntnis – wie Linnemann sie beschreibt – gibt, sieht auch Whittaker.
    "Jetzt sind wir halt noch nicht in der Situation, dass über Personalfragen entschieden wird. Das wird wenige Wochen nach der Regierungsbildung sein und da wird sich dann zeigen, was von dieser Erkenntnis dann wirklich übrig geblieben ist."
    Die junge Generation steht also in den Startlöchern.
    Noch ist Angela Merkel stark genug, so dass Angriffe und Debatten, wie die um den Doppelpass, sich nicht als Debatten um ihre Person verselbstständigen. Und noch liegt es vor allem an der CDU-Chefin, wie sie einen Übergang einleitet und wen sie an welcher Stelle installiert, so dass sie noch selbst die Zügel in der Hand behält – wie es Stansilaw Tillich in Sachsen gelungen ist. Dafür wird unter anderem ausschlaggebend sein, ob sie es schafft, den Parteinachwuchs auch in einem zukünftigen Kabinett einzubinden.