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Kosmischer Gast

Als am 15. Februar in der Nähe der russischen Ural-Metropole Tscheljabinsk ein Meteorit auf die Erde stürzte, war die Weltöffentlichkeit dabei: zahlreiche Videos standen wenig später im Internet. Das bislang größte Fundstück des Meteoriten wird zurzeit in der Ural-Universität Jekaterinburg untersucht.

Von Andrea Rehmsmeier | 11.06.2013
    Aus dem rußgeschwärzten Gestein löst sich ein Krümel, und fällt herab auf die Tischplatte. Erschrocken legt Viktor Grachovskij den Brocken zurück in seinen gläsernen Schutzbehälter – schließlich handelt es sich um das bislang größte Bruchstück jenes Meteoriten, der Mitte Februar über der Ural-Region in die Erdatmosphäre eintrat und explodierte. Weitere Splitter hat Grachovski vorsichtig auf der Arbeitsfläche ausgelegt. Jahrmillionen ist der Himmelskörper durch den Kosmos gewandert. Hier, auf der Erde - bei atmosphärischem Druck, mit Sauerstoff, Feuchtigkeit und Mikroorganismen - kann man seinem Zerfall zusehen.

    "Dieses Exemplar ist sehr zerbrechlich. Sehen Sie nur die vielen kleinen Bruchstücke, er muss in Tausende Einzelteile zersprungen sein. Vermutlich hat der Meteorit schon im Kosmos durch Zusammenstöße Risse bekommen. Jetzt reicht schon der Druck der Erdatmosphäre, und er zerfällt."

    In dem Labor des Technologischen Instituts der Ural-Universität Jekaterinburg wartet ein riesiges Elektronenmikroskop auf seinen Einsatz. In den kommenden Monaten will Grachovskij die kosmische Materie auf ihre genaue Zusammensetzung untersuchen. Der Physiker gehört zu Russlands renommiertesten Meteoriten-Experten.

    "Das Interessante an diesem Exemplar: Es ist frisch! Ich habe es zehn Tage nach Eintritt in die Erdatmosphäre erhalten. Meine Studenten haben es von einer Expedition mitgebracht. Da hat es noch ganz verbrannt gerochen."

    Das Fundstück hat die Größe eines Kinderkopfes, und wiegt 1,8 Kilogramm. Die gewaltigen Kräfte, die beim Eintritt in die Erdatmosphäre auf ihn einwirkten, haben deutlich sichtbare Spuren hinterlassen: die Oberfläche hat in der Hitze eine rissige Schmelzkruste gebildet, tiefe Schleifspuren erinnern an den rasanten Flug, die Metallpartikel sind zu Rost oxidiert. Metalle, Sulfide, Olivine – jeder Bestandteil eines Meteoriten erzählt seine eigene Geschichte, weiß Grachovskij. An ihnen lässt sich ablesen, wann der Himmelskörper entstanden ist, welchen Temperaturen und welcher Art von Strahlung er ausgesetzt war. Seine Herkunft aus dem Asteroidengürtel wurde bereits rekonstruiert, nun interessiert sich Grachovskij für die enthaltenen Metalle.

    "Im Weltall gibt es weder Sauerstoff noch Bakterien. Daher findet man Metalle in Strukturen, die über Jahrmillionen entstanden sind, und die es in dieser Form auf der Erde nicht gibt. Das macht Meteoriten zu einzigartigen Forschungsobjekten, wenn es darum geht, fundamentale Erkenntnisse über Metalle zu erhalten."

    Der Tscheljabinsk-Meteorit ist ein gewöhnlicher Chondrit der KlasseLL5: ein Steinmeteorit mit niedrigem Metallanteil. Eigentlich ist das ein häufiger Typ. Die ersten Untersuchungen unter dem Elektronenmikroskop aber brachten eine Überraschung. Denn neben der üblichen Nickel-Eisen-Legierung fand Grachovskij ein weiteres Metall, das er in dieser Menge und Reinheit nicht erwartet hatte.

    "Direkt im ersten Muster haben wir recht große Einschlüsse von reinem Kupfer gefunden. Reines Kupfer! So etwas kannten wir bislang noch nicht von Meteoriten. Wenn wir diese Entdeckung erstmal ausgewertet, und der Öffentlichkeit vorgestellt haben, dann könnte das eine kleine Sensation sein."