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Kämpfe in Afghanistan
Meldungen, die es kaum noch in westliche Medien schaffen

Die Lage in Afghanistan wird immer brisanter: Die Zahl der Toten und Verletzten steigt, viele Regionen sind für unabhängige Beobachter nicht mehr zugänglich. Die Lage zu ergründen wird immer schwieriger.

Von Jürgen Webermann |
    Ein uniformierter Soldat mit Maschinengewehr läuft über die Straße, im Hintergrund weitere Soldaten und Militärfahrzeuge.
    Afghanische Soldaten vor der Marshall-Fahim-Militärakademie in Kabul, die von Attentätern angegriffen wurde. (AFP/WAKIL KOHSAR)
    Kabul, im Januar - vier große Zwischenfälle erschüttern die afghanische Hauptstadt. Der bisher schlimmste Anschlag ereignet sich am Wochenende mitten in Kabuls schwer gesichertem Stadtzentrum. Mehr als hundert Menschen sterben, die meisten von ihnen Zivilisten. Eine ganze Stadt befindet sich im Würgegriff des Terrors.
    "Jeden Tag haben wir Angst vor neuen Angriffen. Das Leben hier ist für alle Menschen einfach gefährlich geworden. Es ist nicht mehr sicher in Afghanistan", sagt dieser Mann. Einige Einwohner zeigen Journalisten Zettel, auf die sie ihre wichtigsten Daten geschrieben haben und die sie jetzt immer bei sich tragen - für den Fall, dass auch sie zu Opfern des Krieges werden sollten. Jalal wäre auch fast ein Opfer geworden. Er befand sich am Samstag in der Gegend, in der Taliban-Attentäter einen mit Sprengstoff gefüllten Krankenwagen in die Luft jagten.
    "Schauen Sie sich doch an, was bei uns gerade los ist. Die zuständigen Minister sollten zurücktreten, denn sie haben die Kontrolle über die Lage hier verloren. Was ist denn das für eine Regierung? Sie kann nicht mal die Hauptstadt sichern. Wie sollen wir uns dann noch über die Lage in den Provinzen wundern?"
    Mehr als 20 Terrorgruppen
    Die zuständigen Minister, das sind der Innenminister und der Verteidigungsminister. Sie stehen unter großem Druck. Nach dem Anschlag am Samstag traten sie gemeinsam vor die Presse. Nein, ein Rücktritt komme nicht in Frage, sagten sie. Und nein, es sei derzeit kaum möglich, die Stadt Kabul zu sichern. In Afghanistan seien mehr als 20 Terrorgruppen aktiv, so der Verteidigungsminister Bahrami. Einige der Terrorgruppen hätten Spione im Polizeiapparat und innerhalb der Armee, sagte Innenminister Barmak. Ein Eingeständnis, auf das sein Kollege Bahrami sofort Erfolgsmeldungen folgen ließ.
    "In unseren Operationen gegen die Terrorgruppen haben wir in den vergangenen drei Monaten 1806 Talibankämpfer getötet und 1903 von ihnen verletzt. Wir haben 86 Männer festgenommen. Außerdem haben wir 41 Taliban Kommandeure getötet und neun Kommandeure der Terrorgruppe Islamischer Staat."
    Seriöse Quellen versiegen
    Die Zahlen lassen sich nicht überprüfen, geben aber einen Hinweis darauf, wie erbittert derzeit in vielen Regionen Afghanistans gekämpft wird. Die Lage zu ergründen wird immer schwieriger: Viele Regionen sind für unabhängige Beobachter nicht mehr zugänglich. Und seriöse Quellen versiegen. So hatte der Sonderbeauftragte der US-Regierung, der die Verwendung amerikanischer Hilfsgelder in Afghanistan überprüfen soll, stets auch darüber berichtet, wie viele Distrikte in der Hand der Regierung, wie viele umkämpft und wie viele in der Hand der Taliban sind. Diese Zahlen darf er nach einer Weisung des US-Verteidigungsministeriums nicht mehr liefern. Der Sonderbeauftragte, John Sopko, nennt das in seinem Bericht "verstörend" und weist darauf hin, dass die Extremisten ihren Einflussbereich zuletzt stets vergrößern konnten. Fast die Hälfte des Landes ist demnach umkämpft oder in der Hand der Taliban. Einige Distrikte werden zudem von Gruppen kontrolliert, die dem sogenannten Islamischen Staat die Treue geschworen haben. Ein Trend, auf den auch der renommierte Politikexperte Haroun Mir im Gespräch mit der ARD hingewiesen hatte.
    Der Ort des Anschlags vom 27. Januar in der Hähe des Sidarat-Platzes in Kabul. Mindestens 17 Menschen wurden getötet und 110 verletzt.
    Der Ort des Anschlags vom 27. Januar in der Hähe des Sidarat-Platzes in Kabul. (imago / Xinhua)
    "Schon in den Vororten Kabuls gibt es im Grunde keine Regierungskontrolle mehr. Und schauen Sie sich die Verlustraten der Sicherheitskräfte an. Das ist nicht nachhaltig. "
    Sogenannte sicherheitsrelevante Zwischenfälle
    Die genauen Verlustraten der afghanischen Armee und der Polizei gelten seit einem halben Jahr als Geheimsache. 2016 starben nach offiziellen Angaben rund 7.000 Polizisten und Soldaten, 2017 wurden laut "New York Times" 10.000 afghanische Soldaten und Polizisten getötet und 16.000 verwundet. Die Liste der sogenannten sicherheitsrelevanten Zwischenfälle ist ebenfalls lang. Laut den Vereinten Nationen gab es von Januar bis Mitte November 2017 insgesamt 21.000 Zwischenfälle. 450.000 Menschen mussten im vergangenen Jahr vor den Kämpfen fliehen. Und beinahe täglich gibt es neue, erschütternde Meldungen, die es kaum noch in westliche Medien schaffen. Vier Beispiele: In der Provinz Ghasni starben vor wenigen Tagen sechs Kinder - unklar ist, ob sie von einer Granate der Taliban getroffen wurden oder von Bomben der afghanischen Luftwaffe. Kurz zuvor fuhr bei Herat im Westen des Landes ein Fahrzeug auf eine Mine - acht Menschen wurden getötet. In der Provinz Balkh, in der die Bundeswehr stationiert ist, starben Mitte Januar 18 lokale Polizisten, die Umstände sind nicht geklärt. Und in der Provinz Farah musste der Gouverneur sein Amt nieder legen. Die Taliban belagern dort die Provinzhauptstadt. Afghanistans Präsident Ghani erklärte ganz offen in einem Fernsehinterview, dass seine Armee ohne amerikanische Hilfe nicht lange durchhalten würde - Ghani sprach von sechs Monaten.
    Nachbarstaaten stehen im Verdacht
    Hoffnung auf Frieden gibt es derzeit nicht in Afghanistan. Die US-Luftwaffe fliegt so viele Einsätze wie zuletzt vor sechs Jahren. Nachbarstaaten wie der Iran und Pakistan stehen im Verdacht, die Extremisten zu unterstützen. Auch die russische Regierung deutete an, sie habe Kontakte zu den Taliban. Die Vereinten Nationen schrieben im Dezember, es gebe keinerlei Fortschritte, was mögliche Friedensgespräche angeht. Im Gegenteil: Die Taliban hätten klar gemacht, dass sie weiter militärisch gegen die Regierung und die NATO-Truppen im Land vorgehen wollten. US-Präsident Trump stellte jetzt seinerseits klar, dass auch er voll auf Krieg setzt. Er wolle nicht mit den Taliban reden, so Trump. Die afghanische Regierung beeilte sich, ihm beizustehen. Die Extremisten hätten mit ihrem Anschlag am Wochenende eine rote Linie überschritten, sagte ein Sprecher. Jetzt gehe es darum, die Taliban - so wörtlich - "auf dem Schlachtfeld" zu schlagen.