Sonntag, 28. April 2024

Archiv

Krim-Krise
Schweden überdenkt Verteidigung

Schweden ist kein NATO-Mitglied, und durch jahrelange Budgetkürzungen hat das Land seine Verteidigung auf ein Minimum zusammengespart. Angesichts der Krim-Krise stehen nun sicherheits- und verteidigungspolitische Fragen wieder ganz oben auf der innenpolitischen Tagesordnung. Besonders deutlich ist dies auf der Insel Gotland zu spüren.

Von Randi Häußler | 14.03.2014
    Blick vom Almedalen Park auf die Altstadt von Visby auf der schwedischen Insel Gotland.
    Auch auf der Insel Gotland wächst die Sorge, die Krim-Krise könnte sich auf Schweden auswirken. (picture-alliance / dpa / Kurt Scholz)
    Gotland – Schwedens größte Insel – liegt mitten in der Ostsee. Fast auf halber Strecke zum Baltikum, und nach Russland ist es nicht viel weiter.
    Gotland ist vor allem als Ferienparadies bekannt: Das Klima auf der Ostseeinsel ist ungewöhnlich mild, und Gotlands Natur – endlose Strände, bizarre Kalksteinformationen und viele seltene Pflanzen – locken vor allem im Sommer zahlreiche Touristen auf die Insel.
    Jetzt steht Gotland jedoch aus anderen Gründen im Zentrum der Aufmerksamkeit: Das schwedische Militär hat dorthin vorübergehend zwei Kampfjets verlegt – und das mitten in der Krise um die Ukraine und angesichts der Frage, ob sich ein Konflikt auch auf die baltischen Länder ausweiten könnte.
    Schweden zeigt also militärische Präsenz an seiner Flanke. Göran Martensson, Einsatzkommandeur der schwedischen Streitkräfte, wiegelte jedoch ab:
    "Dass wir auf Gotland Kampfflugzeuge stationieren, ist nichts Dramatisches. Wir haben nun mal die Möglichkeit, unsere Flugzeuge auf verschiedenen Basen im Land zu verteilen, und manchmal ist es eben Gotland, wenn es zum Beispiel vermehrt Militärübungen in der Region gibt."
    Tatsächlich hatte Russland vor einigen Tagen eine Militärübung im Luftraum über der Ostsee abgehalten – das ist nichts Ungewöhnliches, solche Übungen sind gängige Praxis. Vor knapp einem Jahr allerdings flogen russische Bomber ungewöhnlich dicht – nur 40 Kilometer – an den schwedischen Luftraum heran, und zwar nachts. Schweden wurde buchstäblich im Schlaf überrascht, die Abfangjäger blieben in den Hangars. Ganz bewusst habe man das so gemacht, erklärten die Streitkräfte später, weil keine Bedrohung bestand. Die NATO hatte damals allerdings anders entschieden und zwei Militärjets starten lassen.
    Als kurze Zeit später auch noch der Oberbefehlshaber des schwedischen Militärs sagte, Schweden könnte sich im Ernstfall nur eine Woche lang verteidigen, entfachte das eine hitzige Debatte um die schwedische Verteidigungspolitik.
    Angesichts der besorgniserregenden Entwicklung in Europa, flammt die Debatte jetzt wieder auf. Der schwedische Vize-Regierungschef Jan Björklund fordert eine völlige Neuorientierung:
    "Wir brauchen eine neue Verteidigungsdoktrin. Unsere Streitkräfte müssen in der Hauptsache wieder dazu da sein, Schweden zu verteidigen."
    Der Fokus der schwedischen Streitkräfte liegt derzeit nämlich auf internationalen Einsätzen, wie zum Beispiel in Afghanistan. Und zu viel mehr reiche es derzeit auch nicht, bemängelt Björklund.
    "Wir haben das Problem, dass es zu wenige Einheiten sind, und deswegen müssen wir ein System aufbauen, mit dem wir nach Bedarf Reservisten mobilisieren können."
    Schweden spart seit Jahren an der Verteidigung. Seit Anfang des neuen Jahrtausends wurden die Ausgaben des Militärs von zwei auf 1,2 Prozent des Bruttoinlandprodukts zurückgefahren. Außerdem wurde 2010 die Wehrpflicht abgeschafft – die Armee besteht nur noch aus Berufssoldaten. Viele von ihnen hält es dort allerdings nicht, deshalb gibt es nun zu wenige Soldaten.
    Jan Björklund gehört zur liberalen Volkspartei. Sie will Schweden sogar in die NATO bringen. Allerdings ist die Volkspartei nur Juniorpartner in der Regierungskoalition. Der konservative Regierungschef Fredrik Reinfeldt hält sich bedeckt. Schweden hält traditionell viel auf seine Unabhängigkeit, und für einen NATO-Beitritt bräuchte man eine breite Zustimmung quer durch die Parteien. Selbst im Licht der derzeitigen politischen Lage dürfte das schwierig werden.
    Die russische Intervention in der Ukraine könne allerdings die schwedischen Verteidigungsreformen beschleunigen, sagt Fredrik Reinfeldt. Und auch der schwedische Finanzminister hat angedeutet, dass er wieder mehr Geld in die Verteidigung stecken möchte.
    Eine parlamentarische Kommission ist bereits seit einiger Zeit dabei, die Sicherheitslage und den Bedarf der Streitkräfte zu analysieren.
    Ob Gotland dann wieder dauerhaft mit Militär ausgerüstet wird, ist noch nicht abzusehen. Doch so mancher Einwohner der Insel würde ständige militärische Präsenz sicherlich begrüßen – Gotland ist eben im Augenblick nicht wie sonst einfach nur ein Ferienparadies, sondern im Gefühl vieler Schweden auch ein kleiner, verletzlicher Flecken Erde an Schwedens Außenposten.