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Krischer zum VW-Abgasskandal
"Man will hier ein Staatsversagen kleinreden"

Vertuschen, beschönigen, schönreden - das sei alles, was im Verkehrsministerium in Sachen Abgasskandal passiere, kritisiert der stellvertretende Vorsitzende des Abgas-Untersuchungsausschusses, Oliver Krischer von den Grünen. Im Deutschlandfunk sagte er, Minister Dobrindt habe kein Interesse, den Skandal aufzuklären.

Oliver Krischer im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 21.06.2017
    Oliver Krischer (Bündnis 90/Die Grünen) spricht am 26.02.2015 im Bundestag in Berlin im Rahmen der Debatte um die Maut auf deutschen Fernstraßen.
    Oliver Krischer (Bündnis 90/Die Grünen) fordert ein Nachrüstprogramm auf Kosten der Automobilindustrie (picture alliance/dpa - Tim Brakemeier)
    Dirk-Oliver Heckmann: Wie konnte es passieren, dass der VW-Konzern und andere Autohersteller über Jahre hinweg Fahrzeuge mit manipulierten Abgasvorrichtungen auf den Markt bringen konnten? Und haben die Kontrollinstanzen, also das Kraftfahrtbundesamt und das Verkehrsministerium unter Alexander Dobrindt versagt? Der Abgas-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages hatte die Aufgabe, diesen Fragen nachzugehen und Konsequenzen aufzuzeigen. Morgen kommt der Ausschuss zum letzten Mal zusammen und da wird dann auch der Abschlussbericht verabschiedet und zur Veröffentlichung freigegeben.
    Schon jetzt ist aber klar: Die Koalition sieht keine Versäumnisse auf Seiten der Regierung. Nach Bekanntwerden des Skandals habe die Regierung den Sachverhalt unverzüglich aufgeklärt und der Untersuchungsausschuss selbst, der habe keine relevanten neuen Erkenntnisse zu Tage gefördert. - Am Telefon dazu ist jetzt Oliver Krischer von Bündnis 90/Die Grünen, Obmann seiner Partei und stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses. Schönen guten Morgen, Herr Krischer.
    Oliver Krischer: Guten Morgen!
    Heckmann: Herr Krischer, Union und SPD sagen, der Oppositionsvorwurf des Staatsversagens habe sich als PR-Floskel ohne jegliche Grundlage herausgestellt. Sind sie vor allem in einem gut: in guter PR?
    Krischer: Da ist die Große Koalition gut im Verharmlosen. Wir haben es hier mit dem größten Industrieskandal seit Jahren zu tun. Wir haben Millionen betrogene Autofahrer. Wir haben mehr als 10.000 vorzeitige Todesfälle in Deutschland. Wir haben eine Autoindustrie, die vorm größten Strukturwandel steht. Das alles ist durch Dieselgate zwar nicht ausgelöst, aber doch verstärkt worden. Und dass die Koalition das alles jetzt kleinredet und so tut, da gab es kleine Vorkommnisse und Stickoxid ist ja auch gar nicht wirklich gesundheitsgefährlich, das zeigt: Man will hier ein Staatsversagen kleinreden. Man will so tun, als hätte man mit dem Ganzen nichts zu tun. Dabei ist klar: Dieser Skandal ist nur deshalb möglich gewesen, weil Behörden in Deutschland über Jahre systematisch weggeschaut haben.
    Heckmann: Sie sprechen von einem Industrieskandal. Ihr Vorwurf des Staatsversagens, ist der nicht in sich zusammengefallen?
    Krischer: Nein, ganz und gar nicht. Wir haben Behörden, die eigentlich dafür zuständig sind, dass Grenzwerte eingehalten werden. Das ist vor allen Dingen das Verkehrsministerium unter Herrn Dobrindt und das Kraftfahrtbundesamt in Flensburg, große Behörden mit vielen Mitarbeitern, die uns aber erklärt haben, das ist überhaupt nicht ihre Aufgabe. Ihre Aufgabe ist, dafür zu sorgen, dass die Automobilindustrie Genehmigungen bekommt. Und wenn Grenzwerte auf der Straße nicht eingehalten werden, um das 10-, 15-Fache überschritten werden, wenn illegale Abschalteinrichtungen verwendet werden, dann ist es nicht ihre Aufgabe, danach zu schauen.
    Wir müssen ja nur nach Amerika gucken, da geht man ganz anders mit dem Thema um. Da ist der Skandal ja auch aufgedeckt worden. Wir haben auch Frau Nichols, die Leiterin der kalifornischen Umweltbehörde im Ausschuss gehabt, und die hat gezeigt, wie es gehen könnte, wenn man in Deutschland so gehandelt hätte wie in den USA.
    "Ein Problem der gesamten Automobilindustrie"
    Heckmann: Aber, Herr Krischer, bei den Tests haben die Autos dieses Tests ja bestanden. Das ist ja das Phänomen dieser Manipulationssoftware, die eingesetzt wurde. Und alle Zeugen, die Sie vernommen haben im Ausschuss, bis hin zu Angela Merkel, haben sagen können und haben gesagt, sie hätten aus den Medien erst von dem Skandal erfahren, und Sie konnten das Gegenteil nicht beweisen.
    Krischer: Nein, das ist so nicht richtig, weil die Tatsache, dass die Fahrzeuge auf der Straße um ein Vielfaches die Grenzwerte überschreiten, das war innerhalb der Bundesregierung lange bekannt. Dass illegale Abschalteinrichtungen eingesetzt werden, das stand sogar in der EU-Verordnung. Das heißt, es kann eigentlich niemand sagen, er hätte nicht gewusst, dass man hier mal hingucken muss. Darum geht es ja.
    Ich will gar nicht unterstellen, dass es in der Bundesregierung Personen gab, die im Detail wussten, was VW da macht. Aber dass es hier ein riesiges Problem gibt, dass hier gehandelt werden muss, das ist von Seiten der Bundesregierung und der Behörden über Jahre fahrlässig ignoriert worden, und darum geht es ja. Und wir müssen einfach feststellen, es ist kein Problem von VW, es ist ein Problem der gesamten Automobilindustrie, wo Abgasreinigungseinrichtungen teilweise unter 20 oder 17 Grad, das heißt neun Monate im Jahr einfach abgeschaltet werden, und das kann doch nicht sein, wenn ich Grenzwerte habe.
    Heckmann: Ein Versagen lehnt die Koalitionsseite völlig ab, diese Interpretation. Im Gegenteil: Die Bundesregierung habe schnellstmöglich gehandelt.
    Krischer: Als der Skandal dann bekannt geworden ist, im September 2015, hat Herr Dobrindt zwar eine Kommission eingesetzt, aber das fing schon damit an, dass diese Kommission überhaupt keinen Auftrag hatte und irgendwie vor sich hingewerkelt hat.
    Und wir haben seitdem auch festgestellt, diese Kommission, Herr Dobrindt hat überhaupt nichts danach weiter aufgedeckt, sondern das, was wir dann ja fast wöchentlich, fast täglich erleben, dass es immer wieder neue Meldungen gibt von Audi, von Porsche, von Opel, wo immer wieder der Verdacht im Raum steht und teilweise auch bestätigt worden ist, dass hier getrickst und betrogen worden ist, das alles ist nicht von Herrn Dobrindt aufgedeckt worden, sondern es waren wieder amerikanische Behörden, es waren teilweise Medien, es waren Journalisten, und das zeigt eigentlich auch: Herr Dobrindt hat kein wirkliches Aufklärungsinteresse. Das was im Verkehrsministerium passiert, ist eher Vertuschen, Beschönigen, Schönreden. Wir haben bis heute Messungen, die anderthalb Jahre später nicht veröffentlicht werden zum Thema CO2, weil auch da wahrscheinlich der nächste Skandal steckt. Das alles zeigt, dieser Verkehrsminister hat kein Interesse, das wirklich aufzuklären. Er versucht, und das zeigt ja auch der Bericht der Koalition, das Ganze kleinzureden und schönzureden.
    "Man versucht, so weiterzumachen wie bisher"
    Heckmann: Die Aufdeckung des Skandals liegt fast zwei Jahre zurück. Sind denn jetzt die richtigen Konsequenzen wenigstens gezogen worden?
    Krischer: Auch das ist ein Problem. Eigentlich ist gar nichts verändert worden. Das waren mit die Tiefpunkte, die Auftritte von Frau Merkel und Herrn Dobrindt, die uns erklärt haben, es sei doch alles gut, die deutschen Behörden hätten doch wunderbar gehandelt und sie hätten gar kein Verschulden. Deshalb sind auch überhaupt keine Konsequenzen gezogen worden. Herr Dobrindt kündigt jetzt Dopingtests an; kein Mensch weiß, was das ist. Ich habe gehört, es soll zwei mobile Messeinrichtungen für Abgase jetzt geben im Kraftfahrtbundesamt für 40 Millionen Fahrzeuge. Das ist, ehrlich gesagt, ein Witz. Und wirklich strukturelle Konsequenzen, so wie wir es in den USA haben, dass hier Behörden, unabhängige Behörden investigativ bei den Automobilherstellern nach illegalen Praktiken suchen, das ist in Deutschland nicht realisiert. Ich finde, ehrlich gesagt, da ist überhaupt nicht die Lehre aus diesem Skandal gezogen worden. Ganz im Gegenteil: Man versucht, so weiterzumachen wie bisher.
    Heckmann: Ein Mittel gegen die Luftverschmutzung in den Städten sind ja Fahrverbote, jetzt auch für Dieselfahrzeuge gerade aktuell in der Diskussion. Der Verkehrsminister Dobrindt, der lehnt solche Fahrverbote ab und setzt lieber auf schärfere Regeln für die Pkw-Zulassung, die ab Herbst in Kraft treten werden. Ist das nicht in der Tat der sinnvollere Ansatz zu sagen, es müssen einfach sauberere Autos hergestellt und verkauft werden?
    Krischer: Ja, es wäre schön, wenn Herr Dobrindt das mal genau machen würde. Genau das passiert aber ja gerade nicht. Wir haben ab Herbst auf Druck jetzt der EU-Kommission - Deutschland hat da auf der Bremse gestanden - realitätsnähere Tests für dann neu zugelassene Autos, neue Fahrzeugmodelle. Das ist gut und richtig. Das reicht aber bei Weitem nicht aus, weil wir haben ja zig Millionen Fahrzeuge auf der Straße, wo die Käufer im guten Glauben sind, sie haben ein sauberes Auto gekauft, und nun damit konfrontiert sind, weil die Werte in den Städten so hoch sind, dass sie da unter Umständen nicht mehr rein dürfen.
    Die Antwort müsste eigentlich sein von Herrn Dobrindt, dass er sich mit der Automobilindustrie hinsetzt und ein Nachrüstprogramm durchsetzt auf Kosten der Automobilindustrie. Das macht beispielsweise die Landesregierung in Baden-Württemberg, die redet da mit der Autoindustrie. Von Herrn Dobrindt höre ich da überhaupt nichts. Das wäre die richtige Antwort, um Fahrverbote zu umgehen.
    Es kann ja nicht sein, dass das Tricksen und Betrügen der Autoindustrie und das systematische Versagen der Bundesregierung jetzt bei den Kommunen und bei den betroffenen Dieselfahrern abgeladen wird. Es ist schön, wenn Herr Dobrindt für die Zukunft irgendwas ankündigt. Nur seit zwei Jahren macht er in dem Bereich faktisch nichts.
    Heckmann: Der Abgas-Untersuchungsausschuss legt morgen seinen Abschlussbericht vor. Wir haben darüber gesprochen mit dem Obmann im Ausschuss und stellvertretenden Vorsitzenden des Abgas-Untersuchungsausschusses, mit Oliver Krischer von Bündnis 90/Die Grünen. Herr Krischer, danke Ihnen für Ihre Zeit.
    Krischer: Danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.