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Kubanische Online-Revolution
Künstler ermöglicht kostenlosen Internetzugang

Kaum ein Land ist so offline wie Kuba. Zum Teil wird das Netz zensiert, doch für die meisten Kubaner ist online gehen sowieso zu teuer. Für eine Stunde im Internetcafé zahlen sie einen durchschnittlichen Wochenlohn. Der Künstler Kcho wollte das ändern und stellt sein WLAN kostenlos zur Verfügung.

Von Sebastian Erb | 26.05.2015
    Das W-Lan-Zeichen auf einer Hauswand in den Farben der kubanischen Flagge.
    Der kubanische Künstler Kcho bietet in seinem Kulturzentrum kostenloses WLAN an. (Deutschlandradio / Sebastian Erb)
    Das Kulturzentrum "Estudio Romerillo" im Westen von Havanna. Mehrere kastenartige Gebäude sind durch einen Innenhof miteinander verbunden. Ausstellungsräume gibt es hier, ein Theater, eine kleine Bibliothek. Aber die Leute, die hier unter einem Segeldach auf Holzbänken und Korbsesseln sitzen, sind nicht wegen der Kunst gekommen. Sie sind hier, weil es hier WLAN gibt:
    "Ich kommuniziere mit meiner Familie im Ausland, schaue mir Fußballberichte an und Nachrichten. Alles, wozu wir sonst keinen Zugang haben, können wir im Internet anschauen. Es ist etwas Neues für uns Kubaner, es ist der einzige Ort im Land, wo es diese Möglichkeit gibt."
    Yosuan Mendez ist Ende zwanzig, er arbeitet für den staatlichen Gasversorger. Einen Großteil seiner Freizeit verbringt er nun hier mit seinem zerkratzten Smartphone in der Hand. Und wartet stets geduldig, wenn die Verbindung mal wieder hakt.
    Normalerweise ist der Zugang zum Internet in Kuba sehr teuer. In den landesweit rund 150 staatlichen Internetcafés kostet eine Stunde 4,50 Dollar, das entspricht dem durchschnittlichen Lohn einer Woche. Hier im Kulturzentrum ist das WLAN kostenlos, rund um die Uhr. Man muss sich nur mit einem Passwort einloggen, das überall groß angeschrieben steht. "Aquinoserindenadie" heißt es, übersetzt: "Hier ergibt sich niemand" – ein legendärer Spruch der Revolution.
    Die Revolution ist online
    Der Gründer und Betreiber des Kulturzentrums nennt sich Kcho, mit bürgerlichem Namen heißt er Alexis Leiva Machado. Er ist 45 Jahre alt, ein fülliger Mann mit grauem Vollbart. Kcho ist einer der bekanntesten Künstler Kubas. Schon mit Mitte zwanzig hat er seine Installationen im MoMa in New York ausgestellt. Immer wieder taucht das Motiv des Bootes in seinen Werken auf. Boote, mit denen Kubaner von der Insel verschwinden wollen.
    Kcho würde nie fliehen, er stützt das System. Er sitzt im Nationalparlament, das zweimal im Jahr tagt, und als sein Kulturzentrum Anfang 2014 offiziell eröffnet wurde, war Fidel Castro dabei. Es war einer der seltenen Auftritte des Ex-Staatschefs. Er würdigte Kcho als "Genie der Kultur und Bildung".
    Kcho stellte drei Computer in die Bibliothek. Um sechs Uhr früh seien schon Besucher angestanden, um dort online gehen zu können, erzählt er. Da sei ihm die Idee mit dem WLAN gekommen. Laut Tarif kostet ihn die Zwei-Megabit-Leitung etwa 900 Dollar im Monat:
    "Wie viel es kostet, ist unwichtig. Es war jedenfalls teurer, mich auszubilden. Diese Leute hier zu sehen, wie sie im Internet surfen, das ist, wie heißt es in dieser Werbung? Unbezahlbar."
    Kcho will eine Botschaft verbreiten: Die Revolution ist immer noch aktuell, die Revolution ist online. Dass sich sein Projekt gegen die Regierung richten könnte, dass hier ein "kubanischer Frühling" organisiert wird, diese Angst hat er nicht. Und auch die Regierung sieht da offenbar kein Problem:
    "Wir sind in Kuba, wir sind nicht in Nordafrika. Wir Kubaner sind klüger. Die Revolution gibt es hier nicht wegen einer Handvoll Leute. Alle elf Millionen Kubaner stehen dahinter. Das ist die Kraft der Revolution. Die Leute verteidigen sie wie ihre Mutter."
    Kuba und USA wollen Internetzugang auf der Insel verbessern
    Einer der Besucher heute ist Emanuel Perez, ein hagerer Mann Mitte 40. Er ist gerade zum ersten Mal online:
    "Es gibt einfach die Notwendigkeit, sich mit der Welt zu verbinden. Mit dem Internet ist diese ja ein Dorf. Diese Öffnung, über die nun viel gesprochen wird, die beginnt mit Kcho."
    Der regimekritische Journalist Reinaldo Escobar, der nicht bei Kcho ins Netz geht, ist da skeptischer:
    "Ich glaube nicht, dass Kchos Weg der richtige ist. Die kubanische Regierung selbst muss sich verpflichtet fühlen, den Kubanern mehr Zugang zum Internet zur Verfügung zu stellen. Denn die Nation bezahlt einen sehr hohen Preis wegen der Abwesenheit des Internets. Das Geheimnis jeder Diktatur ist ein Informationsmonopol. Wenn Kuba dieses aufgibt, hilft das der Zivilgesellschaft und den Menschen."
    Die Menschen im Kulturzentrum sind froh, dass sie zumindest hier surfen können. Und vielleicht haben sie ja bald mehr Möglichkeiten. Kuba und die USA haben jedenfalls in ihrem historischen Abkommen vom Dezember festgehalten, dass sie den Internetzugang auf der Insel verbessern möchten.