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Landtagswahl in Sachsen
"FDP hat Reputation verloren"

Die FDP müsse dringend den Verfall ihres parteipolitischen Profils aufhalten, will sie in der Zukunft in Deutschland noch eine Rolle spielen, sagte der Politikwissenschaftler Everhard Holtmann im Deutschlandfunk. Die AfD hingegen könne langlebig sein.

Everhard Holtmann im Gespräch mit Matthias von Hellfeld |
    Eine Sachsen-Fahne weht am 18.06.2014 vor dem Sächsischen Landtag in Dresden (Sachsen)
    Das Sterbeglöckchen habe die FDP in ihrer Geschichte schön öfter läuten hören, sagte der Politikwissenschaftler Everhard Holtmann im Deutschlandfunk. Es sei der Partei jedoch immer wieder gelungen , sich aufzurappeln. Diesmal sei aber ein bedenklicher Verfall des parteipolitischen Profils zu beobachten, sagte der Wissenschaftler. Die FDP sei nicht mehr glaubwürdig und ihr Führungspersonal schwach. Bei den Wählern habe sie ihre Reputation verloren.
    Die Alternative für Deutschland (AfD) sei in erster Linie zunächst einmal eine typische Denkzettelpartei, sagte Holtmann. Ihren Zulauf verdanke sie der Modernisierung der CDU, die zum Beispiel in der Vergangenheit ihr Frauen- und Familienbild und ihre Schulpolitik revidiert habe. Die AfD fange diese frustrierten Konservative auf. Setze sich diese Modernisierung fort, könne die AfD durchaus langlebig sein.

    Das komplette Interview zum Nachlesen:
    Matthias von Hellfeld: War das jetzt das endgültige Ende des parteipolitisch organisierten Liberalismus in Deutschland, oder gibt es noch eine Chance?
    Everhard Holtmann: Nun hat die FDP in ihrer bundesdeutschen Geschichte häufiger schon mal das Sterbeglöckchen läuten hören, aber sie hat sich immer wieder berappelt. Wenn man das jetzt einordnet, so ist es auf der einen Seite sicherlich gravierend, dass die FDP mit Sachsen und dem Verlust von Sachsen und der parlamentarischen Präsenz dort auch ihre letzte Regierungsbeteiligung auf der Länderebene verloren hat. Auf der anderen Seite: Sie ist ja nach wie vor in auch nicht unwichtigen Bundesländern im Westen vor allen Dingen vertreten. Da bleibt also durchaus noch etwas Basis für einen Neuanfang. Aber sie muss Wege finden, um den offensichtlichen Zerfall ihres parteipolitischen Profils entsprechend wieder aufzubessern.
    von Hellfeld: Listen Sie mal ein paar Gründe auf, warum das so einen dramatischen Absturz gibt.
    Holtmann: Da gibt es verschiedene Punkte, Indikatoren für diesen Verfall, der in den Umfragen der letzten Monate auch noch einmal sehr deutlich geworden ist. Zum Profil einer Partei gehören ja beispielsweise die Einschätzungen der Bevölkerung, wie glaubwürdig ist die Partei, verfügt sie über ein Programm, hat sie überzeugendes Führungspersonal, ist sie geschlossen. Und in allen diesen Punkten liegt die FDP nicht nur um Längen, wenn man mal die AfD jetzt bisher ausnimmt, hinter allen anderen Parteien, sondern sie hat auch im Vergleich zu dem letzten Jahr zum Teil zweistellige Ansehens- und Reputationsverluste hinnehmen müssen. Und all dieses zusammen erklärt zu einem Gutteil, weshalb sie so abgesackt ist und auch eben nicht wieder in die Gänge kommt.
    von Hellfeld: Ganz anders die AfD. Worin besteht dort das Geheimnis dieses doch sehr erstaunlichen Erfolges?
    Über Everhard Holtmann
    Geboren 1946. Der Politikwissenschaftler studierte bis 1971 Geschichte, Sozialwissenschaften und Publizistik in Münster, Bochum und Wien, promovierte dann 1975 und habilitierte 1986 in Erlangen in den politischen Wissenschaften. Er ist Professor a. D. für Politikwissenschaft an der Universität Halle-Wittenberg und dort Forschungsdirektor am Zentrum für Sozialforschung Halle (ZSH). Seine Forschungsschwerpunkte sind Parteienforschung, lokale Politikforschung, Demokratie- und Partizipationsforschung, historische Politikforschung und die Transformationsforschung.
    Holtmann: Auf der einen Seite – das ist auch schon häufiger gesagt worden – hat die AfD sicherlich in Teilen auch das Profil einer Protestpartei. Das kann man auch daran ablesen, dass wiederum nach den Umfragen ein ganz großer Teil der Wählerinnen und Wähler sagt, ja, wir wollen den übrigen, den sogenannten etablierten Parteien, einen Denkzettel verpassen. Und Denkzettel und Protest, das sind im Grunde genommen zwei Seiten einer Medaille. Wenn man mal die sächsischen Spezifika mit dem Zustand der Bundespartei, der CDU in Zusammenhang bringt, so scheint mir folgendes noch erwähnenswert: Es scheint so zu sein, dass die CDU nicht zufällig übrigens in dem konservativen Sachsen auch die Verluste ihrer eigenen Modernisierung eingefahren hat. Was heißt das? Die CDU hat in den letzten Jahren gesellschaftspolitische und bildungspolitische Positionen, die sie traditionell hatte, revidiert, was das Frauenbild betrifft, was die Familienpolitik betrifft, auch die Schulpolitik. Und da kommt nun die AfD daher, betont ein traditionelles Bild der Familie, fordert Steuererleichterungen für die Familie bis hin zu diesem reichlich bizarren Drei-Kind-Modell, was propagiert worden ist. Und das wirkt sich dann vielleicht doch aus mit einem gewissen Sogeffekt in das konservative Wählerklientel der CDU hinein. Also nicht nur Protest, sondern ein Stück weit auch frustrierte Überzeugungen.
    von Hellfeld: Trotzdem Sie diese Analyse gemacht haben, gibt es viele Politiker in den etablierten Parteien, unter anderem auch den Ministerpräsidenten Tillich, die sagen, die AfD sei ein kurzfristiges Phänomen, vergleichbar mit den Piraten. Stimmen Sie dem zu?
    Holtmann: Da sehe ich schon noch Unterschiede. Zunächst einmal sind die Piraten ja über ganz andere Themen und Zielsetzungen groß geworden, nicht zuletzt auch, was Politik als Verfahren betrifft, was Transparenz betrifft, was Datenschutz betrifft. Alle diese Dinge sind ja bei der AfD im Programmselbstverständnis vernachlässigbar. Dort geht es eher um andere Themen, auch um Reizthemen und auch um Themen, wo sie mit einem Teil der CDU-Klientel durchaus Schnittstellen hat: Sicherheit, Asyl, die sogenannte armutsbedingte Zuwanderung, die es einzudämmen gelte. Thematisch und prozessual sind da doch merkliche Unterschiede zwischen Piraten und AfD. Wo man eine gewisse Gemeinsamkeit sehen kann ist, dass auch die Piraten teilweise ja als eine Art Denkzettelpartei, Protestpartei, auf den genannten Feldern gegen die sogenannten etablierten Parteien angetreten sind, auch deshalb Furore gemacht haben, auch deshalb seinerzeit aus der Schicht der Nichtwähler sich haben bedienen können. Aber ich denke, damit sind die Gemeinsamkeiten schon erschöpft. Und man wird jetzt sehen müssen, was die nächsten Wahlen bringen. Die AfD hat ja bekanntlich gute Chancen, auch in Brandenburg und in Thüringen die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden. Vieles wird auch davon abhängen, ob es ihr gelingt, ihr ursprüngliches Kernthema, Euro-Kritik, Abschaffung des Euro, vor dem Hintergrund eines aktuellen Standes, wie immer der sein mag, der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise neu zu positionieren, noch mal aus diesem Bassin zu schöpfen. Das wird auch wesentlich davon abhänge, wie sich die Europapolitik und der Zustand der Europäischen Union in Zukunft entwickelt. Und nur dann kann man, glaube ich, etwas verlässlich sagen, ob die Partei kurzlebig oder langlebig sein wird.
    Heuer: Der Politologe Everhard Holtmann von der Universität Halle im Gespräch mit meinem Kollegen Matthias von Hellfeld.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.