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Leben im fernen Alaska
Der Geruch von Schuld und Sühne

Vier Menschen, vier Einzelschicksale, katholische Frömmigkeit, Liebessehnsüchte: Bonnie-Sue Hitchcock schildert in ihrem Debütroman "Der Geruch von Häusern anderer Leute" die Geschichten von vier Teenagern, die aus persönlichen Perspektiven von Ereignissen berichten, die ihnen quer durchs Jahr 1970 in Alaska widerfuhren.

Von Siggi Seuss | 23.07.2016
    Ein Manns steht außerhalb von Fairbanks/Alaska am Lagerfeuer und beobachtet das Polarlicht.
    Der Roman führt die Leser nach Fairbanks in Zentralalaska, wo die Menschen in einem ganz anderen Kultur- und Naturkreis leben. (imago/Nature Picture Library)
    Der Geruch von angebranntem Blaubeersaft, von Hirschblut, Wildblumen, alten Leuten und Zedernholz, von Chlorwasser, gebrauchten Möbeln, Thunfischauflauf, feuchtem Schimmel und Schweißfüßen, von Diesel, frischer Minze, alten Kleidungsstücken, von Meerwasser, totem Fisch, Weihrauch und sogar von Schuld und Sühne – all diese Düfte finden sich in diesem Roman Bonnie Sue Hitchcock. Man kann in seinem Kopfkino die Häuser förmlich sehen, die Gerüche riechen, die Stimmungen empfinden. Und das, obwohl sich die Geschichten zigtausend Meilen entfernt und 46 Jahre vor unserer Zeit ereignen – im Debütroman der in Alaska aufgewachsenen und lebenden Autorin.
    Im Original heißt der Roman "The Smell of Other People's Houses" und es ist der Übersetzerin Sonja Finck und dem Lektorat des Carlsen Verlags hoch anzurechnen, dass sie den Satz nicht Pi mal Daumen entpoetisiert haben, sondern eins zu eins ins Deutsche übertrugen: "Der Geruch von Häusern anderer Leute". Es ist nicht so, dass man als Leser in diesem Jugendroman ständig von einem Geruchsort zum nächsten stolpert. Die Gerüche existieren vielmehr wie selbstverständlich in der Geschichte - besser gesagt: In den Geschichten -, in dem Maße, wie sich die Erinnerungen der vier Erzähler öffnen, die aus ihren persönlichen Perspektiven von Ereignissen berichten, die ihnen quer durchs Jahr 1970 widerfuhren.
    Individuelle Poesie der Sprache
    Die Ereignisse führen die Leser nach Fairbanks in Zentralalaska, wo Ruth, Dora und Alyce leben und tausend Meilen südöstlich auf den Fischkutter von Alyces Vater und auf ein Fährschiff, auf dem Hank und seine beiden Brüder als blinde Passagiere von ihrem ungeliebten Zuhause fürchten. Selbst die Kreise der 16-jährigen Mädchen aus Fairbanks scheinen sich nur gelegentlich zu berühren. Man könnte also von einem Roman sprechen, in dem sich Episoden aus dem Leben einzelner Menschen wundersam zu einem größeren Ganzen zusammenfügen: Durch Zufälle, durch das, was man gemeinhin Schicksal nennt, oder – wenn man so will - durch die Zauberhand der Autorin, die ihren Figuren wahrhaftiges Leben einzuhauchen vermag.
    Im Alltagsmilieu. In den Träumen. In den Sichtweisen auf das Geschehen und in der individuellen Poesie der Sprache. Das alles eingebunden in die atemberaubende Landschaft, das raue Meer und die Schrecknisse zivilisierter Orte.
    Das alles findet sich in den Geschichten, die die vier jungen Menschen erzählen. Dieser Kosmos kommt einem auch deshalb nahe, weil die Räume, die Orte und Landschaften für die Leser so fassbar erscheinen wie die Seelenstimmungen der Menschen, selbst wenn wir hier in einem ganz anderen Kultur- und Naturkreis leben. Auf eigentümliche Weise verbinden sich die Schauplätze mit gespeicherten Bildern in unseren Köpfen, ja sogar mit Erinnerungen an eigene sinnliche Erfahrungen von Gerüchen von Häusern anderer Leute und den Geschichten, die wir damit verbinden.
    Bonnie-Sue Hitchcock: "Der Geruch von Häusern anderer Leute"
    Aus dem Englischen von Sonja Finck.
    Königskinder Verlag im Carlsen Verlag, Hamburg 2016,
    320 Seiten, 17,99 Euro, ab 14.