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Leon de Winter: "Geronimo"
Osama erpresst Obama

In Leon de Winters Buch "Geronimo" wurde nicht Osama bin Laden von US-Soldaten erschossen, sondern sein Doppelgänger. Mit einem Daten-Stick will der Terrorist nun Barack Obama erpressen, weil dieser in Wahrheit ein Moslem ist. Diese Episode hinterlässt einen unguten Geschmack, weil sie Trump-Propaganda aufgreift.

Von Ursula März |
    Der niederländische Schriftsteller Leon de Winter bei der Leipziger Buchmesse 2016
    In Leon de Winters Roman "Geronimo" ist Osama bin Laden noch lebendig. (dpa / picture alliance / Jens Kalaene)
    Auch in seinem neuen Roman "Geronimo" ist auf die temperamentvolle Fantasie des Niederländers Verlass. Bereits der Titel dieses Polit-, Agenten- und Actionthriller verspricht einiges: "Geronimo" war bekanntlich der Codename für Osama bin Laden, den die Elitetruppe des CIA in der Nacht vom 2. Mai 2011 ins Lagezentrum des US-Präsidenten Barack Obama durchgab, nachdem sie den Terrorchef von al Qaida im pakistanischen Abbottabad gefunden und getötet hatte. Aber, fragt sich Leon de Winter, war es wirklich so? Werden wir nicht mal wieder belogen und betrogen?
    Ermordung eines Osama-Doppelgängers
    In Gesprächen mit Geheimdienstleuten, so berichtete er in Interviews, sei ihm eine andere Version der Ereignisse vom 2. Mai 2011 zugetragen worden. Tatsächlich wagt er sich mit beeindruckender Furchtlosigkeit an eine fiktive Umschrift der politisch-historischen Realität. In seinem Roman "Geronimo" dringen die Männer vom Seals Team 6 zwar tatsächlich in Osama bin Ladens Geheimversteck ein. Sie töten auch einen Mann. Aber es ist ein Doppelgänger. Den wirklichen Osama bin Laden nehmen sie, entgegen ihrem offiziellen Auftrag, lebend gefangen, um ihn irgendwann vor Gericht stellen zu lassen.
    Um diese Kernidee herum webt der Roman ein weites Netz aus Handlungssträngen, politischen Verflechtungen und Geheimdienstbeziehungen, die in ihrer Gesamtheit kaum wiederzugeben sind. Die Schauplätze sind Pakistan, Afghanistan, London, Israel, USA und Saudi-Arabien, das Hauptensemble besteht aus einem halben Dutzend Figuren, noch einmal so viele treten in Nebenrollen auf.
    Im Zentrum steht der Amerikaner Tom Johnson, Sohn eines jüdisch-russischen Musikerpaares und ehemaliger CIA-Agent. Bei einem Einsatz in Afghanistan im Jahr 2008 nimmt er die dreizehnjährige Apana in seine Obhut, die Tochter seines afghanischen Übersetzers, deren Familie von Taliban-Kämpfern ermordet wurde. Durch ihn entdeckt sie die Liebe zur Musik, vor allem zu Glenn Goulds Goldberg-Variationen; eine Liebe, die ihr zum Verhängnis wird.
    Osama bin Laden als Mensch mit menschlichen Schwächen
    Nach einem Überfall auf den afghanischen US-Stützpunkt hacken ihr Taliban Ohren und Hände ab. Apana kann nach Abbotabad flüchten, findet Hilfe bei einem christlichen Jungen und seiner Mutter, bis sie eines nachts von einem älteren Herrn auf dem Moped entführt wird. Er ist kein anderer als Osama bin Laden höchstpersönlich, den Leon de Winter mit spürbarem Vergnügen als Mensch mit menschlichen Schwächen darstellt. Er benötigt Viagra, um seine drei Ehefrauen bei Laune zu halten, er mag Schokolade und Zigaretten, um selbst bei Laune zu bleiben, und hat ein Herz für die verstümmelte Apana, die er in einer Garage versteckt und mit Essen versorgt, bis er eines Tages, eben am 2. Mai 2011, verschwunden ist.
    Die formale, dem Aufbau der Goldberg-Variationen nachempfundene Romankonstruktion ist einigermaßen ambitioniert. Dies ändert allerdings nichts an der Neigung des Romans zur trivialen Kolportage. Um die verschlungenen Fäden der Handlung einigermaßen zusammenzuhalten, strapaziert Leon de Winter die Dramaturgie des Zufalls auf bisweilen hanebüchene Weise. Wer je einen Agentenroman von John le Carré las, dürfte sich durch eine gewisse Naivität von "Geronimo" gestört fühlen. Noch störender und irritierender ist allerdings eine ideologisch gefärbte Episode, die de Winter, ein erklärter Kritiker Barack Obamas, in die Handlung einführt.
    Obama als heimlicher Moslem
    Die Romanfigur Osama bin Laden ist im Besitz eines Sticks, mit dessen Bildmaterial er Barack Obama erpressen könnte. Denn die Bilder zeigen, dass der US-Präsident in Wahrheit Muslim und sein Christentum Maskerade ist. Über die latente Islamfeindlichkeit dieser Erzählidee könnte man vielleicht noch hinwegsehen. Nicht aber darüber, dass sie eine propagandistische Attacke Donald Trumps aufgreift. Kein anderer als Trump setzte vor geraumer Zeit das Gerücht in die Welt, der US-Präsident sei Muslim. Eine Politfiktion wie "Geronimo" hat selbstverständlich das Recht auf allerlei Freiheiten literarischer Fantasie. Nur gibt es Freiheiten, die beim Leser einen unguten Geschmack hinterlassen, und eben dies ist hier der Fall.
    Leon de Winter: "Geronimo"
    Diogenes Verlag, Zürich 2016. 442 Seiten, 24.- EUR.