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Literaturbranche
Weniger Käufer heißt nicht unbedingt weniger Leser

Die Buchbranche hat seit 2013 über sechs Millionen Käufer verloren. Durch die Sozialen Medien seien viele Menschen ständig online und "abends zu erschöpft" für ein Buch, sagte der Geschäftsführer des Börsenvereins, Alexander Skipis, im Dlf. Dennoch glaubt er: Eine "tiefe Sehnsucht nach dem Buch" bleibt.

Alexander Skipis im Gespräch mit Jan Drees |
    Besucher stehen auf der Buchmesse in Frankfurt am Main (Hessen) vor einem Bücherregal.
    Aktuell kaufen noch knapp 30 Millionen Menschen in Deutschland Bücher (dpa-Bildfunk / Fabian Sommer)
    Jan Drees: Eine Studie des Börsenvereins hat jüngst herausgefunden, dass insbesondere in der Zielgruppe der 20 bis 49-Jährigen immer weniger Bücher verkauft werden, oder in harten Zahlen: 2017 wurden auf dem Publikumsmarkt 367 Millionen Bücher verkauft, 2013 waren es noch 398 Millionen. Heutzutage ist es eher unmodern, ein Bücherregal, geschweige denn eine Privatbibliothek zu besitzen. Aber nicht nur auf der Wirtschaftsseite unseres Betriebs macht man sich Gedanken über die Literatur und ihre Bedeutung für unser Leben, sondern auch auf der Seite jener, die sie produzieren, auf der Seite der Schriftsteller - allerdings unter anderen Voraussetzungen. Ein prominentes Beispiel ist der Schweizer Peter Stamm, dem vor wenigen Wochen der Solothurner Literaturpreis verliehen wurde. In seiner Dankesrede formuliert der erfolgreiche Autor von Bestsellern wie "Agnes" oder "Sieben Jahre" eine Vision, an deren Ende Bücher überflüssig werden - aus intellektuell interessanten Gründen.
    Herr Skipis, in der Rede zum Solothurner Literaturpreis sagt Peter Stamm: "Schreiben ist Nebensache. Lesen ist Nebensache. Die Literatur braucht das Leben mehr als das Leben die Literatur." Das sind starke Worte, denn unser aller Leben würde anders aussehen, wenn es keine Literatur, wenn es keine Vorstellungen von dem, wie Gesellschaft aussehen könnte, gäbe. Braucht die Literatur in der Tat das Leben mehr als das Leben die Literatur?
    Alexander Skipis: Das kann man natürlich auch bestreiten. Peter Stamm ist ja der Existentialist unter den Autoren - und das fußt auf einer Philosophie, die besagt, dass der Mensch das einzige Wesen auf dieser Welt ist, der sich mit dem Nichts beschäftigen kann, weil er negieren kann. Die Position kann man sicher haben, aber wenn man bedenkt, dass das Erzählen - und das ist ja die Grundlage gewesen dessen, warum es überhaupt auch Kodifiziertes, also Bücher, gibt, dass das Erzählen schon eine jahrtausendealte Kulturtradition ist, und ganz offensichtlich ein tiefes menschliches Bedürfnis befriedigt, genauso wie es Bücher tun, dann glaube ich schon eher, dass Literatur und Leben sehr stark miteinander verwoben ist und dass es sich gegenseitig bedingt.
    Tiefe Sehnsucht nach Literatur
    Drees: Die Zahl 6,4 Millionen steht im Raum: In dieser Höhe hat die Zahl der deutschen Buchkäufer abgenommen seit dem Jahr 2013. Das ergab ihre Studie. Diese Zahl ist derart erschreckend, dass ich kurz fragen möchte: Gibt es auch positive Entwicklungen?
    Skipis: Ja, es gibt positive Entwicklungen, und es gibt Hoffnung. Die fußt eben darin, dass wir erstmal bei dieser Studie eruiert haben: Was ist überhaupt los auf dem Buchmarkt. Denn was die Umsätze in unserer Branche angeht, sind die zwar seit dem Jahr 2002 stabil, also von daher gab es erst nochmal keine Anzeichen. Aber viele Verlage haben uns signalisiert, irgendetwas stimmt nicht, die Buchkäufer und die Absatzzahlen gehen zurück. Und das haben wir genau eruiert, das festgestellt, dass wir in der Tat seit dem Jahr 2013 6,4 Millionen Leser verloren haben - es sind jetzt noch knapp 30 Millionen, die Bücher kaufen, immerhin von 60 Millionen der Ab-Zehnjährigen in Deutschland, aber das Entscheidende dabei war: als wir den Ursachen nachgespürt haben und Fokusgruppenbefragungen gemacht haben, dass wir entdeckt haben, dass die Menschen eine tiefe Sehnsucht nach dem Buch haben und immer gute Erlebnisse mit dem Buch haben, aber auf der anderen Seite durch das stressige Leben vor allen Dingen durch die Sozialen Medien, die sie ständig fordern online zu sein und ständig immer reagieren zu müssen, weil sie, wie sie uns selbst sagten, ansonsten von ihren Freundeskreisen ausgeschlossen werden, dieser Stress, den sie haben, der führt dazu, dass sie abends erschöpft sind und dann eben weniger lesen und deshalb auch weniger Bücher kaufen.
    Drees: Es gibt, Herr Skipis, laut der von Ihnen erhobenen Studie weniger Käufer von Büchern – aber ob es auch weniger Leser gibt wissen wir nicht. Ist das richtig?
    Skipis: Ja, es gibt auch Studien dazu, dass die Leserzahl abnimmt. Interessanterweise genau wieder in dieser Altersgruppe, die sie vorhin schon zitierten, nämlich der zwischen 20- und 49-Jährigen, während die Jungen steigend lesend und auch bei den Älteren, also den Ab-50-Jährigen das Lesen immer mehr an Popularität gewinnt.
    Drees: Die Gründe, weshalb es weniger Käufer aber nicht notwendigerweise auch weniger Leser gibt, kann man sich anschauen, und der Büchermarkt hat an dieser Stelle Vermutungen. Es gibt seit vielen Jahren Apps, die für ein paar Euro den kompletten gemeinfreien Kanon der deutschsprachigen Literatur anbieten. Wer diese App hat, braucht nicht unbedingt Ausgaben der Klassiker-Bibliothek oder schnell vergilbende Reclam-Bände. Es ist sehr einfach, Texte selbst der Gegenwartsliteratur in elektronischer Form kostenlos – wenngleich illegal – aus dem Internet zu beziehen. In welcher Weise ist die elektronische Verfügbarkeit von Literatur ein Problem für die Buchbranche?
    Skipis: Grundsätzlich kein Problem, aber da die elektronische Verfügbarkeit auch eine enorme Verbreitbarkeit bedeutet, ist das von Ihnen zitierte kostenlose Lesen natürlich illegal und dagegen gehen wir so gut es geht vor, denn es ist schon eine Situation entstanden, in dem sich die Frage gestellt wird: Der Autor, der für sein Buch arbeitet, der vielleicht jahrelang daran arbeitet und der Verleger, der ihn dabei unterstützt und mit allerlei Maßnahmen wie Lektorat et cetera mit begleitet bei der Entstehung des Buches, das sind ja Menschen, die arbeiten wie Sie und ich - und diese Menschen müssen auch eine entsprechende Entlohnung dafür bekommen. Und jeder, der ein Buch illegal runterlässt, entzieht diese Entlohnung. Das ist im höchsten Maße unfair und natürlich illegal und strafbar.
    Bessere Kopierbarkeit durch Digitalisierung
    Drees: Wir haben bereits in zwei Bereichen gesehen, wie künstlerische Werke ihre Bedeutung verlieren, sobald der Inhalt vom haptischen Träger gelöst wird. Infolge der Digitalisierung von Musik entstanden illegale Download-Anbieter, nach der Allverfügbarkeit von Filmen hatten wir Probleme mit Anbietern wie kinox.to. Eine Vinyl ist schwieriger zu kopieren als ein MP3, eine VHS schwieriger als eine DVD. Ein E-Book kann leicht jedem verfügbar gemacht werden. Wie reagiert die Buchbranche auf dieses Problem?
    Skipis: Also, das ist in der Tat so. Die Digitalisierung führt zur wesentlich besseren Kopierbarkeit und Weiterleitbarkeit als früher, als man noch Kopien gemacht hat oder etwa mit seinem Tonband vorm Radio saß und Musik aufgenommen hat. Das ist jetzt eine ganz andere Situation und wir gehen dagegen vor, unter anderem mit einer Gesellschaft, GVU heißt sie, dass ist die Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen, die sich insbesondere an die großen illegalen Plattformen wendet und sie versucht, eben in Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft zu schließen. Das ist eine mehr oder weniger erfolgreiche Tätigkeit, aber es entstehen immer wieder neue Plattformen, die genau dasselbe Geschäftsmodell haben. Also, es ist ein steter Kampf, den werden wir sicherlich nicht zu hundert Prozent gewinnen, aber wir müssen es so weit eindämmen, dass die Existenzgrundlage für Autoren und Verlage weiterhin gewährleistet ist.
    Drees: Ein weiterer Versuch, die Menschen wieder zum Kauf von Büchern zu bewegen sind vom Börsenverein initiierte Publikumskampagnen. "Vorsicht Buch!" hieß eine dieser Kampagnen, die aktuelle kommt mit dem intellektuell eher schlichten Slogan: "Jetzt ein Buch." Herr Skipis, es klingt beinahe bezeichnend, dass jener Biergarten, der nicht weit entfernt ist von den Frankfurter Schulen des deutschen Buchhandels auch Langnese-Eis verkauft unter dem Langnese-Slogan "Jetzt ein Eis." Können Sie verstehen, dass der Slogan "Jetzt ein Buch" wie eine Cornetto-Werbung wirkt und nicht einmal ansatzweise die Komplexität jener Warengruppe ankratzt, die Sie im Buchhandel neben sauren Drops und Geburtstagskarten ebenfalls anbieten?
    Skipis: Nein, überhaupt nicht. Das ist das Gebot der Stunde. Wir möchten aufmerksam machen mit einem zugegebenermaßen pointierten Spruch, aber das Entscheidende daran ist, dass wir Menschen, die sehr gern lesen und gelesen haben, und die sehr viel von dem Buch halten, und sich geradezu danach sehnen, wieder mit dem Buch zusammenzukommen, denen wollen wir sozusagen damit eine kleine symbolische Hilfestellung geben und es erschöpft sich natürlich nicht in diesen Slogans, sondern in allerlei Maßnahmen, mit denen wir versuchen, aufmerksam zu machen auf das Buch.
    "Bücher haben immer noch eine hohe Aktualität"
    Drees: Wieviele Bücher haben Sie eigentlich daheim, lieber Herr Skipis?
    Skipis: Viel zu viele.
    Drees: Bei mir sind es zirka 8000 - und dennoch: Peter Stamm würde am liebsten ohne Bücher leben, öffentliche und auch Privatbibliotheken werden seltener. Haben Sie und ich den Anschluss an die Wirklichkeit verpasst?
    Skipis: Nein, das glaube ich überhaupt nicht. ich glaube, dass Bücher nach wie vor eine hohe Aktualität haben und auch Peter Stamm schreibt Bücher, denn Bücher sind nun einmal offensichtlich das passende Gegenstück zu einem tiefen Bedürfnis der Menschen, und alle wesentlichen Themen unseres Lebens und alle wesentlichen Themen in der politischen Entwicklungen - und welchen Entwicklungen auch immer, stehen in Büchern und werden in Büchern vorgeschrieben. Und das ist genau der Punkt, der mich nicht nur hoffnungsfroh, sondern völlig überzeugt davon, dass das Buch eine große Zukunft hat, weil es eine zuverlässige Information ist mit einer lang anhaltenden Bearbeitung eines Themas. Und das ist etwas, was die Menschen suchen und wollen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.