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Literaturfestival Berlin
Was Tod und Bomben aus Menschen machen

Wie politisch Literatur sein kann, erfuhr man beim diesjährigen Internationalen Literaturfestivals Berlin gleich mehrfach: Romane über afrikanische Bootsflüchtlinge, Gesprächsrunden mit Autoren aus Russland und der Ukraine. Autoren-Dialoge über den Begriff des Vertrauens in Weltgegenden, in denen Menschen unter Armut, politischer Verfolgung oder Krieg leiden gingen unter die Haut.

Von Cornelius Wüllenkemper | 20.09.2014
    Der indische Schriftsteller Pankaj Mishra, Preisträger des Leipziger Buchpreises zur Europäischen Verständigung während des Festakts anlässlich der Eröffnung der Leipziger Buchmesse 2014 im Gewandhaus.
    Denker und Autoren aus dem indisch-asiatischen Raum seien im Abendland unterschätzt, kritisierte der indische Essayist, Literaturkritiker und Schriftsteller Pankaj Mishra in Berlin. (Leipziger Buchmesse)
    Weit über 100 Autoren, von Neuseeland bis Island, von Thailand bis Syrien, in unzähligen Sprachen, Stilen und Formen - es konnte einem fast schwindelig werden beim Blick ins Programm des diesjährigen Internationalen Literaturfestivals Berlin. Allein der Auftakt: Nach dem umfangreichen Vorprogramm mit Judith Hermanns erstem Roman und einer weltweiten Lesung für Edward Snowden kam es dann zur eigentlichen Eröffnung des Festivals.
    Europa und die neue Weltordnung
    Der indische Essayist, Literaturkritiker und Schriftsteller Pankaj Mishra hielt in seiner Rede über "Europa und die neue Weltordnung" dem Westen leider recht holzschnittartig vor, in Sachen Nationalstaat und Wirtschaftssystem längst kein Vorbild mehr für die Welt zu sein. Denker und Autoren aus dem indisch-asiatischen Raum seien zudem im Abendland unterschätzt, kritisierte Mishra. Der Gegenbeweis folgte auf dem Fuße, als die indisch-stämmige Erfolgsautorin Jhumpa Lahiri ihren neuen Roman vorstellte. In „Das Tiefland" erzählt sie, wie unterschiedlich zwei Brüder aus einem indischen Armenviertel mit Armut, Gewalt und politischem Terror umgehen. Damit nicht genug: Am gleichen Abend konnte man im Haus der Berliner Festspiele auch noch Erhellendes erfahren über "Computerspiele, Bücher und andere Wege ins Irrenhaus".
    "Wenn ich ein Spiel konzipiere, dann geht es nicht nur um die Story. Im Zweifel geht es sogar fast gar nicht um die Story, sie liegt sehr weit im Hintergrund, weil das Spiel, das Game-Play überwiegt. Und deswegen geht man nicht grundsätzlich so vor, dass man sagt, ich hab jetzt hier eine Geschichte und daraus mache ich jetzt 1:1 ein Spiel, sondern die Autoren arbeiten gemeinsam mit den Game-Designern, mit den Entwicklern die Geschichte so aus, dass alles zusammenpasst. Es gibt einen Aspekt, der das Computer-Spiel ganz eindeutig zu einem neuen Medium macht, das sich von anderen abgrenzt, nämlich die Interaktivität, das Verändern des Contents."
    Sagte Deutschlands erste Professorin für Game-Design Linda Breitlauch über den Zusammenhang zwischen Literatur und Computerspielen. Dass die grenzenlosen Fantasiewelten der Literatur bisher nur sehr abgespeckt auf dem Bildschirm erscheinen, liege an den technischen und finanziellen Grenzen der virtuellen Welt. Das „Game" müsse bekannte Erzählkonventionen erst noch aufbrechen, um sich als neues Medium von Geschichten etablieren zu können.
    Politische Literatur voller Leiden
    Wie politisch Literatur wirken kann erfuhr man beim Festival gleich mehrfach: Romane über afrikanische Bootsflüchtlinge, Gesprächsrunden mit Autoren aus Russland und der Ukraine, Autoren-Dialoge über den Begriff des Vertrauens in Weltgegenden, in denen Menschen unter Armut, politischer Verfolgung oder Krieg leiden. Die syrische Lyrikerin Hala Mohammad erklärte in einer der "Poetry-Nights" des Festivals, was sie zum Schreiben bringt:
    "Dieser kleine Schritt, den Familien von ihrem Heimatland in ein Niemandsland tun, dieser Schritt war für mich voller Vorstellungen und auch voller Poesie. Aus diesem Leiden heraus habe ich meine Gedichte geschrieben. Es sind fast dokumentarische Gedichte, denn ich hatte nicht den Luxus, eine Distanz zwischen mein Schreiben und der Realität aufzubauen. Der Tod passiert bei uns jede Minute und jede Sekunde."
    Gedichte über Tod und Bomben
    Mohammads Gedichte darüber, was Tod und Bomben aus Menschen machen, über das Schweigen der Flüchtlinge und ihr eigenes zerbombtes Haus, gehörte mit zum Eindringlichsten, was das ausufernde Programm des Festivals zu bieten hatte. Die Welt der Literatur passt in kein Festivalprogramm. Von dieser beruhigenden Grenzenlosigkeit vermittelte das Internationale Literaturfestival Berlin einen überwältigenden Eindruck.