Samstag, 27. April 2024

Archiv

Lokführer-Streik
"Es ist Schluss mit Pokerface"

Der Vorsitzende der Lokführer-Gewerkschaft GDL, Claus Weselsky, hat die erneuten Bahnstreiks verteidigt. "Wir streiken nicht gegen die Bahnkunden", sagte er im DLF. Die Bahn habe die Streiks selbst provoziert, da sie in den Verhandlungen unbeweglich geblieben sei.

Claus Weselsky im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 21.04.2015
    Der Vorsitzende der Lokführergewerkschaft GDL, Claus Weselsky, am 05.11.2014 auf einer Pressekonferenz zum Streik der Lokführer.
    Der Vorsitzende der Lokführergewerkschaft GDL, Claus Weselsky (imago / CommonLens)
    Er sei "erschüttert" über die Verantwortungslosigkeit des Bahnmanagements. Wenn der Bahnsprecher behauptet, man habe kurz vor einem Abschluss gestanden, "fabuliere" er, so Weselsky: "Wo ist das Papier und wo ist die Unterschrift?" Die Bahn habe eben kein schriftliches Zwischenergebnis vereinbaren wollen. Die Lokführer würden durch dieses Verhalten zum Streik gezwungen.
    Die Streiks hätten weder mit der Ausdehnung des Machtbereichs der Gewerkschaft noch mit der Eitelkeit Weselskys zu tun. Die GDL nutze lediglich ein grundgesetzlich verbrieftes Recht. "Für meine Eitelkeit gehen an einem Tag keine 3.000 Mitglieder in den Streik."
    Die Kritik des DGB-Vorsitzenden Reiner Hoffmann wies er zurück. Der DGB habe das Tarifeinheitsgesetz mit auf den Weg gebracht, das auf die Existenzvernichtung der kleinen Gewerkschaft abziele. "Wenn wir uns wehren, da sage ich ganz offen, da interessiert mich auch nicht, was Herr Hoffmann von sich gibt."

    Das Interview in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: Es könnte ab heute wieder chaotisch werden für Bahnfahrer in Deutschland. Die Gewerkschaft der Lokführer (GDL) hat erneute Streiks angekündigt, und zwar ab morgen Früh bis Donnerstagabend im Personenverkehr. Der Ausstand im Güterverkehr, der beginnt schon heute. Am Telefon ist jetzt der Vorsitzende der GDL, Claus Weselsky. Schönen guten Morgen.
    Claus Weselsky: Guten Morgen, Herr Armbrüster.
    Armbrüster: Herr Weselsky, denken Sie zumindest gelegentlich noch an die Bahnfahrer in Deutschland?
    Weselsky: Sehr oft, Herr Armbrüster, und ich bin eigentlich ein Stück weit erschüttert über die Verantwortungslosigkeit des Bahnmanagements. Wenn man Ihren Einspieler betrachtet und hört, wie der Sprecher der Bahn davon fabuliert, dass wir kurz vor der Unterschrift standen, dann muss man eine einzige Frage formulieren: Es ist Schluss mit Pokerface. Wo ist das Papier und wo ist die Unterschrift? - Die GDL steigt nicht aus, weil die Lokführer der DB gerne streiken, sondern die GDL hat die Verhandlungen wieder für gescheitert erklären müssen, weil die Bahn eben gerade kein schriftlich fixiertes Zwischenergebnis mit uns vereinbaren wollte. Sie hat sich geweigert und jetzt tut sie wieder so, als hätten wir schon alles geregelt. Das zieht sich wie ein roter Faden seit Monaten durch diesen Tarifkonflikt.
    Armbrüster: Und das müssen jetzt wieder Tausende oder Zehntausende von Pendlern in Deutschland austragen?
    Weselsky: Wissen Sie, wir sind nun mal im Eisenbahn-Verkehrssystem, und wenn die Lokführer und die Zugbegleiter zum Streik gezwungen werden durch das Management der DB, dann sind die Leidtragenden die Fahrgäste. Wir haben vor Kurzem erlebt, wie bei der Bilanzpressekonferenz die DB herumgejammert hat: Rund 200 Millionen Schaden ist entstanden. Jeder Tag, wo wir einen Streik ankündigen, kostet fünf Millionen, weil die Gäste Alternativen suchen und umbuchen. All das weiß das Management und trotzdem stellt man in diesem Land viel zu wenig die Frage, mit welcher Verantwortungslosigkeit geht ein Management der Deutschen Bahn AG? Wo ist der Vorstandsvorsitzende Grube? Der schaut den ganzen Dingen tatenlos zu, meldet sich ab und zu mal, aber hält sich hinten im Gebüsch. Was ist denn hier eigentlich los in diesem staatseigenen Unternehmen?
    "Ich verhandele nicht für alle Lokführer"
    Armbrüster: Herr Weselsky, Sie möchten vor allem den Einflussbereich Ihrer Gewerkschaft ausdehnen und mitverhandeln auch für andere Berufsgruppen, die bisher nicht zur GDL gehört haben. Für dieses Ziel richten Sie wieder für zwei Tage Chaos an im deutschen Bahnverkehr. Ist das für Sie denn verantwortungsvoller Umgang mit gewerkschaftlicher Macht?
    Weselsky: Herr Armbrüster, das ist die Mär des vorigen Jahres, die die Deutsche Bahn in die Welt gesetzt hat. Wir verhandeln für unsere Mitglieder. Das ist ein grundgesetzlich verbrieftes Recht, dass jeder sich frei entscheiden kann, in welche Gewerkschaft er geht, und daraus resultierend hat auch das Bundesarbeitsgericht 2010 entschieden, dass Tarifpluralität herrscht, weil wir für unsere Mitglieder - ich verhandele nicht für alle Lokführer und nicht für alle Zugbegleiter, sondern exakt für die, die sich entschieden haben, in unserer Gewerkschaft zu sein, und das ist per se nichts Schlechtes. Die Bahn hat einfach die Realitäten anzuerkennen, die in diesem Land herrschen. Es gibt zahlreiche Eisenbahn-Verkehrsunternehmen, in denen auch Tarifpluralität herrscht, also wir Tarifverträge haben und andere, und das hat überhaupt nichts mit Machtbereich ausdehnen zu tun, sondern das ist ein grundgesetzlich geschütztes Recht, das wir wahrnehmen.
    Armbrüster: Viele Leute sagen aber auch, es geht hier eigentlich nur um Eitelkeiten eines Gewerkschafters, und vor allen Dingen über das Zwischenmenschliche, das offenbar nicht funktioniert, zwischen Ihnen und Ihrem Gegenpart bei der anderen großen Eisenbahnergewerkschaft, bei der EVG.
    Weselsky: Herr Armbrüster, das ist auch schön, das zu hören. Ich sage da nur eins drauf: Für meine Eitelkeit, dass ich ins Fernsehen oder ins Radio komme, gehen nicht an einem Tage 3.000 Mitglieder in den Streik und setzen sich diesem Stress aus, und wenn wir drei Tage hintereinander im Streik sind, werden das bis zu 9.000 Mitglieder. Das müssen Sie sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Niemand auf der Welt kann seine eigenen Mitglieder so benebeln, dass die sich Repressalien auf Arbeitgeberseite aussetzen. Die kämpfen für bessere Arbeitszeiten, die kämpfen für bessere Schichtrhythmen, die sind unterwegs, weil sie vom Management missachtet werden und weil sie täglich überlastet sind draußen.
    Armbrüster: Und das ist es wirklich wert, dass Sie monatelang immer mal wieder den öffentlichen Personenverkehr in Deutschland lahmlegen?
    Weselsky: Genau das ist der entscheidende Punkt, das letzte Mittel, was wir besitzen, wenn ein Arbeitgeber wie dieses Management der Deutschen Bahn AG sich nicht bewegt, sich nicht bewegen will und immer wieder versucht, den Menschen Sand in die Augen zu streuen und irgendeine Mär zu erzählen, die in Wahrheit nichts taugt. Deswegen hat die Arbeitnehmerschaft in diesem Land über Jahrzehnte erkämpft als Arbeitnehmerrechte das letzte Mittel, nämlich den Arbeitskampf, und wir ziehen das nur, wenn wir auf dem Verhandlungswege nicht weiterkommen.
    "Wir müssen uns über Tarifverträge schützen"
    Armbrüster: Aber funktioniert so ein Arbeitskampf nicht auch nur wirklich dann, wenn er auch von der Bevölkerung, von den sozusagen Leidtragenden in irgendeiner Form noch verstanden wird?
    Weselsky: Ich musste im letzten Jahr am eigenen Leib verspüren, was es heißt, wenn sich eine bestimmte Medienschicht auf den Weg macht, um eine Person anzugreifen, weil die Sachargumente nicht mehr funktionieren. Ich bin mittlerweile an der einen oder anderen Stelle rehabilitiert worden, weil die Medienvertreter zu weit gegangen sind. Ich möchte an der Stelle klar und deutlich zum Ausdruck bringen: Das was die Politiker heute so unter vorgehaltener Hand oder auch offen in den Raum stellen, nämlich Daseinsvorsorge, das haben sie vor mehr als 20 Jahren entschieden. Die Privatisierung der Bahn war klar, hat nichts mehr mit Daseinsvorsorge zu tun. 20 Jahre danach versuchen die Damen und Herren, das vergessen zu machen, und tun so, als hätte hier jeder das Recht auf Eisenbahnverkehr, und zwar uneingeschränkt. Damals waren Lokführer Beamte, heute sind es Tarifkräfte. Wir müssen uns an der Stelle über Tarifverträge schützen, und das ist eine Veränderung der rechtlichen Situation, die die Politik herbeigeführt hat. Die kann sich jetzt hier nicht rausziehen unter der Überschrift "wir wünschen aber, dass die Bahn jeden Tag fährt. Wir wünschen aber auch, dass die Flieger jeden Tag fliegen." So funktioniert das Leben nicht. Jeder ist für das verantwortlich, was er tut.
    Armbrüster: Ich meine, Herr Weselsky, man wünscht sich irgendwie, dass sich die Konfliktparteien verantwortungsvoll mit ihrer Macht bewegen und nicht über Monate so einen Konflikt austragen und immer wieder dafür sorgen, dass Zehntausende Bahnfahrer am Bahnsteig stehen und morgens nicht wissen, wie sie zur Arbeit kommen.
    Weselsky: Das ist der beste Satz, den Sie gesagt haben. Ich wünsche mir, dass Sie das klar und deutlich auch im Namen der Fahrgäste, der Kunden der Deutschen Bahn dem Management der Deutschen Bahn und allen voran dem Vorstandsvorsitzenden Dr. Grube mitteilen.
    Armbrüster: Aber erst mal wollen Sie, dass es auch den Bahnfahrern so ein bisschen weh tut, damit man den Druck auch spürt in Deutschland?
    Weselsky: Wenn wir streiken, streiken wir nicht gegen die Bahnkunden, sondern wir streiken gegen den Arbeitgeber. Wir fügen ihm wirtschaftlichen Schaden zu. Das beklagt er mit Krokodilstränen, aber ist selber die Ursache für den Zustand.
    "Sie wollen Stillstand"
    Armbrüster: Den wirtschaftlichen Schaden führen Sie auch Unternehmen zu in Deutschland, die gar nichts mit der Bahn zu tun haben, die aber ihre Produkte und ihre Zulieferung über die Bahn geliefert bekommen. Wir haben das heute schon gehört, dass da einige Wirtschaftsvertreter mit deutlichen Einbußen rechnen. Zählt das auch mit zu Ihrem Kalkül?
    Weselsky: Es zählt zum Streikrecht, dass auch nebenher Schäden entstehen, wirtschaftliche Schäden, und es ist in der Verantwortung des Managements der Deutschen Bahn. Die haben doch den Streit und den Streik provoziert. Ich hätte im Jahr 2014 mit meinen Kolleginnen und Kollegen gar nichts unternehmen müssen, wenn sie anerkannt hätten, dass wir das Recht haben, für unsere Mitglieder Tarifverträge abzuschließen. Wir hätten auch jetzt den siebten Streik in einer langen Tarifauseinandersetzung nicht, wenn das Management nicht einfach Unsinn erzählen würde, wenn das Management sich nicht hinstellen würde und sagt, wir sind kurz vor der Unterschrift. Es ist ja geradezu so, als ob die Lokführer nichts lieber tun als streiken. Sie werden gezwungen, in die Auseinandersetzung zu gehen, weil das Management eben keine Lösung auf den Tisch bringt, und die Kompromisse, die wir vorgeschlagen haben, ihm nicht ausreichend genug sind. Sie wollen einfach Stillstand, sie wollen nichts vereinbaren, sie wollen die Tarifverträge, die sie heute haben, und gegen die wenden sich unsere Mitglieder.
    Armbrüster: Jetzt kriegen Sie aber auch Gegenwind von weiterer Arbeitnehmerseite, nämlich aus dem DGB. Der DGB-Chef Reiner Hoffmann hat gesagt, er verstehe nicht, warum Sie die Verhandlungen schon wieder für gescheitert erklärt haben. Das ist ja nicht nur die Bahn, sondern auch Leute, die auf Ihrer eigenen Seite stehen. Sollten die das auch nicht ganz mitkriegen?
    Weselsky: Ursache und Wirkung, Herr Armbrüster. Jeder Mensch ist für das verantwortlich, was er tut. Der DGB war es als Gewerkschaften, der gemeinsam mit den Arbeitgebern der BDA einen Gesetzesentwurf auf den Weg gebracht hat mit Namen Tarifeinheitsgesetz. Die Bundesregierung setzt das jetzt um. Es war eine Einladung an Arbeitgeber, keine Tarifverträge mehr mit Berufsgewerkschaften abzuschließen. Es war eine Einladung an die Einheitsgewerkschaften, an die Großgewerkschaften, die kleinen zu ignorieren und auf deren Existenzvernichtung hinzuarbeiten. Wir sind das Pilotprojekt. Und wenn wir uns wehren, dann sage ich mal ganz offen, dann interessiert mich auch nicht, was Herr Hoffmann von sich gibt, denn er hat den Stein ins Wasser geworfen und die Welle gemacht.
    Armbrüster: Claus Weselsky, der Chef der Gewerkschaft der Lokomotivführer, heute Morgen live hier bei uns im Deutschlandfunk. Vielen Dank, Herr Weselsky, für das Interview.
    Weselsky: Ich danke Ihnen auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.