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London
Jugendstiftung sieht "bösartige Verleumdungskampagne"

Mitte der 1990er-Jahre hat die Kinderpsychologin Camila Batmanghelidjh in Südlondon eine Jugendstiftung ins Leben gerufen, die sich im Laufe der Zeit zu einem Großunternehmen entwickelt hat. Die "Kids Company" kümmert sich mittlerweile um zehntausende vernachlässigte Kinder und Jugendliche. Jetzt soll die Stiftung wegen Geldmangels geschlossen werden. Die Meldung sorgt in Großbritannien für Schlagzeilen, hitzige Kontroversen – und unbequeme Fragen.

von Ruth Rach | 12.08.2015
    Die Kinderpsychologin Camila Batmanghelidjh bei der Verleihung der "Harper's Bazaar Women Of the Year Awards" im Jahr 2008
    Stiftungsgründerin Batmanghelidjh bei den "Harper's Bazaar Women Of the Year Awards" im Jahr 2008 (UPPA/Photoshot)
    "Wir haben unsere Familie verloren,Kids Company war unsere Zuhause", rufen Dutzende von Kindern vor dem Jugendzentrum in Camberwell, im Süden Londons. Dicke Ketten verriegeln die Eingangstür.
    "Diese Schließung ist ein Skandal", sagt eine ehemalige Mitarbeiterin. Die Regierung werde es niemals schaffen, sich um all diejenigen zu kümmern, die jetzt ohne Versorgung seien. Nach Angaben der „Kids Company" seien rund 30.000 bedürftige Kinder, Jugendliche und Familien betroffen.
    Die "Kids Company" wurde im Jahr 1996 in Camberwell von der Kinderpsychologin Camila Batmanghelidjh gegründet. Das Projekt begann als soziale Anlaufstelle für die Zeit nach der Schule und wurde bald zum Ganztagstreff für Straßenkids: vorbestraft, gewalttätig, von der Schule ausgeschlossen, und so schwierig, dass sie von der Gesellschaft längst aufgegeben wurden.
    "Diese Kinder haben derart viel Gewalt in ihrem Leben erfahren, dass konventionelle Drohungen und Strafen abprallen", glaubt Camila Batmanghelidjh.
    Nur eines überrascht diese Kinder: wenn jemand etwas Gutes in ihnen sieht
    Die "Kids Company" beschäftigte Lehrer, Psychologen, Sozialarbeiter, bot geregelte Mahlzeiten an, Therapien, Kurse, und vor allen Dingen praktische Hilfe: Wie finde ich eine Unterkunft, wie einen Arzt? Viele der Kinder waren obdachlos, gehörten Banden an, klauten, dealten, trugen Waffen. Diese Kinder kämpfen ums nackte Überleben, erklärte Camila. Man müsse sie nähren und lieben wie sein eigenes Fleisch und Blut. Erst dann könnten sie aufblühen. Heute sagen hunderte von Menschen, "Kids Company" hätte ihnen das Leben gerettet.
    Vielleicht wurde die "Kids Company" Opfer ihres eigenen Erfolges. Die Stiftung, die aus Regierungsgeldern und privaten Spenden finanziert wurde, erhielt allein 2013 Spenden in Höhe von über 23 Millionen Pfund. Und gab fast jeden Penny wieder aus. Denn kein Kind wurde abgewiesen. Und immer mehr klopften an die Tür.
    "Eine bösartige Verleumdungskampagne"
    Unterdessen begannen Regierungsbeamte die Buchführung zu kritisieren, es sei nicht klar, wohin die öffentlichen Mittel eigentlich flossen. Letzte Woche drehten sie den Geldhahn zu. Gleichzeitig wurden Vorwürfe über mögliche Fälle von Kindesmissbrauch laut. In derselben Boulevardpresse, die Camila Batmanghelidjh jahrelang verherrlicht hatte, erschienen plötzlich Artikel über ihre – Zitat - hypnotisierende Ausstrahlung.
    Eine bösartige Verleumdungskampagne, erklärte Camila Batmaghelidjh. Es sei unmöglich, weitere Spenden zu mobilisieren, solange die Vorwürfe nicht aus der Welt geräumt seien. Sie habe keine Wahl, als die "Kids Company" zu schließen.
    Unbequeme Fragen
    Schon seit viktorianischen Zeiten verfügt kaum ein anderes Land über so viele private Stiftungen wie Großbritannien. Premierminister Cameron lässt ihnen gerne Steuergelder zufließen, das passt gut in sein Konzept der "Big Society", demzufolge sich private Stiftungen bestens eignen, staatlichen Hilfsdiensten die Arbeit abzunehmen. Aber der Fall der Kids Company wirft unbequeme Fragen auf. Wer kontrolliert eigentlich, was die privaten Stiftungen mit den staatlichen Zuschüssen machen? Sollten karitative Einrichtungen überhaupt von der Regierung instrumentalisiert werden? Und warum haben die staatlichen Sozialdienste Dienste so wenig Mittel, dass sie – laut Angaben des Kinderhilfswerks NSPCC – nur jedes neunte bedürftige Kind versorgen können?
    "In was für einem Land leben wir, wo Kinder bis vor die Downing Street ziehen müssen, um die Regierung um Zuflucht zu bitten, um Essen und um Kleidung?", fragt die Schriftstellerin Bonnie Greer auf einer BBC Dikussion: "Und was sind wir für eine Nation geworden, wo wir auf immer mehr private Stiftungen angewiesen sind, um den Bürgern das zu geben, was ihnen eigentlich von Staats wegen zustünde."
    Offiziell ist die Kids Company jetzt bankrott. Die betroffenen Kinder und Jugendlichen wurden aufgefordert, sich an andere Hilfsstellen zu wenden. Ihre Zukunft ist ungewiss.