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"Man kann Wirtschaftswachstum mit Klimapolitik vereinbaren"

Die Green Economy braucht einen ordnungspolitischen Rahmen, meint Ottmar Edenhofer, Chefökonom des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. Sie könne die Emissionen nur in Verbindung mit einem weltweit festgelegten CO2-Preis verringern.

Ottmar Edenhofer im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 20.06.2012
    Tobias Armbrüster: Im brasilianischen Rio de Janeiro beginnt heute der sogenannte "Rio plus 20"-Gipfel – das ist der Nachfolgegipfel zum Rio-Gipfel des Jahres 1992. Damals haben die Teilnehmer versucht, einen Weg zu weisen in die Umweltpolitik des 21. Jahrhunderts. Das wird nun ab heute weiterentwickelt. Eines der großen Themen bei dieser Konferenz ist die Idee einer sogenannten Green Economy, einer Wirtschaftsordnung also, die sich vor allem dem Umweltschutz verpflichtet. Der Kerngedanke dahinter ist, dass wir Wirtschaftswachstum schaffen, indem wir ganz vereinfacht gesagt zum Beispiel Solarmodule oder Windkraftanlagen entwickeln, bauen und verkaufen. – Am Telefon ist jetzt Professor Ottmar Edenhofer, er ist Chefökonom am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Das ist eine der renommiertesten Einrichtungen in Fragen von Umwelt- und Klimaschutz weltweit. Schönen guten Morgen, Herr Professor Edenhofer.

    Ottmar Edenhofer: Guten Morgen.

    Armbrüster: Führt uns die Idee dieser Green Economy in die richtige Richtung?

    Edenhofer: Die Idee einer Green Economy, dieses sogenannten grünen Wachstums, das ist aus meiner Sicht ein Konzept, das leicht eine Illusion erzeugen kann, denn die Grundidee, dass man sagt, wir erhöhen jetzt die Energieeffizienz und befördern die erneuerbaren Energien, hat einen großen Haken, denn wir wissen, wenn wir die Energieeffizienz erhöhen, dann brauchen wir zunächst mal weniger Energie – und das haben wir auch in den letzten 20 Jahren gesehen, dass wir weltweit mit weniger Energie auskommen; wir erzeugen heute das Sozialprodukt mit weniger Energie. Nur das hat einen großen Haken: Wenn man energieeffizienter wirtschaftet, dann schafft man eben erst Spielräume für weiteres Wirtschaftswachstum, und das zeigt sich dann eben, dass diese Energieeffizienzsteigerungen durch dieses Wirtschaftswachstum buchstäblich aufgefressen worden sind.
    Das gleiche gilt für die Förderung der erneuerbaren Energien. Dann werden eben zunächst mal weniger fossile Energien verbraucht, die Preise steigen weniger, aber das schafft dann eben auch Spielräume, um den Energieverbrauch insgesamt zu erhöhen. Und wir sehen eigentlich in den letzten 20 Jahren, dass wir durch Wirtschaftswachstum, durch Bevölkerungswachstum alle diese Energieeffizienzsteigerungen und auch diese Spielräume, die durch die Erneuerbaren geschaffen werden, eben wieder aufgewogen werden, und das geht sogar so weit, dass wir in den letzten vier, fünf Jahren sehen, dass die weltweiten Emissionen nicht nur steigen, sondern mit größerer Geschwindigkeit zunehmen.
    Dann kommt noch ein dritter Faktor hinzu, dass durch den steigenden Ölpreis die Kohle in der Verstromung unglaublich wettbewerbsfähig geworden ist in den USA, in China und in Indien, und man kann sagen, dass wir inmitten der größten Kohle-Renaissance der Menschheitsgeschichte stehen. Und wenn Sie vor diesem Hintergrund sich die Daten anschauen, dann stellen Sie eben fest, dass die Emissionen schneller wachsen denn je, und vor diesem Hintergrund kann sich die Versprechung einer grünen Ökonomie oder eines grünen Wirtschaftswachstums als eine große Illusion erweisen, die am Ende das Gegenteil von dem bewirkt, was sie eigentlich bewirken wollte oder sollte.

    Armbrüster: Wieso hat es denn diese Idee einer Green Economy dann so weit nach oben gebracht, dass sie jetzt da ganz oben auf der Tagesordnung beim "Rio plus 20"-Gipfel steht?

    Edenhofer: Man hat eben gesehen in den letzten Jahren, dass diese zähen Klimaverhandlungen in Kopenhagen, in Durban scheinbar zu keinen großen Ergebnissen geführt haben. Man hat eben dann gesagt, na ja, es ist vielleicht einfach ein nicht sehr zielführender Ansatz, dass wir letztlich darüber verhandeln wollen international, wer wie viele Emissionen reduzieren soll. Man wollte also eine positive Leitidee, eine positive Vision in den Mittelpunkt eines wirtschaftspolitischen Programms stellen und man wollte eben auch den Staats- und Regierungschefs deutlich sagen, dass Klimaschutz, Umweltpolitik sehr wohl mit Wirtschaftswachstum vereinbar ist, und das glaube ich ja letztlich auch, dass es die Möglichkeit gibt und dass es für die Entwicklungs- und Schwellenländer keineswegs bedeutet, wenn sie Klimaschutz betreiben, dass sie dann auf Wachstum verzichten müssen. Nur hätte man das eben anders anpacken müssen. Man braucht einen großen ordnungspolitischen Rahmen und das bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als dass wir uns letztlich als Menschheit darauf verständigen müssen, wie viel wir in den nächsten fünf Dekaden noch in der Atmosphäre ablagern wollen, wie viel CO2. Und wenn das festgelegt wird, dann entsteht eine neue Knappheit, dann wird eben der Deponieraum der Atmosphäre knapp, und das bedeutet, dass es dann einen CO2-Preis bildet, einen steigenden CO2-Preis, und wenn wir das schaffen würden, dann hätte auch das Konzept der Green Economy einen Sinn, weil bei einem steigenden CO2-Preis dann die Energieeffizienzsteigerungen, die Förderung der Erneuerbaren dann genau in die richtige Richtung wirken würden. Es würde dann eben nicht mehr die Möglichkeit bestehen, dass diese Energieeffizienzgewinne durch das Wirtschaftswachstum aufgewogen werden, sondern dann müsste man eben tatsächlich Techniken entwickeln, CO2-freie Techniken, die sich dann eben auf den Märkten durchsetzen.

    Armbrüster: Das müssen Sie, Herr Professor Edenhofer, noch einmal etwas genauer erklären. Das heißt, die Green Economy an sich ist keine so ganz schlechte Idee, aber sie setzt eben keine richtigen Ziele. Habe ich das richtig verstanden?

    Edenhofer: Das ist richtig und man muss eben sagen, die Green Economy braucht einen ordnungspolitischen Rahmen, oder wenn Sie so wollen eine internationale Vereinbarung, dass eben der Deponieraum der Atmosphäre knapp ist. Und wenn das nicht passiert, wenn man also eben keinen CO2-Preis festlegt, dann wirkt jede Energieeffizienzsteigerung in die falsche Richtung. Dann schafft sie neue Spielräume für Wirtschaftswachstum in der falschen Richtung, das dann überkompensiert werden kann und zu Emissionssteigerungen führt.

    Armbrüster: Aber insgesamt können wir mit Wirtschaftswachstum trotzdem grüne Umweltziele erreichen. Ist das korrekt? Wir müssen Ihrer Ansicht nach keine Abstriche machen?

    Edenhofer: Nein, wir müssen keine Abstriche machen. Man kann Wirtschaftswachstum mit Klimapolitik vereinbaren, nur muss man es eben von der richtigen Seite her anpacken, und wir werden nicht umhin kommen, am Ende ein globales Klimaabkommen erreichen zu können. Die Versprechungen mancher Vertreter der Green Economy, dass man ohne ein globales Klimaabkommen die Ziele genauso erreichen kann, dass man eben den Zugang zu Energie fördert, die Energieeffizienz steigert, das ist eben ein leeres Versprechen, wenn man damit glaubt, dass man durch viele interessante Politikmaßnahmen die Lösung des Klimaproblems erreicht, gewissermaßen so wie eine unbeabsichtigte Nebenwirkung. Das ist von vielen Vertretern der Green Economy gesagt worden, lasst uns nicht über diese zähen Verhandlungen reden, lasst uns jetzt einfach vernünftige Dinge tun und dann wird sich das Klimaproblem gewissermaßen wie von selber und nebenher lösen, und das wird sich als Illusion erweisen.

    Armbrüster: Wie groß sehen Sie denn die Chancen, dass da in Rio auch über einen, so wie Sie sagen, neuen ordnungspolitischen Rahmen gesprochen wird? Immerhin steht ja die Politik, die internationale Umweltpolitik und auch eine Aufwertung der Umweltpolitik der UNO ganz oben auf der Tagesordnung.

    Edenhofer: Das steht oben auf der Tagesordnung, aber ich fürchte, dass eben der Gipfel im wesentlichen ergebnislos verlaufen wird. Ich glaube, da wurden zu viele Erwartungen geweckt, die zur gleichen Zeit nicht erfüllbar sind. Natürlich wäre es schön, wenn die Umweltpolitik innerhalb der UNO aufgewertet werden würde, das wären alles sinnvolle Ziele. Aber ich glaube, wir müssen uns nach dem UNO-Gipfel noch mal Rechenschaft darüber ablegen, was wir in den nächsten zehn Jahren erreichen können und was eigentlich sinnvolle Zwischenschritte sind, und wir sollten aufhören, dass wir uns dort Illusionen hingeben und eben glauben, dass wir alles mit allem versöhnen können gewissermaßen, ohne dass wir harte politische Entscheidungen fällen. Aus meiner Sicht werden wir uns eben klar werden müssen darüber, dass Klimaverhandlungen ein sehr, sehr zähes, ein sehr, sehr langfristiges Geschäft sind, wo man viele Mitgliedsstaaten der Klimarahmenkonvention an Bord holen muss. Wir werden uns auch darüber Gedanken machen müssen, wie wir solche Klimagipfel in der Zukunft sehr viel besser und sehr viel effizienter organisieren. Vor allem aber werden wir uns auch darüber Gedanken machen müssen, wie wir Klima- und Umweltpolitik betreiben außerhalb der Klimarahmenkonvention, außerhalb des UN-Systems, und ob es da nicht sehr viel effizientere Foren gibt. Das wird uns vor ziemlich harte Entscheidungen stellen und das wird uns auch sehr unbequeme Diskussionen eintragen.

    Armbrüster: So weit Professor Ottmar Edenhofer, Chefökonom am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, und weil Herr Edenhofer im Augenblick schon wieder unterwegs ist, haben wir das Gespräch heute Morgen aufgezeichnet.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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